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Gesundheit: Berliner Hochschulen: Lang, länger, am längsten

Die längsten Studienzeiten gibt es in Berlin. Und das in einer Häufung, die in Deutschland ihresgleichen sucht.

Die längsten Studienzeiten gibt es in Berlin. Und das in einer Häufung, die in Deutschland ihresgleichen sucht. Die kürzeste Studiendauer können die Hochschulen in den neuen Bundesländern und der Freistaat Bayern in der alten Bundesrepublik vorweisen. Der Wissenschaftsrat hat das jetzt in einem 349 Seiten starken Tabellenwerk für die Zeit von 1990 bis 1998 nachgewiesen.

Beides überrascht nicht. In den neuen Bundesländern gibt es immer noch eine bessere Betreuung der Studenten und wohl auch eine andere Einstellung. Jugendliche studieren möglichst schnell, um in den Beruf zu gehen und gestalten das Studium nicht als eine gesonderte Lebensphase zwischen Jugend und Erwachsenendasein. Die alte Studiendisziplin aus Zeiten der DDR scheint noch ihre Spuren hinterlassen zu haben. Aus dem Rahmen der einstigen Ost-Universitäten fällt die Humboldt-Universität: Sie erreicht nur in zwei Fächern Spitzenwerte - den zweiten Platz in der Volkswirtschaftslehre mit 10 Semestern und den vierten Platz in der Psychologie mit 11 Semestern. Sonst bewegt sie sich eher in der Mitte mit sechsten bis elften Plätzen.

Grafik: Studiendauer in Deutschland

Grafik: Lehramtsstudiengänge in Berlin

Das Deutsche Studentenwerk sagt: Die sozialen Probleme zwingen viele Studenten zum Jobben. Das verlängert die Studienzeit. Aber warum studieren die Jugendlichen im Osten, wo die sozialen Probleme am größten sind, besonders schnell? Ausgesprochen erfolgreich schneiden die Universitäten Jena oder Leipzig mit stark geistes- und naturwissenschaftlicher Orientierung ab. Auch die Technischen Universitäten in Dresden, Chemnitz und Ilmenau glänzen durch kurze Studienzeiten quer durch die Disziplinen.

Bayern muss die Studiengänge besonders effektiv organisieren. Anders ist es nicht zu erkären, dass die Technische Uni in München so positiv aus dem Rahmen fällt. In den anspruchsvollen Ingenieurwissenschaften führt sie im bundesweiten Durchschnitt ihre Studenten mit zwei bis vier Semestern früher zum Abschluss als so renommierte Technische Unis wie Aachen oder Stuttgart, - von Berlin ganz zu schweigen, das in den Kernfächern der Ingenieurwissenschaften auf den schlechtesten Plätzen steht.

Der Wissenschaftsrat hat seit Beginn der neunziger Jahren regelmäßig vergleichende Tabellen über die Länge der Studienzeiten an allen deutschen Universitäten veröffentlicht. Sie basieren auf Angaben des Statistischen Bundesamtes. Die Interpretation überließ der Wissenschaftsrat weitgehend dem Nutzer. Diesmal, bei der Bilanz von 1990 bis 1998, hat der Wissenschaftsrat wenigstens einige kritische Kommentare gegeben: "Die Universitäten in Bayern können beim Vergleich der alten Bundesländer relativ kurze Studiendauern vorweisen. Besonders lange Studiendauern finden sich an den Berliner Universitäten und vereinzelt an bestimmten Standorten in Westdeutschland."

Wie der Wissenschaftsrat es sieht

Warum die Frage der Studiendauer so wichtig ist, begründet der Wissenschaftsrat wie folgt: 1. Bei der Einstellung ist die Dauer der Studienzeit "oft entscheidungsrelevant". 2. Die Unterhaltskosten steigen mit der Dauer des Studiums. 3. Wer lange studiert, dem entgeht für die Dauer des Studiums einiges an Einkommen. "Unverhältnismäßig lange Studienzeiten verursachen volkswirtschaftliche Kosten, weil Bildungsinvestitionen nicht effizient genutzt werden."

Nun zur Berliner Situation: Die Technische Universität steht in den klassischen Ingenieurstudiengängen Maschinenbau, Elektrotechnik und Bauingenieurwesen auf den letzten Plätzen in Deutschland. Das heißt, sie hat die längsten Studienzeiten aufzuweisen: Im Maschinenbau der drittletzte Platz, in der Elektrotechnik die vorletzte Position, im Bauingenieurwesen der vorletzte Platz (siehe Tabelle).

Oft hört man das Argument, dass in einer Großstadt wie Berlin die Studenten vom Studium durch das reiche Freizeit- und Kulturangebot abgelenkt werden. Attraktive Freizeitofferten findet man jedoch auch in Großstädten wie Dresden und München. Warum sind im Maschinenbau die Studenten in Dresden um 4,7 Semester oder in München um 4,4 Semester schneller als in Berlin? In der Elektrotechnik führen die TU Dresden um 3,9 Semester und die TU München um 3,5 Semester früher zum Abschluss als die TU Berlin (siehe Tabelle). Bei den Bauingenieuren liegen die Unterschiede von München und Dresden gegenüber Berlin bei drei Semestern. Ein Blick auf die heute besonders gefragte Informatik bestätigt den Trend: Hier sind die Studenten an der Universität Chemnitz mit 10,4 Fachsemestern die schnellsten. An der Humboldt-Uni dauert das Studium 11,5 Semester, an der TU 14,2 Semester und am Schluss steht Frankfurt am Main mit 16,1 Semestern.

