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Gesundheit: Berliner Wissenschaftskolleg: In bester Verfassung

Von 1987 bis 1999 war Dieter Grimm Bundesverfassungsrichter. Zwölf Jahre, die man ihm nicht anmerkt.

Von 1987 bis 1999 war Dieter Grimm Bundesverfassungsrichter. Zwölf Jahre, die man ihm nicht anmerkt. Denn man kann sich den freundlich und schüchtern lächelnden Mann nur schwer in staatstragender roter Robe vorstellen, so wie er jetzt etwas verloren auf dem Sofa sitzt, sich für die noch leeren Regalwände im Rücken entschuldigt und mit den übereinander geschlagenen Beinen wippt. Dieter Grimm macht keinen Wirbel um seine Person oder um seine Ämter. Natürlich sei die Berufung zum Bundesverfassungsrichter "das Schönste gewesen, was einem Verfassungsrechtler passieren kann", da er viel unmittelbarer auf gesellschaftliche Prozesse habe einwirken können als durch seine wissenschaftlichen Texte. Aber Grimm trägt deswegen keinen Stolz zur Schau.

Gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, macht ihm einfach Spaß, denn er sieht sich nicht nur als Jurist. Grimm ist habilitierter Politologe und mischt sich immer wieder in die aktuelle politische Debatte ein, wenn es darum geht, die Demokratie gegen die professionalisierte, seiner Meinung nach allzu sehr auf den reinen Machterhalt fixierte Politik zu verteidigen. Es habe sogar mal eine Zeit gegeben, das war zu Beginn seines Studiums, da habe er sich vorstellen können, selbst Politiker zu werden, erinnert sich Grimm und lacht kurz. Dann habe er sich aber doch schnell für den wissenschaftlichen Weg entschieden.

Ein Thema, das ihm besonders am Herzen liegt, ist die europäische Einigung und die Rolle, die die Verfassung beim Aufbau einer Zivilgesellschaft spielen kann und muss. Vielleicht hängt das Interesse damit zusammen, dass der 64-Jährige schon immer viel gereist ist. Ein Teil seines Studiums hat er in Paris und Amerika verbracht. Und als Bundesverfassungsrichter besuchte er zu Beginn der neunziger Jahre viele osteuropäische Staaten, wo sein Rat beim Aufbau demokratischer Strukturen gefragt war. Seine gesammelten Erkenntnisse darüber, unter welchen Bedingungen Verfassungsstaaten gelingen oder scheitern, will Grimm nun möglichst bald in Buchform bringen. "Vielleicht können ja andere Länder daraus lernen."

Juristen müssen umdenken

Wissenschaft spielt sich für Grimm eben nicht in der einsamen Studierstube ab. Er freut sich, wenn er anderen etwas beibringen kann. Bekehren muss er niemanden. Genauso wichtig ist ihm, von anderen zu lernen. Er kann zuhören. "Juristen müssen umdenken", sagt er, "weg von der rein normativen Herangehensweise an Dinge". Für Juristen sei ein Problem oft erledigt, "wenn die rechtlichen Grundlagen geklärt sind". Auch er selbst ertappe sich oft bei dieser Art des rein normativen Denkens. Sicher habe das, was als juristisches Denken beargwöhnt werde, auch seinen Vorteil: schnell Konflikte auf den Kernpunkt bringen zu können und ein Gespür für formale, strukturelle Zusammenhänge. "Aber durch die Auslandsaufenthalte habe ich gelernt, wie wichtig es ist, die Kultur, die Religion und die sozialen Zusammenhänge eines Landes genau zu kennen."

Deshalb fühlt sich Grimm auch hier am Berliner Wissenschaftskolleg am richtigen Fleck. Den Austausch mit den Gästen aus aller Welt und aus allen Fachrichtungen habe ihm schon in den letzten Jahren enorm wichtige Impulse gegeben. Denn das Haus kennt er schon seit langem. Sechs Jahre war er im wissenschaftlichen Beirat, der die einzuladenden Gäste vorschlägt. Seit zwei Jahren ist er selbst "permanent fellow". "Wenn einer so ein neues Rektorenamt übernimmt, erwarten die Leute großartige programmatische Neuerungen", sagt Grimm und wippt noch immer mit den Füßen. Dabei wirkt der hagere Mann keineswegs ungeduldig, nur ein bisschen nervös. "Grundlegende Veränderungen wird es nicht geben", sagt Grimm und lobt die Arbeit seines Vorgängers Wolf Lepenies in höchsten Tönen. Die "kulturelle Vervielfältigung" der Gästeliste hin in islamische Länder und solche der Dritten Welt ist ihm genauso wie Lepenies ein zentrales Anliegen. Auch werde er wie schon seine Vorgänger verstärkt versuchen, Naturwissenschaftler nach Berlin zu holen. Aber natürlich auch den einen oder anderen Verfassungsjuristen. Zwei sind gerade angekommen: der noch amtierende Präsident des spanischen Verfassungsgerichtes Pedro Cruz Villalón und der Berner Verfassungsrechtler Jörg Paul Müller. Wenn die zum Beispiel mit den Islamexperten ins Gespräch kommen, sagt Grimm, könnte sehr viel "Anregungspotential" entstehen für den Aufbau von Zivilgesellschaften im Nahen Osten.

Grimm ist aber niemand, der solche Zusammenkünfte forciert oder der aus dem Wissenschaftskolleg eine Politikberatungsfabrik, ein "Think Tank", machen würde. Er sieht sich als Moderator, als Gastgeber. Und diese Aufgabe will er, da er sich nach langem Zögern schließlich dafür entschieden hat, gewissenhaft und sorgfältig erfüllen. Und bestimmt mit großer Menschenfreundlichkeit. Eben so wie jemand, der sich gerne in ein Amt einarbeitet, da, wo ihn das Schicksal eben hinstellt, der Rat gibt, wenn man ihn bittet, der seine Meinung äußert, wenn man darum fragt. Der sich aber niemals auf- oder vordrängen würde.

Das Gespräch zwischen unterschiedlichen Fachrichtungen anzuregen, ist übrigens nichts Neues für Dieter Grimm. Von 1984 bis 1990 hat er das Zentrum für interdisziplinäre Forschung in Bielefeld geleitet.

Romane als gesellschaftlicher Sensor

Als man ihn fragte, ob er Rektor des Berliner Wissenschaftskolleg werden wolle, habe er dann aber doch lange überlegt. Nach zwölf Jahren Karlsruhe möchte er gerne selbst wieder forschen und schreiben und seine Kontakte nach Amerika aufnehmen. Jetzt ist ihm ein wenig "bang" zumute, ob ihm die Arbeit in der Grunewalder Wallotstraße dafür noch Zeit lassen wird. Schließlich sei er auch niemand, der auf Freizeit verzichtet. In seinem Leben spielen auch Opern- und Theaterbesuche eine Rolle. Und Romane. Gerade hat er Andreas Meyers preisgekröntes Buch "Wälchestag" ausgelesen. "Oft lerne ich aus Romanen mehr als aus soziologischen Gesellschaftsanalysen", sagt er, steht mit federndem Schritt auf und eilt zum nächsten Termin.

Mehr zum Thema im Tagesspiegel: Der scheidende Rektor des Berliner Wissenschaftskollegs Wolf Lepenies im Interview

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