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Gesundheit: Begabungsförderung: Untalentierte gibt es nicht

Auf die Frage, wer ist eigentlich begabt, antwortete der niedersächsische Bildungsminister Walter Remmers schon vor Jahrzehntengern augenzwinkernd und lebenserfahren: "Natürlich die Begabten - und das eigene Kind". Diese Beschreibung zu übertreffen, scheint schwierig und Forschern wie Praktikern Probleme zu bereiten.

Auf die Frage, wer ist eigentlich begabt, antwortete der niedersächsische Bildungsminister Walter Remmers schon vor Jahrzehntengern augenzwinkernd und lebenserfahren: "Natürlich die Begabten - und das eigene Kind". Diese Beschreibung zu übertreffen, scheint schwierig und Forschern wie Praktikern Probleme zu bereiten. Genies wie Albert Einstein oder Stephen Hawkins prägen unsere Vorstellung und Faszination von Hochbegabung. Solche Talente in der Schule eventuell nicht zu erkennen und zu entwickeln, schreckt Experten wie Eltern. Auch für die vielen anderen Kinder geht es immer mehr an den Erfordernissen des Arbeitsmarktes vorbei, Begabungen nur zu suchen statt sie zu entwickeln. Doch die deutsche NS-Geschichte mit den Versuchen, den überlegenen arischen Menschen zu züchten, erschwert die Annäherung an dieses aktuelle Thema noch heute. Die Humboldt-Universität und das Bund-Länder-"Forum Bildung" versuchten jetzt, sich dem "Finden und Fördern von Begabung" mit einer Fachtagung zu nähern und das Tabu der Begabtenförderung aufzubrechen.

"Die Welt ist voller Spielräume für die geistige Entwicklung sehr unterschiedlich begabter Individuen" - mit diesem hoffnungsvollen Satz des Psychologen Franz Weinert begann Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) für ihre Vorstellung von der künftigen Begabungsförderung zu werben. Diese Spielräume müssten künftig auch für Kinder aus ärmeren Elternhäusern stärker genutzt werden, trug sie den anwesenden Pädagogen und Forschern in guter sozialdemokratischer Tradition vor. Denn "in einer globalisierten Wirtschaft brauchen wir möglichst viele leistungsstarke Menschen, um wettbewerbsfähig zu sein. Also begabte Menschen aus allen Schichten."

Und mit dem Altern der Gesellschaften in Europa gewinnt das Problem noch an Brisanz. "Vor allem in geburtenschwachen Jahrgängen wird es immer wichtiger, alle Begabungen zu entdecken und zu fördern, weil es künftig noch mehr auf jeden Einzelnen ankommt", stellte Bulmahn den aktuellen Kontext zum wachsenden Fachkräftemangel auf den Arbeitsmärkten der Industrieländer her.

Zugleich erneuerte die Ministerin ihr Bekenntnis zur "Leistungselite", die von Wirtschaft und Gesellschaft gebraucht wird. Sie plädierte dafür, die Förderung von Leistungsschwachen und von Hochbegabten nicht länger als Widerspruch anzusehen. Bisher beklagt die eine Lobby das Fehlen von angemessener Förderung von Hochbegabten und deren tragisches Schicksal. Auf der anderen Seite werden die gesellschaftlichen Kosten für die nach wie rund zehn Prozent jedes Jahrgangs hochgerechnet, die die Schule ohne Abschluss verlassen und damit ohne realistische Aussicht auf eine Berufsausbildung und einen Arbeitsplatz.

Möglichkeiten zum Schnelldurchlauf

"Die Förderung von Begabungen dürfen wir nicht auf die besonders leistungsfähigen Jugendlichen beschränken", so die Ministerin. Die Praxis an den Schulen müsse so verbessert werden, dass auch bisher Benachteiligte, wie zum Beispiel die Kinder berufstätiger, alleinerziehender Frauen gefördert würden. Schulstudien hatten gezeigt, dass Kinder von Alleinerziehenden für gleiche Leistungen oft schlechtere Noten bekommen und weniger für den Besuch einer weiterführenden Schule empfohlen werden. Bulmahn: "Künftig kommt es darauf an, jeden seiner Begabung entsprechend optimal zu fördern".

Alle Bundesländer haben inzwischen Fördermöglichkeiten für besonders Begabte gefunden. Sie können - jedenfalls nach den Regelungen auf dem Papier - früher eingeschult werden, eine Klasse überspringen und zeitiger ihre Abiturprüfung ablegen. Dafür haben die Kultusminister in den vergangenen Jahren überall Möglichkeiten eröffnet. Eine neue Untersuchung fordert besonders zusätzliche Förderangebote im Vorschulbereich und bei der Förderung von Mädchen. Denn diese neigten eher dazu, ihre besonderen Begabungen zu verstecken, um sich anzupassen. Gerade sehr Begabte schnitten dann in der Schule schlechter ab als erwartet. Für sie werden Förderprogramme ohne Jungen vorgeschlagen.

Doch letztlich scheint es ein schwierig Ding, Begabungen zu erkennen. Dies können häufig nur speziell geschulte Psychologen, heißt es in dem Bericht. Auch der Erziehungswissenschaftler und Humboldt-Vizepräsident Heinz-Elmar Tenorth verwies darauf, dass dies eines der seit langem ungelösten Probleme von Psychologen und Pädagogen ist. Der Jurist und Philosoph Karl Korsch, den die Nazis in die Emigration getrieben hatten, habe bereits den Finger auf diese Wunde gelegt: "So stark das Interesse an eugenischen Fragen ist: das Interesse an den Fragen, wie geistige Begabungen hervorgebracht, Talente und Genies gezüchtet werden können - so schwach und gering ist heute das Interesse an der Frage, wie mit dem vorhandenen Kapital von geistiger Begabung gewirtschaftet wird", zitierte Tenorth Korsch. So ist es denn die Begabungsdiskussion eine der unerledigt gebliebenen Herausforderungen des vergangenen Jahrhunderts. Inzwischen wissen wir, "dass 100 Jahre der Begabungsförderungspolitik nicht ausgereicht haben, Chancengleichheit über das Bildungswesen herzustellen."

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