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Asthma: Mal wieder richtig durchatmen

Vier Millionen Deutsche haben Asthma. Hunderten von ihnen helfen herkömmliche Medikamente nicht In Berlin kooperieren niedergelassene Ärzte mit der Charité, um die Therapie zu verbessern.

Mit ihren Kindern um die Wette über eine Wiese rennen – das kam für Sonja Bielenberg nicht infrage. Jahrelang schaute die fünffache Mutter wehmütig auf andere Eltern, die mit ihren Kindern herumtollen konnten, ohne dass ihnen gleich die Puste ausging. „Ich hatte mich schon damit abgefunden, dass ich nicht richtig am Leben teilnehmen kann“, sagt die 38-jährige Erzieherin aus Wedding. Damit abgefunden, dass sie tagsüber gerädert war, weil sie keine einzige Nacht durchschlafen konnte, dass sie immer wieder aufwachte, weil sie keine Luft bekam. Angst, Beklemmung und Atemnot gehörten für sie zum Alltag. Noch heute bekommt sie eine Gänsehaut, wenn sie davon erzählt, wie sie die letzten 16 Jahre mit ihrem Asthma gekämpft hat.

Sonja Bielenberg ist eine von vier Millionen Deutschen, die an dieser chronischen Erkrankung der Atemwege leiden. Häufig erwischt es die Betroffenen unvermittelt. Es beginnt mit einem trockenen Husten, einem Gefühl von Luftnot, begleitet von einer pfeifenden Atmung. Einige hundert Betroffene aber erwischt es, wie Sonja Bielenberg, besonders schlimm: Sie leiden unter Schwerem Allergischem Asthma (SAA). Das vor einem Jahr gegründete Netzwerk SAA will die Versorgungssituation solch schwerer Asthmatiker in Berlin und Brandenburg verbessern. Niedergelassene Lungen-, Haus- und Kinderärzte haben sich mit Spezialisten der Charité zusammengetan, um die Therapie zu optimieren.

Als Asthma bezeichnet man eine Überempfindlichkeit der Bronchien, also der sich immer weiter verästelnden Luftwege in den Lungen. „Sie können durch Kälte, Nässe, aber auch Belastung oder Stress gereizt werden“, erklärt Karl-Christian Bergmann, Leiter des Berliner Netzwerks am Allergie-Centrum der Charité. In rund 80 Prozent der Asthmafälle sind jedoch Allergene wie etwa Hausstaubmilben, Tierhaare, Gräserpollen oder Schimmelpilze die Ursache. Die Schleimhaut der Bronchien schwillt an, die Atemwege werden von zähem Schleim belegt und verkrampfen sich. Die Folge: quälende Atemnot.

Auch wenn Asthma nicht heilbar ist, kann die Krankheit heute so gut behandelt werden, dass die meisten Betroffenen ein weitgehend normales Leben führen können. Bei SAA-Patienten jedoch stellte Karl-Christian Bergmann wiederholt fest, dass die Symptome trotz umfangreicher Therapie und Basismedikamenten wie Asthma-Sprays nicht ausreichend gemindert werden können. „Viele Patienten sind nahezu ständig in ihrem Alltag und ihrer Lebensqualität eingeschränkt“, so der Lungenexperte. SAA stelle Ärzte vor diagnostische und therapeutische Herausforderungen.

Bei besonders komplexen Fällen sind sich Ärzte oft unsicher, wie sie die Betroffenen am besten behandeln sollen, zumal die neuartigen Therapieansätze extrem kostspielig sind und sich monatlich auf mehrere tausend Euro belaufen. Die hohen Behandlungskosten müssen die Ärzte vor den Krankenkassen rechtfertigen können. „Deswegen ist das Netzwerk SAA vor allem bei Grenzfällen hilfreich“, sagt Harald Müller-Pawlowski. Der Lungenfacharzt aus Lichterfelde arbeitet seit knapp einem Jahr mit dem Netzwerk zusammen. Zur Therapieabsicherung überweist er Patienten mit besonders schweren Symptomen in das Allergie-Centrum und erhält dann eine zweite Meinung. Anschließend übernimmt er wieder die Behandlung. Die Wartezeiten sind kurz: In der Regel erhalten die Patienten innerhalb von acht bis zehn Tagen einen Termin im Centrum.

Anfangs stand Sonja Bielenberg dem neuen Behandlungsweg skeptisch gegenüber. Sie hatte schon so viel ausprobiert. In der Charité wurde ihr letzten Herbst zum ersten Mal das erst seit wenigen Jahren in Europa zugelassene und bislang wenig verwendete Medikament Xolair in den Oberarm gespritzt. Dabei handelt es sich um ein Präparat, das den im Blut vorhandenen Antikörper Immunglobulin E (IgE) neutralisiert. Das Eiweiß IgE führt zu Allergien und damit auch zu allergischem Asthma. Je höher die Konzentration, desto stärker ausgeprägt ist die Allergie. Die Behandlung findet alle zwei bis vier Wochen statt. Nach drei Spritzen bemerkte Sonja Bielenberg den ersten Erfolg. Beim Treppensteigen musste sie nicht ständig keuchend innehalten.

Bis jetzt sind mehr als 50 Patienten im Netzwerk SAA behandelt worden. Die meisten sind zwischen 40 und 50 Jahre alt, es kommen genau so viele Männer wie Frauen. Nach dem ersten Jahr zieht Karl-Christian Bergmann eine positive Bilanz. „Bei fast allen Patienten haben sich die Lebensqualität und die Lungenfunktionen verbessert“, sagt er. Inzwischen sind nach diesem Modell deutschlandweit 21 SAA-Zentren gegründet worden, neun weitere sind im Aufbau.

Lungenarzt Harald Müller-Pawlowski hat gute Erfahrungen mit dem Netzwerk gemacht. „Besonders positiv ist, dass viele Patienten durch die neue Behandlungsform auf Kortison verzichten können“, sagt er. Denn Kortison, ein natürliches Abwehrhormon, das in den Nebennieren gebildet, aber für medizinische Zwecke synthetisch hergestellt wird, hat viele Nebenwirkungen, vor allem wenn es in Tablettenform eingenommen wird. Dann drohen erhöhte Blutfettwerte, Gewichtszunahme und brüchige Knochen. Die Nebenwirkungen von Xolair halten sich in Grenzen. Bei lediglich zwei Patienten habe man die Therapie einstellen müssen, da sie unter Schwindel und Müdigkeit litten.

Sonja Bielenberg hat nie geglaubt, dass sie jemals wieder Fahrrad fahren, geschweige denn durch den Humboldthain joggen könnte. Seit der Therapie im Netzwerk SAA habe sich ihr Leben vollkommen verändert. Sie fühle sich wie ein normaler gesunder Mensch, und während sie das sagt, leuchten ihre von blauem Kajal gerahmten Augen. „Der Tag könnte von mir aus 48 Stunden haben. Dann hätte ich genügend Zeit, um all das nachzuholen, was ich verpasst habe.“

www.netzwerk-saa.de

Laura Wieland

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