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Gesundheit: Auf breiter Front gegen Biowaffen

Forscher setzen auf internationale Zusammenarbeit – auch mit Feinden von einst/Berlin als Zentrum

Als im letzten Herbst, kurz nach dem 11. September, in den USA fünf Menschen an Lungenmilzbrand starben und auch in Deutschland Briefsendungen unter dem Verdacht standen, Sporen des Bakteriums Bacillus anthracis zu enthalten, war der Begriff „Biowaffen“ plötzlich allgegenwärtig. Neben dem Milzbrand-Erreger kam vor allem das hochgefährliche Botulinum-Gift ins Gespräch, außerdem der Erreger der Pocken.

Krankheitserreger als Waffen? Helmut Hahn, Leiter des Instituts für Infektionsmedizin der Freien Universität, spricht lieber von „absichtlich verbreiteten Mikroorganismen“. Über Erreger von Pocken und Milzbrand, über Botulinumtoxin wie über Viren, die exotische Krankheiten wie Ebola-hämorrhagisches Fieber oder Hantafieber hervorrufen können, wurde in Berlin bei einem Symposium gesprochen. Auf Einladung des Universitätsklinikums Benjamin Franklin und des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie trafen sich bei dieser Gelegenheit erstmals Biowaffen-Experten aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion und aus den USA mit Kollegen aus Europa.

Mikroorganismen sind heimtückisch, wie jeder schon von einer harmlosen Erkältung weiß: Man sieht sie nicht, man kann sie häufig nicht einmal am Geruch erkennen, man kann sie transportieren. Und die Viren und Bakterien sorgen im Zweifelsfall ohne teure Waffenprogramme durch Infektionen selbst für ihre Vermehrung. Wer sie absichtlich zu militärischen oder terroristischen Zwecken verbreitet, wird diese Eigenschaften als nützlich empfinden. Oder sie mittels biotechnologischer Verfahren sogar noch optimieren.

Die „klassischen“ Bio-Kampfstoffe könnten nach Hahns Überzeugung schon bald zum „Dampfmaschinen-Zeitalter des Bioterrorismus“ gehören. Zumindest, falls es gelingen sollte, Bakterien so zu verändern, dass sie so ansteckend werden wie manche Viren und zudem selbstzerstörerische Immunreaktionen des Körpers in Gang setzen.

Die Mikrobiologin und UN-Waffeninspektorin Gabriele Kraatz-Wadsack vom Berliner Robert-Koch-Institut berichtete von ihrer Suche nach „Klassikern“ wie Milzbrand-Erregern im Jahr 1995 im Irak. Bekanntlich wurden die Experten damals an verschiedenen Orten fündig, unter anderem in einer militärisch auffallend gut bewachten „Hühnerfarm“. Sie entdeckten, dass hier Labortests und Tierversuche mit hochinfektiösen, lebensgefährlichen Mikroorganismen liefen.

Dass auf diese Weise biologische Waffen geschmiedet werden sollten, war aber schwer zu beweisen: „Das Problem ist die doppelte Nutzung.“ Denn auch um sich gegen Angriffe mit Krankheitserregern und Biogiften zu schützen, um also Impfstoffe und Gegenmittel zu entwickeln, muss man mit den Mikroorganismen im Labor arbeiten. Deshalb ist es schwer, den Beweis zu führen, dass sie anschließend „absichtlich verbreitet“ werden sollen.

Umgekehrt ist es auf diesem sensiblen Gebiet auch nicht leicht, zwischen Wissenschaftlern aus ehemals verfeindeten Staaten Vertrauen aufzubauen. In dieser Hinsicht hält der junge Biochemiker und Mediziner Jens Kuhn das Symposium, bei dem erstmals drei russische Biowaffen-Experten referierten, für einen Durchbruch. Kuhn hat im vergangenen Jahr als erster „Westler“ im „Vector“-Forschungsinstitut in Koltsovo einen Forschungsaufenthalt verbracht. Wenn Biowaffen-Programme gestoppt werden, dann kann das sogar weniger Sicherheit zur Folge haben: Zum einen kann es dann passieren, dass arbeitslose Waffenexperten von anderen Staaten abgeworben werden.

Zum anderen ist auch für defensive Forschung meist weniger Geld vorhanden, so dass Vorhaben leiden, die dem Schutz der Bevölkerung dienen. Militärische Nutzung von Mikroorganismen und Schutz gegen sie sind schon deshalb nicht zu trennen, weil die Experten die Sachkompetenz für beides in Personalunion verkörpern. „Sie sind diejenigen, die nach ihrer Abkehr von offensiven Programmen für die Kontrolle und die Biosicherheit zuständig sein müssen“, sagte Kuhn.

Schon deshalb hatte Institutschef Hahn auch ehemalige „Bastler“ nach Berlin eingeladen: „Der Austausch von Erfahrungen dient dabei in erster Linie der Entwicklung von Gegenmaßnahmen.“ Berlin, nach Hahns Worten „als erste westliche Großstadt eine hervorragende Anlaufadresse für Forscher aus der ehemaligen Sowjetunion“, scheint als Treffpunkt besonders geeignet. Die Organisatoren des Symposiums haben hier noch mehr vor: Ein „Center of Excellence“ soll die Kompetenzen und Forschungsaktivitäten im Bereich Biowaffen bündeln. Hahn hofft, dass Bundesmittel dafür nicht erst fließen, wenn neue Meldungen über echte oder vermeintliche Anschläge die Öffentlichkeit alarmiert haben. Wie in den USA, wo nach dem Tod der fünf Anthraxopfer mehrere Milliarden Dollar für Forschung und Verteidigung bereitgestellt wurden.

Adelheid Müller-Lissner

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