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Gesundheit: "Bei mir kommt das Licht immer von links" - der Exzentriker und Nobelpreisträger Walther Nernst

"In Berlin finde ich es bis jetzt sehr nett. Die nächsten Fachkollegen, Laue, Planck, Einstein sind ja alle drei ganz besonders liebe Menschen - und mit Nernst lässt sich auskommen, wenn man sich ein für alle Mal über seine pathologische Eitelkeit und Rechthabesucht hinweggesetzt hat.

"In Berlin finde ich es bis jetzt sehr nett. Die nächsten Fachkollegen, Laue, Planck, Einstein sind ja alle drei ganz besonders liebe Menschen - und mit Nernst lässt sich auskommen, wenn man sich ein für alle Mal über seine pathologische Eitelkeit und Rechthabesucht hinweggesetzt hat." Über die Extravaganzen des damaligen Berliner Physik-Ordinarius Walther Nernst wusste nicht nur der neu in die Stadt gekommene Erwin Schrödinger zu berichten. Sie waren stadtbekannt und sind bis heute Gegenstand zahlreicher Anekdoten und mythischer Erinnerungen geblieben.

Nernsts Sinn fürs Spektakuläre war bereits bei seinem Berliner Amtsantritt im Jahre 1905 deutlich geworden. Berlin galt in den Jahrzehnten um die Jahrhundertwende als eines der führenden europäischen Wissenschaftszentren und speziell auf dem Gebiet der Physik lehrten an renommierten Forschungsstätten - von Universität und Technischer Hochschule über die Physikalisch-Technische Reichsanstalt in Charlottenburg und die Kaiser-Wilhelm-Institute in Dahlem bis hin zu den zahlreichen Industrielabors - eine Menge von Physikern, die ihresgleichen in der Welt suchte. Ein Ruf nach Berlin war damals die höchste Stufe auf der Karriereleiter eines Gelehrten.

Nernst hatte sich diesen Ruf mit harter Arbeit und brillanten Forschungsergebnissen auf dem Gebiet der physikalischen Chemie errungen. Er gehörte zu den Mitbegründern und Pionieren dieser besonders zukunftsträchtigen und innovativen Forschungsdisziplin und so suchte sich Nernst auch als moderner Professor wirkungsvoll in Szene zu setzen. Seine Übersiedlung von Göttingen nach Berlin wurde deshalb theatralisch mit dem Automobil vollzogen, selbst wenn dabei manche Unbill in Kauf zu nehmen war und die Reise sogar wegen einer Panne zwei Tage währte.

In Berlin macht Nernst sogleich mit einem wissenschaftlichen Paukenschlag auf sich aufmerksam, gelang ihm doch noch während seines ersten Berliner Semesters die Formulierung des dritten Hauptsatzes der Thermodynamik - des sogenannten Nernstschen Wärmetheorems, wonach der absolute Nullpunkt der Temperatur unerreichbar ist. Nernst hat im Zusammenhang mit seiner fundamentalen Entdeckung auf ein interessantes numerisches Phänomen hinsichtlich der Entdeckungsgeschichte der drei Hauptsätze der Thermodynamik hingewiesen: Hatte der erste Hauptsatz (mindestens) drei Entdecker: Mayer, Joule und Helmholtz; der zweite mit Carnot und Clausius nur noch zwei, so war der dritte Hauptsatz einzig das Werk eines Mannes, was natürlich schlüssig bewies, dass die Thermodynamik mit dem Nernstschen Wärmesatz ihre Vollendung erreicht hatte.

Neben solch Anekdotischem hat Nernst gleichwohl durch wichtige Forschungen zur Fundierung seines Wärmesatzes beigetragen; seine Präzisionsbestimmungen der spezifischen Wärmen verschiedener Stoffe bei tiefen Temperaturen machen ihn zudem zu einem der Pioniere der jungen Quantentheorie. Für seine "thermochemischen Arbeiten" erhielt er 1920 den Nobelpreis für Chemie. Die Quantentheorie war im übrigen im Herbst 1900 ebenfalls in Berlin durch Max Planck begründet worden, doch hatte man ihre revolutionären Konsequenzen für die Physik, ja für das Verständnis von der Natur überhaupt, lange Jahre nicht erkannt. Erst die Forschungen und Initiativen von Einstein, Nernst, Bohr und anderen Physikern brachten in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg den Umschwung und rückten die Quantentheorie ins Zentrum der physikalischen Forschung.

