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Berliner Hebammen: Geburten im Akkord

Hebammen kämpfen zurzeit für mehr Lohn und gegen die Erhöhung der Berufshaftpflichtversicherung. Vor allem aber für bessere Arbeitsbedingungen – zwei Helferinnen berichten von ihrem Alltag.

Der Muttermund war schon fünf Zentimeter geöffnet. Es würde schnell gehen, das sah die erfahrene Hebamme Svenja Schröder* auf den ersten Blick. Schließlich bekam die Frau, die gerade von der Feuerwehr in den Kreißsaal gebracht worden war, schon ihr viertes Kind. Im anderen Kreißsaal hatte Schröder kurz zuvor ebenfalls eine unangekündigte Gebärende untergebracht, es würde das fünfte Kind der Patientin werden. Ebenfalls eine schnelle Sache. Außerdem wartete noch eine Schwangere, die an diesem Morgen einen Termin hatte, um die Wehen für die Geburt ihres Kindes künstlich einzuleiten und eine Patientin mit „Verdacht auf Geburtsbeginn“, wie Schröder sagt. „Ich war allein auf der Station und bin ständig hektisch zwischen den beiden Kreißsälen hin- und hergelaufen. Um die beiden anderen Frauen konnte ich mich gar nicht kümmern“, erzählt sie einige Zeit später in einem ruhigen Raum in einer Ecke des Krankenhauses, in dem normalerweise Ärzte übernachten.

Nicht jeder Arbeitstag ist so stressig. Aber im Allgemeinen sagt die Hebamme über ihre Arbeitsbedingungen: „Ich kann meinen eigenen Anspruch, wie Gebärende betreut werden sollten, nicht erfüllen. Zuwendung und intensive Betreuung ist notwendig für die Frauen, die gerade Schmerzen haben, die unvergleichlich sind zu allem, was man sonst so im Leben mitmacht.“ Svenja Schröder heißt eigentlich anders. Aber unter ihrem richtigen Namen will und kann sie sich nicht zu ihren Arbeitsbedingungen äußern. Auch den Namen des Krankenhauses will sie nicht in der Zeitung lesen. „Die Hebammen haben Angst vor Sanktionen und dem Druck der Klinikleitung“, sagt Ulrike von Haldenwang, Vorsitzende des Berliner Hebammenverbands. Aber Svenja Schröder möchte dennoch, dass die Öffentlichkeit von den Problemen ihres Berufsstandes erfährt. Und die seien in allen großen Berliner Kliniken sehr ähnlich, sagt sie. Das Hauptproblem: Überall sind zu wenig Hebammen beschäftigt und sie werden nicht entsprechend ihrer großen Verantwortung bezahlt. Viele sind in diesem Jahr schon bei mehreren Demonstrationen mitgelaufen.

Die angestellten Hebammen frustriert vor allem, dass sie den Gebärenden nicht genug Zuwendung und Betreuung geben können. Das beste Beispiel ist der geschilderte Vormittag: Die eine Frau konnte Svenja Schröder nicht auf die Periduralanästhesie (PDA) vorbereiten. Bei der zweiten musste sie aus dem Kreißsaal rennen, bevor die Nachgeburt gekommen war. Und um die beiden anderen Frauen konnte sie sich gar nicht kümmern. Die geplante Geburtseinleitung fand also an jenem Morgen nicht statt – sie wurde abgesagt wegen Überlastung der Hebamme. „Und dabei klingelte es ständig an der Tür des Kreißsaales“, erinnert sie sich. Sie musste sich auch noch mit Frauen, die die „Pille danach“ brauchten, auseinandersetzen oder mit Schwangeren, die die Herztöne des Fötus kontrollieren lassen wollten. „Den gesamten Papierkram habe ich nach Feierabend erledigt.“ Sie hat eine Leitungsfunktion, doch für die administrativen Aufgaben gesteht ihr die Klinikleitung keine Extrazeit zu. Sie muss wie alle Hebammen, die fest in Krankenhäusern angestellt sind, 118 Kindern pro Jahr auf die Welt helfen – vorgeschrieben in der Stellenberechnung. „Das sind völlig überholte Regelungen“, sagt sie. Anhand der Zahl der Geburten pro Jahr wird die Anzahl der einzustellenden Hebammen errechnet. In ihrem Krankenhaus sind es 1300 Geburten, das macht elf Hebammen. Aber: „All die Zusatzaufgaben kommen überhaupt nicht in der Planung vor: ambulante Beratungen für Schwangere, Fehlalarm oder Dokumentationen am Computer. Und es wird nicht berücksichtigt, dass auch Hebammen Urlaub brauchen oder krank werden. Der Job wird zur Zerreißprobe.“

An jenem besonders stressigen Morgen war eine Kollegin krank geworden, es hatte mehrere Stunden gedauert, bis Ersatz da war. Oft muss Svenja Schröder auch Aufgaben von Krankenschwestern übernehmen. Denn an ihrem Kreißsaal klingelt es auch, wenn eine multimorbide Achtzigjährige mit gynäkologischen Problemen vom Krankenwagen gebracht wird. Dann muss sie die zuständigen Ärzte informieren und helfen, die Frau von der Trage in den Rollstuhl zu bugsieren. „Das ständige Kommen und Gehen bringt viel Unruhe in den Kreißsaal.“ Sie würde gern nur noch Geburten dort haben. Aber das müsste sie erstmal der Klinikleitung gegenüber durchsetzen. Denn wenn die Hebammen andere Aufgaben übernehmen, spart das Geld.

Der Rekord: Zehn Geburten in acht Stunden

Auch Svenja Schröders Kollegin Sabine Groß möchte ihren echten Namen nicht nennen. Sie ist leitende Hebamme in einem anderen Berliner Krankenhaus und hat durchgesetzt, dass die gynäkologische und geburtshilfliche Ambulanz nicht mehr in ihrem Kreißsaal stattfindet. Das gelang aber nur, weil sich die Zahl der Geburten dort in den letzten Jahren drastisch erhöht hat: 3000 Kinder kommen dort jährlich auf die Welt. Aber auch Sabine Groß kann ähnliche Geschichten erzählen. Auch sie sagt, sie brauche eine zusätzliche Kollegin pro Schicht – vier statt drei – um eine gute Betreuung zu gewährleisten: „Wir müssen in den Frühdienst alles packen, was irgendwie organisiert werden kann. Da haben wir geplante Einleitungen und Kaiserschnitte im Akkord – manchmal alle eineinhalb Stunden.“ Und die akut laufenden Geburten müssten sie auch noch irgendwie nebenher betreuen. „Das ist alles zu schaffen, aber man hat keine Zeit, sich kontinuierlich um eine Geburt zu kümmern. Wir sind nur episodenhaft bei den Patientinnen“, sagt sie. Ihr Rekord liegt bei zehn Geburten in acht Stunden. Dabei sei eine Geburt eine „psychische und körperliche Herausforderung“. Eigentliches Ziel der Arbeit ist aber, sich mit der Frau in die Situation zu begeben und ihr Sicherheit zu vermitteln.

Svenja Schröder sagt, Gebären habe „viel mit dem Kopf zu tun“. Aber auch eine Massage könne den Gebärenden große Erleichterung verschaffen. Doch dazu haben die angestellten Hebammen keine Zeit. „Dabei wäre es so wichtig, den Frauen mehr Zuwendung zu geben. Dann bräuchten sie weniger Betäubungsmittel.“ Und es hätte langfristig positive Auswirkungen auf die Gesundheit von Müttern und Kindern. Dafür wollen die Hebammen weiter demonstrieren.

* Name geändert

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