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Gesundheit: Anästhesie: Das böse Erwachen aus der Narkose

Narkoseärzte trainieren neuerdings an einem Simulator wie die Piloten; kein Flug-, sondern ein Anästhesie-Simulator. Mit diesem Gerät lassen sich Stress-Situationen und Zwischenfälle nachstellen, wie sie bei Narkosen immer wieder auftreten.

Narkoseärzte trainieren neuerdings an einem Simulator wie die Piloten; kein Flug-, sondern ein Anästhesie-Simulator. Mit diesem Gerät lassen sich Stress-Situationen und Zwischenfälle nachstellen, wie sie bei Narkosen immer wieder auftreten. Ein Dummy vertritt den Patienten.

Außer an der Berliner Charité gibt es solche Geräte nur in Hamburg, Mainz, Würzburg, Erlangen und Heidelberg. Simulationskurse, wie sie auch auf dem heute in Berlin zu Ende gehenden Anästhesiologie-Kongress angeboten werden, offeriert die Charité alle 14 Tage interessierten Anästhesisten auch von außerhalb. Der erste Kurs war für Chef- und Oberärzte bestimmt. Die waren erst einmal empört, berichtete Kongresspräsident Wolfgang Kox von der Charité. "Was - Wir?!" Aber sie merkten sehr schnell, dass auch sie hier noch viel lernen könnten.

Die Geschichte der Anästhesie beginnt früh. Die erste Narkose fand anlässlich einer Explantation statt, die einer Vorform des Klonens diente: "Da ließ Gott der Herr einen tiefen Schlaf fallen auf den Menschen, und er schlief ein. Und er nahm seiner Rippen eine und schloss die Stätte zu mit Fleisch." (1. Mose 2, 21)

Es hat Jahrtausende gedauert, bis auch die Halbgötter es schafften, ihre Patienten ähnlich paradiesisch-perfekt und - relativ - gefahrlos in einen so tiefen Schlaf zu versetzen, dass sie von einer Operation nichts merken. In der Antike versuchten es die Ärzte mit Wein, Mandragora und Mohn. Das wirkte schlecht und recht, nur konnte man die natürlichen Betäubungsmittel nicht exakt dosieren. Weil deshalb ungefähr jeder zehnte Patient daran starb, wurde die Narkose im Mittelalter verboten.

Die moderne Anästhesie begann Mitte des 19. Jahrhunderts mit chemischen Substanzen wie Äther, Chloroform und Lachgas. Aber noch ein Medizinlexikon von 1959 spricht von immerhin einem Todesfall auf zehntausend Narkosen. Heute stirbt nur noch einer von 400 000 bis 450 000 Patienten an der Anästhesie. Sie lässt sich jetzt sehr genau auf den individuellen Patienten abstimmen.

Die früher so gefürchteten Nebenwirkungen wie Übelkeit und tagelange Benommenheit gehören ebenfalls weitgehend der Vergangenheit an. Auch kann die Narkose auf die Minute genau gesteuert und beendet werden. Das ist schon deshalb wichtig, weil Frischoperierte heut sehr früh zum Aufstehen ermuntert werden, um die Gefahr einer Thrombose und andere Risiken der Inaktivität zu reduzieren. Die alten Narkosemittel wie zum Beispiel das leberschädigende Halothan wurden fast überall ausgemustert. Trotz allem aber kommt auf hundert Narkosen ein "unvorhergesehenes Ereignis", vor allem Probleme mit Atmung und Kreislauf - bis zum Schock; oder auch zu frühes Erwachen des Patienten.

Deshalb steht der "3. Hauptstadtkongress für Anästhesieologie und Intensivtherapie" unter dem Motto "Risiken der modernen Anästhesie". Wolfgang Kox nannte die häufigsten Gründe für Zwischenfälle: Ausrüstungsmängel, Zeitdruck, Unerfahrenheit, schlechte Zusammenarbeit des Operationsteams und Unaufmerksamkeit - letztere nicht selten bedingt durch Übermüdung. Das ergab eine Studie, über deren Ergebnis Claudia Spies von der Berliner Charité berichtete. Denn Ärzte müssen oft Tag und Nacht durcharbeiten, was erst jetzt abgestellt werden soll.

Auch durch Fortbildung und Qualitätssicherung versucht man die Rate der Zwischenfälle herabzusetzen. Der Kongress selbst kann als Vorbild für gute Fortbildung dienen, schon, weil er die Kooperation des Teams fördert: durch gemeinsame Veranstaltungen für Pflegekräfte und Ärzte, wie Ramona Schumacher, Krankenpflegedirektorin der Charité, mitteilte. Was Qualitätssicherung betrifft, "da stecken wir in Berlin noch absolut in den Kinderschuhen", sagte Konrad Falke von der Charité. Aber ein Anfang ist gemacht:

Die von Kox geleitete "Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin" hat auf 800 Seiten Leitlinien (Standards auf hohem Niveau) formuliert, die als Grundlage der Qualitätssicherung auch allen anderen Kliniken zur Verfügung stehen. Denn zu gemeinsamen Leitlinien hat es die Fachgesellschaft der 15 000 deutschen Anästhesisten bisher noch nicht gebracht. Nur für ein kleines Teilgebiet, die Behandlung nicht durch Krebs bedingter starker Schmerzen, konnte man sich nach einjähriger Diskussion auf eine Leitlinie einigen, berichtete Christoph Stein vom Benjamin Franklin-Klinikum.

Eine weitere Herabsetzung der Fehlerzahl versprechen sich die Anästhesisten von der ständigen Fortbildung, zu der alle Ärzte verpflichtet sind, allerdings nur auf dem Papier. Die in Deutschland kürzlich eingeführte Zertifizierung ist freiwillig. Der Urologe Stefan Loening, stellvertretender Ärztlicher Direktor der Charité, äußerte die Hoffnung, dass der obligatorische Erwerb von Fortbildungszertifikaten nach amerikanischem Muster auch in Europa nur noch eine Frage der Zeit ist. Schließlich sei die regelmäßige Überprüfung ihres Könnens für Piloten, die eine ähnlich hohe Verantwortung für Menschen tragen, schon lange selbstverständlich, warf Falke ein.

Auch die Regionalanästhesie, der ein eigener Teil der Tagung gewidmet ist, soll die Zahl der Narkosezwischenfälle senken. Es leuchtet ein, dass es gegenüber der Vollnarkose risikoärmer sein müsste, nur den Teil des Körpers gefühllos zu machen, an dem der Eingriff stattfinden wird. Dafür sprechen nach Ansicht Steins auch einige Vergleichsstudien. Andere hingegen ergaben keine Vorteile der - auch nicht ganz risikolosen - Regional- gegenüber der Allgemeinanästhesie. Wahrscheinlich hängt das Resultat vor allem vom Grad der Erfahrung ab, die Anästhesisten mit einer Methode haben. Daran sollte der Patient denken, wenn man ihn fragt, welches Verfahren er vorzieht. Und er sollte ruhig auch seinerseits Fragen an den Arzt richten.

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