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Gesundheit: Augenlicht aus dem Labor

Mit Hilfe elektronischer Chips wollen deutsche Wissenschaftler Blinde wieder sehend machen

Brigitte vertrug den Mikrochip einwandfrei. Bereits wenige Stunden nach der Operation war die Schweine-Dame wieder beinahe die Alte. Und selbst nach Wochen entzündete sich ihr rechtes Auge kein bisschen. Dabei hatte Helmut Sachs, Oberarzt an der Regensburger Uni-Augenklinik, ihr einen beachtlichen Fremdkörper unter die Netzhaut (Retina) eingepflanzt. Später musste Brigitte an Experimenten teilnehmen und sich auch noch das zweite Auge operieren lassen. Dann wurde sie eingeschläfert.

Der schwache Trost: Andere Schweine werden lediglich verspeist; sie hingegen hat etwas für die Forschung geleistet. Die Implantate, die an ihr getestet wurden, könnten in Zukunft Hunderttausenden von Blinden und Sehbehinderten helfen.

Allein in Deutschland leiden rund 40 000 Menschen an der Netzhauterkrankung Retinitis Pigmentosa, gegen die die Medizin bis heute machtlos ist. Die lichtempfindlichen Sinneszellen der Retina sterben bei dieser Krankheit ab, und das Gesichtsfeld engt sich immer stärker ein. „Was die Patienten in einem fortgeschrittenen Stadium noch sehen, entspricht etwa dem Blick durch eine Röhre“, erklärt Sachs. „Häufig erblinden sie schließlich vollends.“ Zum künftigen Zielpublikum der Mikrochips zählen darüber hinaus Sehbehinderte, die an der berüchtigten Makuladegeneration leiden. Bei dieser Alterserkrankung bildet sich ein dunkler Fleck im Zentrum des Gesichtsfelds, der sich ständig vergrößert. Mehrere Millionen Menschen sind europaweit betroffen.

Doch die Lage scheint nicht hoffnungslos: „In der Regel werden bei diesen beiden Augenkrankheiten lediglich die eigentlichen Sehzellen der Netzhaut zerstört“, sagt Sachs. „Die darüber liegenden Ganglienzellen sowie der Sehnerv bleiben zumindest über lange Zeit hinweg verschont.“ Ingenieure, Informatiker, Biologen, Physiker und Ärzte arbeiten daher in ganz Deutschland an der Entwicklung von Netzhautprothesen. Zwölf Universitäten sowie zahlreiche Institute sind beteiligt, der deutsche Staat hat zehn Millionen Euro zur Verfügung gestellt.

Die Grundidee ist simpel: Ein ins Auge eingepflanzter Mikrochip übernimmt die Rolle der verlorengegangenen Sehzellen und stimuliert die Ganglienzellen durch elektrische Impulse. Diese Signale werden anschließend über den Sehnerv auf konventionelle Weise bis zum Gehirn weitergeleitet. Grundlegend verschieden sind allerdings die Methoden, mit denen die Bilder auf den Prothesen erzeugt werden:

Beim subretinalen Verfahren, das eine Forschungsgruppe um Eberhart Zrenner von der Uni-Augenklinik Tübingen und Helmut Sachs aus Regensburg vertritt, implantiert man die Mikrochips unterhalb der Netzhaut (Retina), und die optischen Informationen werden durch Mikro-Photodioden – künstliche Sehzellen, die sich auf den Chips selbst befinden – hergestellt.

Ein Team um den Bonner Rolf Eckmiller propagiert hingegen ein epiretinales Verfahren und befestigt die Implantate an der Netzhautoberfläche. Zur Aufnahme der Bilder setzt man externe Mini-Kameras ein, die diskret in Brillengestelle eingebaut werden können. Zusätzlich wird ein Computer zwischengeschaltet, der die Bilder vorverarbeitet und an den Chip im Auge weiterleitet.

Getestet werden die Netzhautprothesen derzeit an Schweinen wie Brigitte. „Wir präsentieren den Tieren Lichtblitze, und untersuchen, wie ihre Gehirnströme darauf reagieren“, sagt Sachs. Den Tieren wurden Elektroden unter die Schädeldecke operiert, die mit einem Kabel verbunden sind und in einem Stecker enden. Zur Messung der Gehirnströme kann man sie daher einfach an einen Computer anschließen.

Beim Schwein haben sich Implantate mit einer Grundfläche von drei mal acht Milimetern und einer Dicke von 0,1 Millimetern bewährt. In ähnlicher Größe sollen sie bald auch Menschen eingepflanzt werden. „Rund 1600 Photodioden finden auf den neusten Chips Platz“, sagt Zrenner. „Die visuelle Auflösung, die wir derzeit erreichen können, wäre daher rund 20 mal gröber als beim gesunden menschlichen Auge.“ Mit den ersten Implantaten möchte man Sehbehinderten zumindest wieder die Orientierung im Raum ohne Blindenstock ermöglichen. Doch die Zielgruppe ist begrenzt: Das Sehen wird in den ersten Lebensjahren erlernt. Blind geborene Menschen könnten daher später optische Signale nicht mehr interpretieren.

Christina Fasser, Präsidentin des Selbsthilfe-Vereins „Retina International“ in Zürich, ist eine potenzielle Empfängerin für Netzhaut-Microchips. Als Jugendliche erkrankte sie an Retinitis Pigmentosa, und seit fünf Jahren nimmt sie kein Licht mehr wahr. Psychologische Hilfe sei nach einer Implantation zwingend, sagt sie. Sie verweist auf die Erfahrungen mit Prothesen für Gehörlose: „Viele Patienten durchleben die negativen Emotionen, die einst durch die Ertaubung bewirkt wurden, nach der Implantation noch einmal.“ Trotzdem gebe es viele Interessenten für künstliche Netzhäute: „Von der Erblindung bedrohte Patienten klammern sich meist an jedes optische Signal.“

Helmut Sachs plant noch in diesem Jahr einen ersten Versuch am Menschen.

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