Frage nach den Gründen

Berlin kann auch bei den so wichtigen Naturwissenschaften keinesfalls glänzen: In der Chemie erreichen die Studenten in Hamburg mit 7,7 Semestern das Diplom, Würzburg in Bayern kommt auf 10 Semester, die TU Berlin steht weit abgeschlagen mit 13 Semestern da und die FU Berlin auf dem vorletzten Platz mit 13,8 Semestern. Besser sieht es an der Humboldt-Uni aus: In der Physik erreicht sie wenigstens unter 49 Hochschulen den sechsten Platz mit etwa 11,5 Semestern. Hier nehmen die Technische Universität und die Freie Universität mittlere Plätze bei Studienzeiten mit 12,6 bis 12,7 Semestern ein. Nicht jedoch in der Mathematik. Da erlaubt sich die TU einen Ausreißer nach unten: Sie kommt mit 15,8 Semestern auf den letzten Platz, während die Uni Bremen mit 9,8 Semestern die kürzeste Studienzeit aufweist. Einen ähnlichen Ausreißer leistet sich die FU in der Chemie mit dem vorletzten Platz (13,8 Semester). In der Biologie kommt die Humboldt-Uni auf einen grade noch überdurchschnittlichen Rang mit 11,2 Semestern - hier gönnt sich die FU wieder einen Ausrutscher auf die drittschlechteste Position (13,2 Semester).

Warum das alles so ist, dürfte mehrere Gründe haben. Dass die Massenuniversität das Studium verlängert, ist nicht zu leugnen. Jedoch klagen die Ingenieure und Naturwissenschaftler seit Jahren über eine schwindende Nachfrage nach Studienplätzen. Bis auf die mathematischen Service-Angebote für Ingenieure dürfte in diesen Fächern das Massenproblem nicht den Ausschlag geben.

Ein gewichtiger Grund könnte in der heimlichen Koalition zwischen Professoren und Studenten liegen. Die Studenten verteidigen ihre Studienzeiten und die Langzeitstudenten. Daher gibt es an vielen Universitäten in Deutschland keine Sanktionen gegen jene Studenten, die nach großzügigen Toleranzsemestern die Regelstudienzeiten wesentlich überschreiten. Die Professoren sehen ihre Wichtigkeit dann gewahrt, wenn möglichst alle Spezialgebiete auch in die Studien- und Prüfungsordnungen aufgenommen werden. Das verlängert das Studium. Hinzu kommen die Ansprüche einer Forschungsorientierung im Studium.

Das Argument fehlender Berufsperspektiven als Grund für überlange Studienzeiten mag in den Geisteswissenschaften zählen. Dort dauern die Magisterstudiengänge am längsten, und sie haben auch die höchsten Anteile an Studienabbrechern. In Geschichte (14,8 Semester), Anglistik (14,2 Semester) und Romanistik (14 Semester) weist die FU bundesweit mit die längsten Studienzeiten auf. In den Kunstwissenschaften (14,6 Semester FU und 15,3 Semester TU) ist Berlin ebenso abgeschlagen.

In der Humanmedizin befinden sich die Humboldt-Uni und die FU im Mittelfeld, wobei die HU mit 12,6 Semestern immer noch schneller ist als die FU mit 13 Semestern. In der Zahnmedizin ist es umgekehrt: Da liegt die FU mit elf Semestern noch über dem Durchschnitt, die HU mit 11,6 Semestern schon unter dem Durchschnitt.

Die leidige Lehrerstaatsprüfung

Ein Problem ohnegleichen ist die Lehrerbildung. Eine Expertenkommission, mit auswärtigen und Berliner Wissenschaftlern besetzt, ist in einem internen Bericht zu dem Ergebnis gekommen: In den Lehramtsstudiengängen bestehe ein hoher Reformbedarf, weil die Lehrerbildung an den Berliner Universitäten schlecht verankert sei. Die überlangen Studienzeiten erklären die Experten mit der Organisation der Staatsprüfungen: "Die Berliner Prüfungsorganisation stellt bundesweit einen singulären Fall dar. Sie ist nicht unwesentlich dafür verantwortlich, dass die Studiendauer in den lehrerbildenden Fächern übermäßig hoch ist" (siehe Tabelle).

Studienzeiten sind nur ein Kriterium für die Leistungen einer Universität. In der Forschung nehmen vor allem die Humboldt-Uni und die Freie Universität in der Rangfolge der Deutschen Forschungsgemeinschaft gute Plätze unter den ersten 15 Universitäten in Deutschland ein. Aber in der Lehre müssen sie aufholen. Leider ist es üblich, dass die Professoren ihren Ehrgeiz zuerst auf die Forschung richten und die Lehre bei den Anfängerstudenten vernachlässigen. Das ist in den USA genau umgekehrt. Dort gibt es wie in Großbritannien kurze Studiengänge, die mit dem Bachelor abschließen. Darauf bauen Masterstudiengänge auf, die es den meisten Studenten erlauben, mit 22 oder bei den Mastern mit 25 Jahren in den Beruf zu treten. In Deutschland erreichen die Studenten erst im Alter von 25 bis 28 Jahren ihren Berufsstart.

Uwe Schlicht

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