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EHEC-Bakterien,eine gefährlichen Variante des harmlosen Darmbewohners Escherichia coli, unter dem Elektronenmikroskop.

© dpa

Antibiotika: Zu viel des Guten

Weil Ärzte ihren Patienten eine übermäßige Menge an Antibiotika verschreiben, entwickeln immer mehr Erreger Resistenzen. Vielleicht können schon bald gewöhnliche Infektionen nicht mehr geheilt werden. Eine Berliner Konferenz sucht nach Lösungen.

Zurzeit ist es ein Coronavirus, vor zwei Jahren war es die Schweinegrippe, zuvor Sars und die Vogelgrippe: Immer wieder versetzen neuartige Infektionskrankheiten Forscher und Patienten in Sorge. Mediziner entdecken weltweit pro Jahr ein bis zwei durch Bakterien, Pilze oder Viren ausgelöste neue Infektionskrankheitsbilder. Manchmal sind neue Erreger die Ursache, manchmal tauchen aber auch „Altbekannte“ plötzlich in Regionen auf, in denen sie zuvor unbekannt waren. Wie 2010 das Westnil-Fieber in Griechenland oder 2007 das Chikungunya-Fieber in Italien.

Die Ursachen für den Vormarsch der Infektionskrankheiten sind hauptsächlich menschengemacht: Klimawandel, die Bedingungen in der Tierhaltung sowie die gesteigerte Mobilität. So hatte die „Lungenseuche“ Sars, die 2002/2003 rund 1000 Menschen das Leben kostete, wahrscheinlich ihren Ursprung in der chinesischen Provinz Guangdong, wo sie durch den Verzehr von wild lebenden Tieren auf den Menschen übertragen wurde. Auf Weltreise ging das Virus dann, als ein infizierter Medizinprofessor im Februar 2003 einen Flieger nach Hongkong bestieg und dabei mehrere Geschäftsreisende ansteckte.

Hoffnung bei der Entdeckung neuer Erreger machen sich Forscher durch innovative molekulare diagnostische Plattformen. „Dank sogenannter Microarrays und DNA-Sequenzierungen wird man in wenigen Jahren eine Vielzahl neuer Erreger identifizieren können“, erklärte Norbert Suttorp, Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie an der Charité, jüngst auf einer Veranstaltung der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) in Berlin. Viel verspricht er sich auch davon, mit neuartigen Therapiekonzepten Zellen des Wirtes und nicht der Erreger zu adressieren.

In Deutschland sind vor allem diejenigen Keime problematisch, mit denen sich Patienten in Krankenhäusern infizieren. Laut Robert-Koch-Institut erkranken zwischen 400 000 und 600 000 Patienten jährlich an Krankenhausinfektionen, 7500 bis 15 000 sterben daran. Dazu würde auch der übermäßige Gebrauch von Antibiotika und die damit verbundene Resistenzentwicklung der Erreger beitragen, warnt Norbert Suttorp. „Wenn zehn Patienten mit Erkältungssymptomen in eine Praxis kommen, erhalten acht von ihnen Antibiotika. Aber nur bei einem wäre es notwendig.“ Ärzte sollten, meint er, auf den üblichen Rat, „die Packung bis zum Ende zu nehmen“, auch mal verzichten. „Es gibt vermutlich eine sinnvolle untere Grenze bei der Einnahme von Antibiotika, die bei drei bis fünf Tagen liegt. Aber wenn jemand zehn Tage Antibiotika bei einer Nierenbecken- oder Lungenentzündung nimmt, dann muss man das schon gut begründen.“

Besonders kritisch ist der Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung. Inzwischen werden mehr Antibiotika in der Veterinär- als in der Humanmedizin verschrieben. Grund ist zum einen die Massentierhaltung, zum anderen können Antibiotika auch das Wachstum der Tiere stimulieren.

Die Folgen aber sind bedrohlich. Nach Zahlen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sterben in der EU jedes Jahr rund 25 000 Menschen an Infektionen mit Erregern, die eine Antibiotikaresistenz entwickelt haben. „In Ermangelung dringender Korrektur- und Schutzmaßnahmen steuert die Welt auf ein postantibiotisches Zeitalter zu, in dem viele gewöhnliche Infektionen nicht mehr geheilt werden und tödlich sind“, warnte die WHO-Generaldirektorin Margaret Chan bereits vor zwei Jahren.

Ein Schnelltest könnte überflüssige Behandlung mit Antibiotika verhindern

Ein Ausweg scheint schwierig zu sein. Neue Antibiotika kommen immer seltener auf den Markt. So ging nach Angaben des Verbandes VFA, in dem sich die forschenden Pharma-Unternehmen in Deutschland zusammengeschlossen haben, die Zahl der hierzulande eingeführten neuen Antibiotika von 21 in der Dekade 1991 bis 2000 auf neun von 2001 bis 2010 zurück. Für die meisten Pharmakonzerne lohnt sich die Entwicklung neuer Bakterienkiller nicht, da sie nur wenige Tage eingenommen werden. Mit Mitteln gegen Bluthochdruck oder Asthma, die ein Patient jahrelang nehmen muss, können die Konzerne dagegen hohe Profite einfahren. „Es kann nicht sein, dass die Kosten-Nutzen-Kalkulation der Pharmakonzerne darüber entscheidet, ob man neue Antibiotika entwickelt“, kritisiert Norbert Suttorp und fordert eine stärkere staatliche Verantwortung.

Tatsächlich hat die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit mehreren Verbänden und Organisationen bereits 2011 die Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie erarbeitet. Der Bereich Forschung und Entwicklung neuer Antibiotika kommt darin allerdings ziemlich kurz. „Wir haben das im Blick. Anzeichen für Defizite bei der Finanzausstattung sehen wir momentan aber nicht“, sagt ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums auf Anfrage. Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) wiederum hatte im Vorfeld einer Konferenz der Global Health Security Initiative im Dezember versprochen, sich auf der Ebene der führenden Industrieländer (G 7) für eine international abgestimmte Strategie einzusetzen und Anreize für die Entwicklung neuer Medikamente zu setzen.

Sofort möglich wäre der Einsatz von Antibiotika-Schnelltests. Damit können Ärzte rasch und problemlos virale von bakteriellen Infektionen unterscheiden und dadurch den Einsatz von Antibiotika und die Gefahr von Resistenzen minimieren. Denn nur 20 Prozent aller Atemwegsinfektionen werden tatsächlich durch Bakterien ausgelöst, der Rest durch Viren – und gegen die sind Antibiotika machtlos. Die Kosten für diesen Schnelltest würden rund 15 Euro betragen. Norbert Suttorp ist jedoch skeptisch: Weil die Krankenkassen für Antibiotika deutlich weniger zahlen müssten als für den Schnelltest, hätten sie kein Interesse an so einem Test.

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