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Gesundheit: Angst vor der Entheiligung

Nietzsche behauptete einmal, wer unter Deutschen leben müsse, habe sehr an der "Übersetzung des guten Ausländischen in ein schlechtes Einheimisches" zu leiden. In dieser Situation befindet man sich freilich nicht nur unter Deutschen, denn Sprachbarrieren gilt es immer wieder und überall auf der Welt zu überwinden.

Nietzsche behauptete einmal, wer unter Deutschen leben müsse, habe sehr an der "Übersetzung des guten Ausländischen in ein schlechtes Einheimisches" zu leiden. In dieser Situation befindet man sich freilich nicht nur unter Deutschen, denn Sprachbarrieren gilt es immer wieder und überall auf der Welt zu überwinden.

Doch mit dem Problem der rein sprachlichen Übersetzung ist keinesfalls der einzige Fall einer Übersetzungsnotwendigkeit gegeben. Vielleicht nicht einmal der gravierendste, - denkt man etwa an die heiligen Texte. Mit der Schwierigkeit ihrer Übersetzung befasst sich das Projekt "Säkularisierung" des Berliner Zentrums für Literaturwissenschaft (ZFL). "Säkularisierung", um 1800 zunächst als juristischer Begriff für die Übertragung von kirchlichen Rechten und Gütern auf weltliche Institutionen aufgekommen, hat in der Folge in der Kulturgeschichte eine große Rolle gespielt. Zuletzt stand er für eine die Geschichte insgesamt bestimmende Tendenz der Entzauberung und Verweltlichung der religiösen Traditionen. Wie verstehen die Wissenschaftler des ZFL die "Säkularisierung" heute? "Wir sehen darin einen dialektischen Vorgang. Das heißt, wir möchten darauf hinweisen, dass es in diesem Prozess Brüche gibt oder sogar eine Wiederkehr des Heiligen", erläutert Daniel Weidner, Mitarbeiter am ZFL. Die Übersetzung heiliger Texte bietet hierfür ein Beispiel. Denn jede sprachliche Übertragung erweist sich zugleich als problematische Arbeit am Heiligen, als ein Versuch, es ganz in die verständliche Welt zu holen. Die Dialektik der Säkularisierung soll sich gerade an der Unübersetzbarkeit, an der Zerstörung des ursprünglichen Textes oder auch an seiner Wiederherstellung zeigen.

Ein interessantes Beispiel für die Frage der Übersetzung heiliger Texte bietet der Islam, wie Hartmut Bobzin (Universität Erlangen-Nürnberg) kürzlich im ZFL vorführte. Denn im Fall des Koran gilt die arabische Sprache nicht als bloßes Transportmittel religiöser Bedeutungen, im Gegenteil. Da die Araber die ersten Adressaten von Mohammeds Verkündigung waren, erscheint es unter Muslimen selbstverständlich, dass der Koran in arabischer Sprache verfasst ist. Zudem wird dies im Koran mehrfach betont. Die Originalsprache ist also etwas Heiliges, und jede Übersetzung - auch wenn solche stets zahlreich waren - birgt eine gefährliche Tendenz zur Profanisierung.

Damit ist allerdings ein praktisches Problem aufgeworfen. Wie bringt man den des Arabischen nicht mächtigen Neumuslimen in aller Welt den Islam nahe? Für diesen Fall haben sich weite Teile der Muslime darauf geeinigt, immerhin "Übersetzungen der Bedeutungen des Islam" zuzulassen.

Der Schwerpunkt der Arbeit des ZFL liegt jedoch im 18. Jahrhundert. In einer Zeit also, in der die neue Philosophie mit dem Anspruch auftrat, die Übereinstimmung des religiösen Traditionsbestandes mit ihren eigenen Prinzipien aufzuweisen. Übersetzungen spielten eine wichtige Rolle. Doch blieben sie stets eine Gratwanderung.

Ein Beispiel einer solchen Gratwanderung ist die "Wertheimer Bibel" - so lautet der Titel der Übersetzung des Pentateuch, also der ersten fünf Bücher Mose, durch Johann Lorenz Schmidt in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Der zunächst anonym gebliebene Autor, ein Anhänger der aufklärerischen Philosophie Christian Wolffs, wollte mit seiner Übertragung vor allem die Vernünftigkeit und Verstehbarkeit des von ihm übertragenen Textes deutlich machen. Obwohl er dabei keineswegs die Tilgung des heiligen Charakters des Pentateuch und seiner messianischen Weissagungen beabsichtigte, meinten die Zeitgenossen vor allem dies zu erkennen.

Anatol Schneider

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