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Gesundheit: Babyfernsehen für den werdenden Vater

Männer erleben heute Schwangerschaft und Entbindung hautnah mit – ihre Rolle ist bedeutsam, aber schwer festzulegen

Wenn der junge Mann abends mit seiner Freundin zusammensitzt, legt er neuerdings seine Hände auf ihren Bauch. Unter der Bauchdecke beginnt dann sein Kind zu strampeln. Das, so versichert die werdende Mutter, tut es bei noch so gut mit ihr befreundeten „Fremden“ nicht.

Heute ist man ziemlich sicher, dass Neugeborene die Stimmen und den Tonfall ihrer Eltern kennen. Der „neue Vater“, der Schwangerschaft und Geburt zusammen mit seiner Partnerin bewusst und intensiv erlebt, erblickte zur gleichen Zeit das Licht der Welt, zu der Psychologen begannen, vom „kompetenten Säugling“ zu sprechen. Eine Chance für den Vater, schon eine privilegierte Beziehung zu seinem Kind aufzubauen, während das noch in der Gebärmutter heranwächst.

Dabei helfen ihm auch Bilder. Der Hamburger Gynäkologe Jürgen Schumann sprach unlängst beim Deutschen Kongress für Perinatale Medizin in Berlin vom „besonderen Benefit des Mannes durch den Ultraschall“: Vor allem die Väter, so seine Erfahrung aus der Praxis, sind ganz wild darauf, das Ungeborene in Augenschein zu nehmen. „Früher konnten sie nur ihre Hand drauflegen, heute wollen die Väter ihre Kinder möglichst früh sehen.“

Zum Sehen gehören jedoch nicht nur die technisch immer besser werdenden Ultraschallbilder samt 3D-Aufnahmen, die schon als „Babyfernsehen“ bezeichnet werden. Auch die Bilder, die in der Fantasie beim Gedanken an das Kind entstehen, sind entscheidend. „Bei meinen Kursen sind nicht nur Väter und Mütter, sondern auch sieben bis acht Ungeborene im Raum, und ich rege die werdenden Eltern an, nach innen zu spüren“, sagt die Karlsruher Hebamme Elisabeth Braasch. Die Psychologin Bärbel Derksen, die in der Erziehungs- und Familienberatungsstelle des Deutschen Roten Kreuzes in Steglitz Eltern mit Babys und Kleinkindern berät, hält das Entstehen von solchen inneren Bildern während der Schwangerschaft für besonders bedeutungsvoll: Sie prägen die spätere Beziehung zum Kind entscheidend.

Diese neun Monate sind überhaupt für das Paar wichtig. „Gerade in der Phase der Schwangerschaft sind zukünftige Eltern aufgeschlossen dafür, dass Schwangerschaft und Geburt in einen größeren Zusammenhang menschlicher Grunderfahrungen gestellt werden“, sagt die Gynäkologin und Psychosomatikerin Mechthild Neises von der Medizinischen Hochschule Hannover, die Männer und Frauen zu dieser Lebensphase befragte. Auch der Gynäkologe Schumann erlebt bei „seinen“ Eltern den großen Wunsch nach einem gemeinsamen Erleben der Schwangerschaft.

60 Prozent der Männer besuchen zusammen mit ihren Partnerinnen einen Geburtsvorbereitungskurs. Dort geht es auch um Möglichkeiten unterstützender Massage und um Atemtechnik während der verschiedenen Phasen der Entbindung. Denn vor allem eines scheint heute Ehrensache zu sein: 90 Prozent der werdenden Väter sind inzwischen im Kreißsaal dabei. Selbst ein Kaiserschnitt ist längst kein Hinderungsgrund mehr.

Dass auf diesem Gebiet in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine kleine Kulturrevolution stattgefunden hat, wird möglicherweise zu wenig beachtet. Mechthild Neises sprach beim Kongress jedoch auch vom „Druck“, der inzwischen auf die Väter ausgeübt wird – nicht zuletzt von ihnen selbst.

„Es wäre unüberlegt, jetzt alle Männer in den Kreißsaal zu bringen, und dies manchmal gegen ihren Willen, nachdem man sie vorher völlig ausgeschlossen hat“, gibt auch die engagierte luxemburgische Initiative „Liewensufank“ (www.liewensufank.lu) zu bedenken. Die Männer sollten statt dessen die Freiheit haben, über ihre Wünsche und Motive nachzudenken. Und auch über ihre mögliche Rolle im Kreißsaal, wenn sie denn mitkommen. Als „Assistent“ fühlt sich nicht jeder Kindsvater wohl. Diese Rolle kann in manchen Fällen eine erfahrene enge Freundin der Gebärenden besser ausfüllen.

Wer bei der Geburt selbst nicht dabei ist, ist deshalb kein schlechter Partner oder Vater. Er kann trotzdem schon zuvor für ihren Ablauf einiges geleistet haben. „Der Umfang der Geburtsangst“, so weiß Neises aus ihren Befragungen, „ist stark abhängig von der Qualität der Partnerschaft.“ Die aber erlebt ihre Bewährungsproben vorwiegend außerhalb des Kreißsaales: Zum Beispiel, wenn das Paar all die unterschiedlichen Ratschläge in Ruhe bespricht, prüft und gegebenenfalls auch einmal an sich abprallen lässt, die Experten und Ratgeberliteratur beisteuern. Wenn es sich über die jeweiligen Erfahrungen und Erziehungsvorstellungen in den Herkunftsfamilien austauschen kann. Oder auch, wenn ein Mann seine schwangere Partnerin streichelt – und sie dabei deutlich unterscheiden kann, wen er diesmal meint: Das Ungeborene oder sie persönlich.

Die Broschüre „Beifahrer – Kleiner Tourenplan für werdende Väter“ gibt es bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA):

order@bzga.de,

Fax: 0221 / 8992257

Adelheid Müller-Lissner

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