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Gesundheit: Auch nach 1945 harrten viele jüdische Überlebende in Lagern aus

Sie hatten Arbeits- und Konzentrationslager und Todesmärsche überlebt. Sie kamen nach jahrelanger Isolation aus Verstecken.

Sie hatten Arbeits- und Konzentrationslager und Todesmärsche überlebt. Sie kamen nach jahrelanger Isolation aus Verstecken. Sie überlebten, während ihre Verwandten, Nachbarn und Freunde ermordet worden waren. Im Mai 1945 wurden sie zu Displaced Persons (DP) - Heimatlosen. Kurz nach der Befreiung durch sowjetische oder amerikanische Truppen hätten sie sich vorgestellt, wie sie in einem Triumphzug das Lager verlassen würden, erzählte ein Zeitzeuge bei der Konferenz des Potsdamer Moses-Mendelssohn-Zentrums, die jetzt in der Europäischen Akademie in Berlin begann. Doch weitere Jahre Lagerleben folgten.

Mit offenen Armen in ihrer Heimat aufgenommen zu werden, dies hofften die Befreiten. Aber es kam ganz anders: Vor allem die osteuropäischen Juden konnten nicht in ihre Geburtsorte zurückkehren, denn dort begegnete man ihnen zumeist feindselig. So verübte die polnische Bevölkerung im Herbst 1945 Pogrome an Juden, beispielsweise in Kielce, wo 40 jüdische Heimkehrer umgebracht wurden. Deshalb richteten die Alliierten überall in Deutschland Camps ein, in denen die DP auf ihre Auswanderung nach Palästina oder in die USA warteten.

Für die meisten deutschen Juden war es ohnehin undenkbar, wieder im Land der Täter des Holocaust zu leben. In ihren Heimatorten suchten sie vor allem nach ihren Verwandten. Anschließend wollten sie weiter wandern. Trotzdem entstanden kurz nach Kriegsende in einigen deutschen Städten wieder jüdische Gemeinden. "Der Anfang nach dem Ende. Jüdisches Leben im Nachkriegsdeutschland" - so lautet das Thema der Tagung des Potsdamer Zentrums für europäisch-jüdische Studien.

Deutschland war ein denkbar schlechtes Gastland für die Befreiten. Bis etwa 1955 habe sich den überlebenden Juden die nichtjüdische Gesellschaft als "spätnazistisches Umfeld" dargestellt, sagte Michal Bodemann von der Universität Toronto. Der Antisemitismus sei "vielleicht virulenter gewesen als vor 1945", weil sich nunmehr das antisemitische Bewusstsein endgültig durchgesetzt hätte. Die anfängliche Isolation Deutschlands und der Beginn der Aussöhnung von Deutschen und Juden wurden in den Medien unter dem Motto "Jetzt sind wir wieder quitt" betrachtet. Das Schicksal der Juden wurde "aktiv verschwiegen".

In Lokalzeitungen aber fanden sich durchaus Nachrichten aus den DP-Camps. Allerdings ging es meistens um Schwarzmarkthandel und kriminelle Delikte aus dem Umfeld der Lager. Hier klaffte das Selbstbild der Displaced Persons, zumeist polnische Juden auf dem Weg nach Palästina, mit dem Bild der DPs in der angestammten deutschen Bevölkerung weit auseinander. Angelika Eder von der Universität Hamburg untersuchte das Kulturleben in jüdischen DP-Lagern und fand "Orte der jüdischen Selbstvergewisserung". Die Übergangszeit in den Lagern sollten die Überlebenden dazu nutzen, ihre Verfolgungserfahrung zu verarbeiten und sich auf das Leben in der neuen Heimat vorzubereiten. Jiddische Theateraufführungen setzten das Kulturleben der Vorkriegszeit fort und brachten den überlebenden Jugendlichen jiddische Kultur und Sprache näher. Schule und Berufsausbildung schlossen Bildungslücken, die die "verlorenen Jahre" in Gettos und Lagern aufholten.

Verlorene Jahre aufgeholt

Das Leben in den DP-Lagern verlief als "Staat im Staate". Die Auswanderer hatten trotz jahrelanger Wartezeiten kaum ein Interesse, sich auf ihre nichtjüdische Umgebung einzulassen. Aber auch die, die die Lager schließlich doch verließen oder sich gleich in Städten und Gemeinden niedergelassen hatten, blieben in den ersten Jahren bis Jahrzehnten weitgehend unter sich. Er habe erst Ende der 80er Jahre sein Schweigen gebrochen und private Kontakte zu nichtjüdischen Deutschen aufgenommen, berichtete Arno Lustiger. Lustiger, einst aus Polen ins Konzentrationslager deportiert, nach dem Krieg Textilfabrikant und Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt am Main, wurde spät zum Zeitzeugen und Historiker jüdischer Geschichte. "Ich habe lange nicht mit Menschen meines Alters gesprochen. Ich wollte mir keine Lügen anhören", begründete er sein Schweigen.Die Tagung läuft noch bis Mittwoch. Informationen bei der Europäischen Akademie unter 030 / 895 95 10

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