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Gesundheit: Auf den Zahn gefühlt

Ein veraltetes Paukstudium und zu wenig Forschung – Experten kritisieren die Zahnmedizin

Die Kritik lässt Gedanken an die despektierliche Bezeichnung „Zahnklempner“ aufkommen: Wer in Deutschland Zahnmedizin studiert, muss vor allem viel auswendig lernen und immer gleiche Handgriffe einüben. Das in etwa meint der Wissenschaftsrat, wenn er in seinem Gutachten zur Zahnmedizin moniert, die Ausbildung der rund 30000 Studierenden an den Universitäten beschränke sich „oftmals auf eine überwiegend rezeptive und repetitive Bewältigung einer großen Stofffülle, eine zeitökonomische Arbeitsweise und mechanisch-technische Fähigkeiten“. Wissenschaftliche Neugier wird kaum geweckt. Die Zulassung für den Beruf stammt aus dem Jahr 1955.

Ein weiterer Hauptkritikpunkt: An den 31 universitären zahnmedizinischen Standorten werde meist nicht ausreichend geforscht. „Im internationalen Vergleich rangieren die zahnmedizinischen Forschungsleistungen in Deutschland auf relativ niedrigem quantitativem Niveau“, stellen die Experten fest. Zwar habe es in den letzten 15 bis zwanzig Jahren bereits deutlich positive Veränderungen gegeben. Und das, obwohl es für Wissenschaftler deutlich weniger Ressourcen, zum Beispiel Laborplätze, gebe als etwa in der Schweiz. Doch diese Anstrengungen genügen noch nicht.

Die Kooperation zwischen Human- und Zahnmedizin ist hierzulande nicht eng genug. Die Zahnmedizin ist ein besonderer Teil der Medizin. Einerseits ist das „Kauorgan“ ebenso Bestandteil des menschlichen Organismus wie Herz, Magen oder Hüftgelenke. Andererseits sind Spezialisten mit seiner Behandlung betraut, die vom ersten Tag ihres Studiums an nicht einfach „Medizin“, sondern ein eigenes Fach studieren. Die Zahnmediziner bilden gemeinsam mit den Humanmedizinern eine Fakultät, bleiben dort aber traditionell in der Minderheit.

Wie können Forschung und Lehre in der universitären Zahnmedizin gestärkt werden? Die Experten für das menschliche Kauorgan sind personell deutlich schlechter ausgestattet als ihre Fakultätskollegen von der Humanmedizin. Dort kommen auf einen Wissenschaftler 0,4 Studienanfänger, während es bei den Zahnmedizinern 1,3 sind. Obwohl sie innerhalb der medizinischen Fakultät 18 Prozent der Studenten stellen, werden die Zahnmediziner von nur neun Prozent der Professoren unterrichtet.

Klaus-Peter Lange, Geschäftsführender Direktor des Zentrums für Zahnmedizin an der Charité Campus Virchow („Zahnklinik Nord“), begrüßt deshalb die Forderung des Wissenschaftsrates, in Forschung und Lehre personell aufzustocken. „In der Zahnmedizin hat man als Betreuer eine besonders große Verantwortung, weil die Studenten sehr viel am Patienten arbeiten.“ Ein Betreuer auf sechs Studenten, das ist in der praktischen Arbeit wenig. Durch eine veraltete Kapazitätsverordnung ist die Zahnmedizin in der Lehre nach Langes Ansicht chronisch überfordert.

Doch auch die vom Wissenschaftsrat als zu „zahntechnisch“ kritisierte Ausbildung und die zu stark „materialwissenschaftlich“ ausgerichtete Forschung haben Auswirkungen auf die Nachwuchsförderung. Denn das „Potenzial der Abiturbesten“, die sich im Numerus-clausus-Fach einschreiben, wird durch diese Anlage des Studiums nicht ausreichend genutzt. Der Wissenschaftsrat empfiehlt eine Entrümpelung des Curriculums und mehr „akademische Kultur“. Doch wer umfassendere zahnmedizinische Forschung wolle, braucht auch Mut zur Investition öffentlicher Gelder. Die bislang dominierende Materialforschung werde von der Industrie eher mit Drittmitteln gefördert, gibt Lange zu bedenken.

