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Gesundheit: Angst vor digitaler Landnahme

Google plant ein gigantisches Digitalisierungsprojekt. In Europa regt sich Widerstand

Seitdem Google an der Börse notiert ist, schießt das kalifornische Unternehmen aus allen Rohren. Um die Aktionäre bei Laune zu halten, ist aus der einstigen Such- eine wahre Projektmaschine geworden. Nach Google Scholar, einer speziellen Suchmaschine für wissenschaftliche Recherchezwecke, schlägt nun die von Google in großem Stil betriebene Digitalisierung von Bibliotheksbeständen Wellen.

Google hatte bereits im Dezember letzten Jahres angekündigt, gut 15 Millionen Bücher renommierter Bibliotheken wie in Harvard, Stanford, Oxford oder der New York Public Library einzuscannen, um sie in den Index der Suchmaschine aufzunehmen. Nach amerikanischem Copyright gemeinfreie, also nicht mehr geschützte Bücher, sollen vollständig verlinkt werden. Bei Büchern, bei denen die Schutzfrist noch nicht abgelaufen ist, will Google in Zukunft die Genehmigung der Rechteinhaber einholen oder nur „Textschnipsel“, also wenige Zeilen Textauszug rund um den Suchbegriff, und bibliographische Informationen online zugänglich machen. Bis zu 5000 Titel sollen pro Tag digitalisiert werden. Dies stellt vergleichbare Digitalisierungspläne in den USA oder Europa bei weitem in den Schatten.

Die Idee als solche erscheint vielen verführerisch, rückt durch die bislang ungekannte Größenordnung dieser Scan-Aktion doch der Traum einer universellen Bibliothek in greifbare Nähe. Mit einer gewissen Verzögerung regt sich aber nun in Europa Widerstand gegen das Mammut-Digitalisierungsprojekt. Jean-Noel Jeanneney, Direktor der französischen Nationalbibliothek, schlug kürzlich in der Tageszeitung „Le Monde“ Alarm. Er befürchtet, dass die kontinentaleuropäischen Sprachen und damit deren Kultur und Wissenschaft bei diesem von einem amerikanischen Geldgeber dominierten Projekt unterrepräsentiert seien, solange sich die Digitalisierung auf englischsprachige Bibliotheken beschränke. Deshalb ruft er auf zum Gegenschlag und fordert neben einer europäischen Suchmaschine ein europäisches Digitalisierungsprogramm. Mit seinem Anliegen hat Jeanneney mittlerweile Gehör beim französischen Staatspräsident Jacques Chirac gefunden, der nun gleichfalls der Gefährdung der Kultur- und Sprachenvielfalt durch die vornehmliche Digitalisierung englischsprachiger Bibliotheksbestände ein europäisches Programm entgegensetzen möchte.

Deutsche Bibliothekare schlagen in die gleiche Kerbe. So unterstützt Ute Schwens, Direktorin der Deutschen Bibliothek in Frankfurt, den Ruf nach Mitteln der Europäischen Union. Auch Elmar Mittler, Direktor der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, fürchtet um die internationale Präsenz deutscher Wissenschaft im Internet. Die Sorge ist nicht unbegründet, zumal mittlerweile die große Mehrheit aller Suchanfragen im Internet über Google laufen. Mittler fordert deshalb ein nationales Digitalisierungsprogramm. Das von Google-Mitbegründer Larry Page formulierte Selbstverständnis des Unternehmens, „Google’s mission is to organize the world’s information“, wird damit in dem Maße zum Politikum, in dem sich in Europa die Stimmen mehren, die die Lenkung der Informationsströme durch den kalifornischen Suchmaschinenprimus als digitale Landnahme oder gar als kulturelle Bedrohung begreifen.

Die Verlegerseite reagiert uneinheitlich. Manche Verlage versprechen sich ganz pragmatisch zusätzliche Gewinnmöglichkeiten davon, dass mit Hilfe von Google zukünftig mehr Internetnutzer zu ihren kommerziellen Angeboten geführt werden. Man hofft auf einen ähnlichen Marketingeffekt wie bei „Google Print“ oder „Search Inside the Book“ von Amazon, bei denen gleichfalls kurze, den Suchtreffer enthaltende Textpassagen angezeigt werden. Bei der Elsevier-Verlagsgruppe steht man dem Projekt interessiert gegenüber, zeigt sich aber zugleich in Sachen Urheberrecht nachdenklich. Auch wenn der Fokus beim Einscannen zunächst primär auf gemeinfreien Werken liegen soll – in Oxford zum Beispiel werden von Google nur vor 1900 veröffentlichte Bücher einbezogen – stößt das Bestreben, auch kurze, urheberrechtlich noch geschützte Textauszüge zur Verfügung zu stellen, auf Skepsis. Auch Christian Sprang, Justiziar beim Börsenverein des Deutschen Buchhandels, sieht ein „Missbrauchspotential“.

Nach deutschem Urheberrecht ist die Lage spätestens seit den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur „CB-Infobank“ eindeutig: die sogenannte Archivschranke erlaubt Bibliotheken nur die digitale Archivierung zu Zwecken der Bestandssicherung, nicht aber die Zugänglichmachung für Dritte über das Internet. Auch das geltende europäische und internationale Urheberrecht steht dem von Google angestrebten Service im Weg – bislang. Denn es stellt sich die Frage, ob die von Google oder anderen Suchmaschinenanbietern angestrebten Textschnipsel nicht in äußerst eng begrenztem Umfang erlaubt werden sollten, wenn sie tatsächlich ein verkaufsförderndes Instrument darstellen und zugleich nicht nur Wissenschaftlern die Entscheidung erleichtern, ob ein Buch für sie relevant ist oder nicht.

Bei dem vor allem in Frankreich betriebenen Alarmismus angesichts der Google-Pläne gilt es aber auch nicht aus den Augen zu verlieren, dass bereits zahlreiche Digitalisierungsinitiativen existieren. Erwähnt seien nur das Projekt Gutenberg mit mehr als 420000 Textseiten oder das Gemeinschaftsprojekt „DigiZeitschriften“, das von zwölf deutschen Bibliotheken getragen wird und bis zum Jahre 2006 mit der Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) rund drei Millionen Seiten aus 60 wissenschaftlichen Fachzeitschriften online zugänglich machen will. Eine deutsche Arbeitsgruppe mit Experten aus Bibliotheken, Museen, der Kulturministerkonferenz, der DFG sowie der einschlägigen Ministerien arbeitet bereits an einem Konzept für ein nationales Digitalisierungsprogramm. Nur: der von Jeanneney eingeforderte europäische Gegenschlag ist das nicht.

Ohne staatliche Beteiligung in Kooperation mit den europäischen Partnern wird es letztlich nicht gehen, wenn das ganze Spektrum der (gemeinfreien) Bibliotheksbestände abgebildet werden soll, und nicht nur das Angebot einzelner Verlage. Nicht zu unterschätzen ist bei einem staatlichen Engagement in Zeiten leerer öffentlicher Kassen aber die Gefahr, dass in einigen Bereichen durch eine simple Umschichtung der Bibliotheksetats zugunsten der Digitalisierung das traditionelle Geschäft der Bibliotheken Schaden nimmt, warnen Bibliothekare.

Gerd Hansen

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