Forum für die Behandlung aktueller Fragen des Fachgebiets war im damaligen Berlin das Mittwochs-Kolloquium, zu dem sich die Physiker der Stadt wöchentlich im großen Hörsaal des Physikalischen Instituts am Reichstagsufer versammelten. In diesem Kolloquium gaben die Berühmtheiten den Ton an, war es doch in den zwanziger Jahren wohl der Ort mit der höchsten Nobelpreisträgerdichte in der Welt. Neben Nernst gehörten zu den Teilnehmer die Laureaten der Physik (und Chemie) Einstein, Haber, Hertz, Laue und Planck, wobei man künftige Preisträger wie Schrödinger, Bothe oder die jungen Ungarn Wigner und Gabor sowie die zahlreichen erstklassigen Physiker der "zweiten Reihe" (wie Geiger, Meitner, Paschen) keineswegs vergessen darf.

Auch in diesem exklusiven Kreis nahm Nernst eine besondere Rolle ein, gehörte er doch zu den besonders regen Diskutanten, der zuweilen aber auch mit seinen penetranten Zwischenfragen manch jungen Wissenschaftler in Angst und Schrecken versetzen konnte. Dass er auch hier hin und wieder über das Ziel hinausschoss, belegt eine Episode, in der er wiederholt eine Erklärung eines vermeintlich unklar beschriebenen optischen Experiments einforderte, bis ein anderer Nobelpreisträger dem Vortragenden zu Hilfe kam und Nernst das darlegte, was andere längst verstanden hatten. Jetzt verstand auch Nernst den Sachverhalt, ihn mit der Bemerkung kommentierend: "Bei mir kommt das Licht immer von links".

Dass die "Bonzen" den Ton angaben und sich andere, die durchaus schon Gewichtiges beizutragen wussten, im Berliner Kolloquium zurückhalten mussten, führte im Übrigen beim Besuch von Professor Niels Bohr im Frühjahr 1920 zu einer interessanten Reaktion der (noch) Nicht-Etablierten. Diese luden Bohr kurzerhand zu einem Privatissium ein, um mit dem neuen "Papst" der Atom- beziehungsweise Quantentheorie ungestört durch jegliche Etikette über die neuen Entwicklungen in der Atomphysik diskutieren zu können. Lise Meitner wurde mit der delikaten Aufgabe betraut, den großen, wenngleich um sechs Jahre jüngeren Bohr dafür zu gewinnen und zugleich Fritz Haber zu überzeugen, einen Raum für dieses "bonzenfreie Kolloquium" zur Verfügung zu stellen.

Fritz Haber akzeptierte diesen Vorschlag - allerdings unter der Bedingung, die Teilnehmer anschließend in seiner Dahlemer Villa empfangen und so indirekt doch noch an den Diskussionen des aufstrebenden Berliner "Nachwuchses" teilhaben zu können. Angesichts der katastrophalen Lebensmittelsituation jener Jahre wurde im Übrigen dieser "Kompromiss" des materiell gut gestellten Haber ohne weitere Diskussionen akzeptiert.

All dies war Teil einer einzigartigen schöpferischen Atmosphäre, diese unwägbare und doch sehr reale Qualität geistigen Schaffens, die Berlin in den Jahrzehnten um die Jahrhundertwende gerade in der Physik und den Naturwissenschaften zu einer Belle Epoque - vielleicht mehr noch als im so of gepriesenen kulturellen Rahmen - gemacht hatten. Sie ging mit der nationalsozialistischen Machtübernahme im Jahre 1933 verloren, wurde binnen kurzem durch eine rassistische Vertreibungspolitik preisgegeben und vernichtet.

Albert Einstein, Fritz Haber und andere Spitzenvertreter ihrer Fachgebiete wurden von den Nazis in die Emigration getrieben; andere Gelehrte wie Walther Nernst zogen sich verbittert über die politischen Zustände im nationalsozialistischen Deutschland ins Privatleben zurück und allzu viele suchten sich auch mit den neuen Verhältnissen zu arrangieren.

Neben der Indienstnahme und Pervertierung der Wissenschaften für die aggressiven und inhumanen politischen Ziele der Nationalsozialisten war dies sicherlich der schwerste und folgenreichste Schlag, den die Nazibarberei in ihrer zwölfjährigen Herrschaft gegen die Wurzeln der Wissenschaft geführt hat und der gerade in Berlin bis auf den heutigen Tag nachwirkt.

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