Natürlich wünschen sich Patienten Zahnärzte mit guter Kenntnis der Biomaterialien und großem „handwerklichem“ Geschick. Zugleich aber, so betont Lange, geht der Trend zur Prävention. In der Praxis gewinnen für die Zahngesundheit Dentalhygieniker an Bedeutung, mit denen sich auch der Wissenschaftsrat befasst. Er empfiehlt, dass der Beruf an Fachschulen erlernt werden soll.

Karies und Krankheiten des Zahnhalteapparats, allgemein als „Parodontose“ bezeichnet, sind in Deutschland Volkskrankheiten. Langes Charité-Kollege Jean-Pierre Bernimoulin, spezialisiert auf Erkrankungen des Zahnfleischs, sieht hier ein deutliches Forschungsdefizit: „Eine zahntechnisch orientierte Zahnmedizin kann zwar die sichtbaren Defekte der Patienten versorgen, doch wir brauchen darüber hinaus biologisch-medizinisch orientierte Ansätze“, sagt der Wissenschaftler, der Deutschlands bislang einziges zahnmedizinisches Graduiertenkolleg ins Leben gerufen hat. Auch aufgrund der demografischen Entwicklung, die immer mehr alte und chronisch kranke Patienten auf den Zahnarztstuhl führen wird, wird die Zusammenarbeit mit den Humanmedizinern immer wichtiger werden. „Wir gehören in die Medizin“, pflichtet Lange deshalb dem Wissenschaftsrat bei.

Mit 76 Zahnärzten auf 100000 Einwohner hat Deutschland eine vergleichsweise hohe Zahnarztdichte. Darunter sind jedoch nur knapp acht Prozent Fachzahnärzte. Die Zahnkliniken der Unis haben deshalb auch in der Versorgung zahnmedizinisch schwieriger Fälle eine besondere Aufgabe – zusätzlich zu ihren Ausbildungs- und Forschungsaufgaben. Andere Länder hätten in den Praxen ein größeres Spektrum und kümmerten sich mehr um die Weiterbildung nach dem Studium, kritisiert der Wissenschaftsrat. Er plädiert für universitäre Weiterbildungsstudiengänge, in denen „fertige“ Zahnärzte sich auf dem neuesten Stand halten sollen, etwa indem sie einen Master in Implantologie oder Parodontologie abschließen.

Was die Studienanfänger betrifft, so halten die Experten eine „maßvolle Absenkung“ ihrer Zahl für vertretbar. Die Standorte sollten von 31 auf maximal 25 reduziert werden. Deren Mindestgröße solle allerdings bei 40 Anfängern liegen. In Berlin ist im Zuge der Strukturreform der Charité eine Reduktion von 160 auf 80 Erstsemester und die Schließung eines Standorts vorgesehen.

Die Hinweise des Wissenschaftsrats werden nicht ohne Konsequenzen bleiben – so oder so. „Der Wissenschaftsrat wird in fünf Jahren prüfen, ob seine Empfehlungen aufgegriffen wurden und forschungs- und lehrförderliche Strukturen entstanden sind“, so der Vorsitzende des Gremiums, der Berliner Charité-Neurologe Karl Max Einhäupl. Sollten dann „keine substanziellen Fortschritte“ an den Medizinischen Fakultäten erreicht worden sein, werde man voraussichtlich die „Schließung einzelner zahnmedizinischer Ausbildungsstätten“ empfehlen.

Erste Früchte trägt die Kritik bereits. Wie das „Deutsche Ärzteblatt“ jetzt berichtet, wollen Bundeszahnärztekammer, Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde und die Vereinigung der Hochschullehrer für die Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde dem Bundesgesundheitsministerium in Kürze einen Entwurf einer novellierten Approbationsordnung vorlegen.

Adelheid Müller-Lissner

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