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Gesundheit: Berlin erfindet sich neu

Was passieren muss, damit die Lebenswissenschaften eine Erfolgsgeschichte bleiben Von Reinhard Uppenkamp

Zum Jahreswechsel kam frohe Kunde vom Statistischen Landesamt BadenWürttemberg: Im europäischen „Innovationsindex“ liegt Berlin auf dem zweiten Platz, noch vor Konkurrenten wie Schweden (Platz 3) oder Bayern (Platz 5). Der Innovationsindex untersucht Investitionen in Forschung und Entwicklung, wie hoch der Anteil der Forschenden an den Beschäftigten insgesamt ist und wie viele Patente pro Jahr angemeldet werden. Punkte also, die nicht nur den Status Quo beschreiben, sondern auch die Zukunftsfähigkeit einer Region. Und wenn es um die Zukunft Berlins geht, so liegen die Stärken der Hauptstadt neben ihrer vielfältigen kulturellen Szene, den geringen Lebenshaltungskosten gerade in ihren Universitäten und Forschungseinrichtungen und in der Biotechnologie.

Die Bedeutung dieser Institutionen und Unternehmen für den Standort kann nicht oft genug betont werden. Hier finden sich Beispiele, wie sich auch in einem harten internationalen Wettbewerb und einem teilweise schwierigen Marktumfeld Wachstum und Wohlstand langfristig sichern lassen. Diese Berliner Erfolgsgeschichten haben eines gemeinsam, sie basieren auf Forschung, Entwicklung und Innovation. Sie nutzen den wichtigsten Rohstoff, den wir haben: kluge Köpfe.

Besonders stark ist dieser Trend in Branchen, in denen Innovation schon seit jeher im Wortsinn überlebenswichtig ist, den so genannten Lebenswissenschaften: Medizin, Arzneimittelforschung und Biotechnologie. Besonders der Gesundheitssektor profitiert in Berlin von einer akademischen Wissenschaftslandschaft, die sowohl in Deutschland als auch in Europa eine Spitzenstellung einnimmt. Das Deutsche Herzzentrum Berlin, das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin und die Charité sind Institute von Weltruf, aber sie sind nur ein Teil des schnell wachsenden Forschungssektors. 146 Biotechnologie-Firmen mit rund 4000 Mitarbeitern sind in und um Berlin ansässig. Die Zahl der Menschen, die in Berliner Unternehmen forschen, ist seit 1995 um 40 Prozent gestiegen. Berlin ist ein Schwerpunkt des weltweiten Humangenomprojekts, in Adlershof entsteht zurzeit eines der modernsten Technologiezentren Europas. Neben Berlin Chemie und Schering hat sich ein stabiler Mittelstand etabliert. Die enge Vernetzung von forschungsfreundlichen Rahmenbedingungen, öffentlichen Instituten und privatem Unternehmertum hat in Berlin eine zukunftsfähige, medizinisch fortschrittliche und wirtschaftlich erfolgreiche Unternehmenslandschaft entstehen lassen.

Natürlich sind auch innovationsstarke Branchen wie die Arzneimittelforschung Belastungen ausgesetzt: Einschnitte im Gesundheitswesen schlagen sich ebenso in den Ergebnissen nieder wie die Dollarschwäche. Doch trotz aller Widerstände entwickelt sich der Pharmasektor positiv und das schlägt sich nicht nur in den Bilanzen nieder, sondern auch in den Beschäftigungszahlen. Allein Berlin-Chemie plant in den kommenden vier Jahren eine Verdoppelung der Belegschaft. Dieses Beispiel bestätigt die Bedeutung eigenständiger und hochklassiger Forschung. Ohne ständige Innovation ist geschäftlicher Erfolg – zumal in einem Hochlohnland wie Deutschland – unmöglich.

International operierende, forschende Unternehmen zeigen, wie die Globalisierung letztlich allen zugute kommt. Ein attraktives, kreatives Umfeld lockt Unternehmen und Talente aus aller Welt an. Weltweiter Vertrieb und ein Netzwerk aus kompetenten Partnern schaffen Erträge, mit denen hier in Berlin hoch qualifizierte und gut bezahlte Jobs geschaffen werden. Berlin-Chemie forscht nicht nur aus Tradition an der Spree: Hier gibt es hervorragend qualifizierten Nachwuchs, ein innovatives Forschungsumfeld und das kreative und weltoffene Klima einer Großstadt zwischen Ost und West, zwischen Tradition und Moderne.

Doch bei allen Vorzügen der Stadt und der Region muss eines klar sein: Wer bremst, verliert. Schon heute gibt es konkrete Anzeichen für eine dramatische Verschlechterung der Situation. In einer im August durchgeführten Emnid-Umfrage zum „Forschungsstandort Deutschland“ nannten deutsche Top-Manager die Forschungsbedingungen im Lande zwar insgesamt „relativ brauchbar“, mahnten aber gleichzeitig überfällige Reformen an. Neben der unstrukturierten Forschungsförderung und einer Anzahl bürokratischer Hürden, die originelle und Erfolg versprechende Ansätze im Keim ersticken und Gründern unnötig das Leben schwer machen, droht langfristig auch der wichtigste Rohstoff der Forschung knapp zu werden: junge, qualifizierte Wissenschaftler.

Zudem gefährden Zwangsrabatte auf innovative, patentierte Medikamente die Refinanzierung der Forschungsaufwendungen, deutschlandweit immerhin 3,8 Milliarden Euro allein im vergangenen Jahr. Internationale Konkurrenten können unter ungleich günstigeren Bedingungen forschen und produzieren. Erfreulicherweise hat die Bundesregierung inzwischen erkannt, dass der Wettstreit um die technologische Führung nicht verloren werden darf. Doch nur mit Lippenbekenntnissen und einem „Jahr der Innovation“ werden die strukturellen Probleme nicht gelöst. Ganz konkret brauchen wir weniger Bürokratie, gezieltere, strategische Forschungsförderung, ein klares Patentrecht, verbesserte Nachwuchsförderung und eine wettbewerbsfreundliche Strukturreform im Gesundheitswesen statt kurzsichtiger Sparpolitik.

Der Berliner Senat hat erkannt, dass die Gesundheit neben der Bildung die Schlüsselbranche des 21. Jahrhunderts ist. Die ersten Schritte zur „Gesundheitsstadt“ sind getan, nun muss dieser Weg konsequent weiter beschritten werden. Nur so können wir an der Weltspitze bestehen.

Der Autor ist Vorstandsvorsitzender der Berlin Chemie AG.

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