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Gesundheit: Balsam gegen Schwangerschaftsbeschwerden

Von Rolf Degen Es ist eine der Besonderheiten des Menschen, dass er sehr viel mehr Zeit mit Sex verbringt, als für den puren Akt der Fortpflanzung notwendig wäre. Manche Praktiken, wie die von manchen Männern gerühmte „französische“, sind scheinbar unfruchtbare Auswüchse der erotischen Genusskultur.

Von Rolf Degen

Es ist eine der Besonderheiten des Menschen, dass er sehr viel mehr Zeit mit Sex verbringt, als für den puren Akt der Fortpflanzung notwendig wäre. Manche Praktiken, wie die von manchen Männern gerühmte „französische“, sind scheinbar unfruchtbare Auswüchse der erotischen Genusskultur. Doch wie jetzt verblüffende Ergebnisse der empirischen Forschung beweisen, trägt ausgiebiger Kontakt mit dem männlichen Ejakulat bei der Frau maßgeblich zu einer gesunden und erfolgreichen Schwangerschaft bei.

Viele Störungen der Schwangerschaft gehen auf eine Weigerung des mütterlichen Immunsystems zurück, den Fötus und die Plazenta zu akzeptieren. Die vom Vater stammenden Antigene werden in diesem Falle aggressiv als „fremd“ bekämpft. Eine sehr frühe Abstoßungsreaktion geht mit einer Ablehnung der Embryonen einher und hat eine völlige Unfruchtbarkeit zur Folge. Wenn die Arbeit des Immunsystems etwas länger dauert, muss die Schwangere mit wiederholten Fehlgeburten rechnen. Zuweilen nimmt die Abstoßung so milde Formen an, dass sie sich ausschließlich gegen den Mutterkuchen (Plazenta) richtet.

Aber auch dieser fehlgeleitete Schutzreflex kann schlimme Folgen haben, wie die „Prä-Eklampsie“ beweist. Bei dieser akuten Erkrankung, die mit Blutdruckkrisen, Nierenversagen und lebensbedrohenden Krämpfen verbunden ist, werden auffallend viele fötale Zellen im Blutstrom der Mutter gefunden. Eine Forschergruppe um den Reproduktionsmediziner Gustaaf Dekker von der Universität von Adelaide in Australien führt diese Krise auf einen Übergriff des mütterlichen Immunsystems gegen die Plazenta zurück. Eine der besten Strategien, um solchen Abstoßungsreaktionen vorzubeugen, besteht nach den Beobachtungen der Forscher darin, reichlich Kontakt mit Samen zu pflegen - und sei es auch in Form von Fellatio.

Die Wissenschaftler waren von der Beobachtung ausgegangen, dass der männliche Samen einen „Balsam“ zur Besänftigung des mütterlichen Immunsystems enthält. In den ersten 15 Stunden nach dem Koitus wird die Gebärmutter von unzähligen Zellen des Immunsystems patrouilliert, die misstrauisch die eingedrungenen Spermien sondieren. Insbesondere nach mehrmaligem Kontakt mit den Agenten der Abwehr gelingt es den Spermien jedoch meist, ihre friedlichen Absichten zu demonstrieren. Wenn diese Überzeugungsarbeit misslingt, können massive Abstoßungsreaktionen bis hin zum gefürchteten anaphylaktischen Schock auftreten.

„Gefährliche Männer“

Die australischen Reproduktionsmediziner haben sogar Anzeichen gefunden, dass dieses Problem bei gewissen „gefährlichen Männern“ verstärkt auftritt. Beim Durchforsten von 1,7 Millionen Geburtsakten kam ans Tageslicht, dass der Geschlechtsverkehr mit diesen Männern das Risiko einer Prä-Eklampsie um das Doppelte erhöht. Auch eine Studie an alleine lebenden Frauen, die mehrfach schwanger wurden, stützte die Theorie. Von den Frauen, die vor der letzten Schwangerschaft über ein Jahr Geschlechtsverkehr mit dem Vater des Kindes hatten, zogen sich nur fünf Prozent die Krankheit zu. Von den Frauen, die erst ein paar Monate mit dem Vater des Kindes schliefen, ereilte es dagegen 40 Prozent.

In der Folgezeit häuften sich dann die Beweise, dass ausgiebiger Kontakt mit dem (verträglichen) Samen eine gesunde Schwangerschaft unterstützt. So hat sich in den letzten Jahren herausgestellt, dass die Erfolgsquote der künstlichen Befruchtung steigt, wenn das Ehepaar gleichzeitig Geschlechtsverkehr hat. Beim Benutzen von Kondomen, die den Kontakt mit dem Samen reduzieren, geht andererseits die Wahrscheinlichkeit für eine Prä-Eklampsie in die Höhe. Und Dekker machte schließlich sogar die pikante Entdeckung, dass Fellatio den Fortpflanzungserfolg erhöht.

Es ist eine altbekannte Tatsache, dass die orale Zufuhr von Stoffen die Abstoßung dieser Substanzen durch das Immunsystem reduziert. Nur so wird es möglich, dass wir täglich gigantische Mengen von fremdem Eiweiß mit der Nahrung aufnehmen, ohne dass unser Immunsystem in Form einer Allergie rebelliert. Bei Mädchen, die eine Zahnspange aus Nickel tragen, ruft Nickel später viel seltener eine Allergie hervor. Nach dem gleichen Muster setzt Fellatio offenbar eine orale Toleranz gegen Sperma in Gang. 82 Prozent aller Frauen, die ihre Schwangerschaft erfolgreich abschlossen, so ermittelte Dekker in seiner Studie, hatten Fellatio praktiziert. Von den Schwangeren mit Prä-Eklampsie hatten dagegen nur 44 Prozent diese Sexpraktik angewandt.

Ein besänftigendes Eiweiß

Auch bei der Isolierung des Balsams im Samen haben die Wissenschaftler Fortschritte gemacht. Schlüsselsubstanz ist demnach das TGF-beta, ein wachstumsfördernder Faktor, der die Agenten des mütterlichen Immunsystems in der Gebärmutter anlockt. TGF-beta lockt die Immunzellen aber nicht nur an, es hat gleichzeitig die Macht, sie friedlich zu stimmen. Die Forscher spritzten Proteine aus dem Samen männlicher Mäuse in den Uterus weiblicher Mäuse. Dann spritzten sie den Weibchen die gleichen Eiweiße unter die Haut. Die Folge war eine schwere Allergie, es sei denn, die Forscher hatten bei der ersten Injektion TGF-beta beigefügt.

Wenn sich der Verdacht erhärtet, dass es bei den „gefährlichen Männern“ schlicht und einfach an dem Besänftigungsfaktor hapert, steht bereits ein Therapieversuch vor der Tür. In diesem Falle wird man Frauen, deren Schwangerschaft gescheitert war, einer Behandlung mit TGF-beta unterziehen. Der Trick besteht vermutlich darin, dass man den Faktor zusammen mit dem Sperma, etwa als vaginales Gel, appliziert.

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