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Gesundheit: Alterspsychiatrie: Wirksam ohne Verfallsdatum

"Wir arbeiten in einem ausgesprochen interessanten, zukunftsträchtigen Fach" sagt Rolf Hirsch. Der Bonner Psychiater ist Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie, die zurzeit in Berlin ihre fünfte Jahrestagung abhält.

"Wir arbeiten in einem ausgesprochen interessanten, zukunftsträchtigen Fach" sagt Rolf Hirsch. Der Bonner Psychiater ist Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie, die zurzeit in Berlin ihre fünfte Jahrestagung abhält. Dass er die Alterspsychiatrie als zukunftsträchtig bezeichnet, ist angesichts der demografischen Entwicklung unmittelbar einleuchtend: Immer mehr alte Menschen leben in unserem Land, und immer mehr Alte werden immer älter.

Erstaunlicher schon: Hirsch kann auch überzeugend vermitteln, was für ihn den Umgang mit seelisch kranken Senioren zu einer interessanten beruflichen Aufgabe macht. "Da ist eine Lebensgeschichte, auf die man neugierig sein kann." So gesehen ist die höhere Lebenserwartung nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für die Menschen in seiner Umgebung ein Geschenk.

Noch sieht die Realität jedoch oft anders aus. In einer jugend- und gesundheitsverliebten Gesellschaft haben alte, psychisch kranke Menschen oft unter einer doppelten Stigmatisierung zu leiden. Oder ihre seelischen Leiden werden über den vielfältigen körperlichen Gebrechen und Krankheiten des hohen Lebensalters schlicht übersehen. Ein Drittel der älteren Patienten, die in Abteilungen für Innere Medizin behandelt werden, sind nach Angaben von Hans Gutzmann, dem Tagungspräsidenten, eigentlich auch psychisch behandlungsbedürftig.

"In praktisch allen medizinischen Fächern werden immer mehr alte Menschen behandelt - mit Ausnahme der Psychiatrie", sagt der Leiter der Abteilung Gerontopsychiatrie am Krankenhaus Hellersdorf. Dafür mehren sich die Patienten, die eigentlich eine alterspsychiatrische Betreuung bräuchten, in den Altenheimen. "Sie bekommen immer weniger die Chance für eine angemessene Behandlung, und das ist ein Skandal!"

Die Fachgesellschaft versucht unter anderem, mit der neu gegründeten Deutschen Akademie für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie Abhilfe zu schaffen. Dabei setzt man Hoffnungen auf europäische Harmonisierungen, denn in Skandinavien und in Großbritannien sind die Mediziner besser auf alterstypische Probleme vorbereitet. Die Akademie soll erreichen, dass schon Medizinstudenten auf Fragen der Altersmedizin gestoßen werden und dass Hausärzte sich weiterbilden.

Zum Beispiel bei Gedächtnisstörungen. Wenn von Alterspsychiatrie die Rede ist, fällt schnell das Stichwort "Alzheimer". Gabriela Stoppe von der Psychiatrischen Universitätsklinik Göttingen betonte, wie wichtig bei Erkrankungen, die mit geistigem Abbau einhergehen, die Früherkennung ist. Oft ist es möglich, das Leiden zu verlangsamen.

Auch Angehörige sind gefährdet

Wird eine Demenz (geistiger Verfall) wie die Alzheimer-Krankheit erst spät erkannt, so bleibt dagegen oft nur die Überweisung in eine Klinik oder ein Heim. Stoppe wies außerdem auf das hohe Risiko betreuender Angehöriger hin, selbst krank zu werden, wenn sie nicht rechtzeitig Unterstützung finden. Seelische Störungen sind auch im Alter vielgestaltig. Rainer Kortus von der Klinik für Gerontopsychiatrie in Saarbrücken erläuterte, dass Depressionen, Suizid-Neigung und neue psychische Krankheiten zusammen deutlich mehr ins Gewicht fallen als Demenz-Erkrankungen. "Alles, was wir hier an Therapie zu bieten haben, wirkt auch bei alten Patienten", sagte Gutzmann.

Das gilt auch für Psychotherapien. Längst ist man von der Meinung abgekommen, dass therapeutische Gespräche im Alter keine Veränderungen mehr bewirken könnten. Da zeitgleich mit den Gerontopsychiatern in Berlin ein Kongress zur seelischen Gesundheit von Frauen tagt (wir berichteten), liegt es nahe, auch nach Geschlechterunterschieden bei psychischen Krankheiten im Alter zu fragen. Die weitaus meisten Patienten, die die Gerontopsychiater betreuen, ob in der Klinik oder in der Praxis, sind heute Frauen, allein des längeren Lebens wegen. "Wir müssen versuchen, den Bedürfnissen des seelisch kranken alten Mannes eher gerecht zu werden", sagt Gutzmann.

Bei beiden Geschlechtern haben die Psychiater allerdings festgestellt: Alte Menschen sind bescheidener und werden eher an den Rand gedrängt. Um so entschiedener treten die Experten der Meinung entgegen, aufwändige Behandlungen seelischer Probleme bei Älteren "lohnten" sich nicht mehr. "Wir alle haben ja letztendlich eine ungünstige Prognose", gibt Gutzmann zu bedenken. Auch wenn wir das oft verdrängen.

Adelheid Müller-Lissner

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