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Gesundheit: Berlins Bildung fehlt Eigeninitiative

Die Befürchtungen vor einer Ampel in Berlin sind im Bildungsbereich groß - und von vielen werden schon Pflöcke eingeschlagen, was alles auf keinen Fall bewegt werden darf. Das Berliner Bildungssystem zeichnet sich durch eine große Vielfalt aus, hat aber in den letzten Jahren nicht gerade durch Beweglichkeit und Reformfreude an Qualität gewonnen.

Die Befürchtungen vor einer Ampel in Berlin sind im Bildungsbereich groß - und von vielen werden schon Pflöcke eingeschlagen, was alles auf keinen Fall bewegt werden darf. Das Berliner Bildungssystem zeichnet sich durch eine große Vielfalt aus, hat aber in den letzten Jahren nicht gerade durch Beweglichkeit und Reformfreude an Qualität gewonnen.

Dies alleine auf Einsparungen zurückzuführen, greift zu kurz. Es hat auch an Entschiedenheit der Politik und der Schulverwaltung gefehlt, die Eigenverantwortung in den Einrichtungen zu erhöhen - und viele Schulen reißen sich nicht darum, die knappen Ressourcen selbst zu verwalten, neue Lehrkräfte auszuwählen oder für die pädagogische Gestaltung selbst zur Rechenschaft gezogen zu werden. Fast jede nordrhein-westfälische Kommune - vom europäischen Vergleich und den skandinavischen Ländern ganz zu schweigen - sind entschieden weiter in dieser Entwicklung. Die Hochschulverträge und die Experimentierklausel haben in der Wissenschaft einiges in dieser Richtung bewegt, aber die Verwaltung versucht immer noch, viele Entscheidungen selbst zu treffen oder zu beeinflussen.

Sowohl Grüne als auch FDP haben als zentrale Kernaussage ihrer bildungspolitischen Programme die Forderung nach mehr Autonomie für die Schulen und die Stärkung der Eigenverantwortung auf ihre Fahnen geschrieben. Hier könnten gemeinsam eindeutige politische Signale gesetzt und gegen traditionelle zentralistische und bürokratische Verwaltungsstrukturen vor allem in Berlin Durchsetzungswillen gezeigt werden. Es können sich auch Schulen in freier Trägerschaft entschiedener Unterstützung erfreuen und Bewegung in die Bildungslandschaft bringen.

Differenzen gibt es mit der FDP bei den Forderungen, die Schulzeit bis zum Abitur auf zwölf Jahre zu reduzieren, und die Wahlmöglichkeit des Oberschulzweiges nach der 6. Klasse frei zu geben. Hier lauern Gefahren, wenn die Beteiligten sich zu stark auf längst abgelaufene Strukturdebatten fixieren. Für die Schulzeit sollte nach Wegen gesucht werden, dass die Mehrheit der Jugendlichen nach zwölf Schuljahren die Hochschulreife erwerben kann.

Die Grünen haben ein Konzept zur Schulzeit entwickelt, das den Schwerpunkt nicht auf die flächendeckende Struktur des Gymnasiums legt, sondern eine stärkere Individualisierung der Bildungsgänge vorsieht, zum Beispiel bei der Einschulung, weil hier die Unterschiede zwischen den Kindern sehr groß sind, und beim Übergang von der Sekundarstufe I zur Sek II.

Nach diesem Modell können Jugendliche zwischen 11 und 14 Jahren bis zur Hochschulreife brauchen. Die Mehrheit wird es nach 12 Jahren schaffen. Dieses Konzept ist mit einem wirklichen Reformschub für die Bildungseinrichtung verbunden, weil es die notwendige Individualisierung der Pädagogik voranbringt und nicht überholte Strukturdebatten wiederbelebt.

Die Debatte um die sechsjährige Grundschule in Berlin ist hoch brisant und emotional behaftet. Richtig ist: Eltern und Kinder gegen ihren Willen in eine Schulform zu zwingen, schafft Unzufriedenheit und kann auf Dauer auch nicht durchgehalten werden. Dies zeigt sich auch darin, dass verschiedene soziale Gruppen in Berlin nicht zusammen zur Schule gehen wollen, auch bei festen Schuleinzugsbereichen. Hier wäre ein Weg gangbar, der die Schuleinzugsbereiche aufhebt und die Wahlfreiheit, die in der Sekundarstufe gegeben ist, auch für die Grundschule ermöglicht. Damit eine weitere soziale Aufteilung möglichst gebremst wird und Ghettoschulen verhindert werden, brauchen Schulen in Problemgebieten deutlich mehr Unterstützung - an Geld, mehr noch aber an Förderkonzepten, wie beispielsweise Magnetschulen oder "Leuchtturm-Schulen" in angelsächsischen Ländern. Diese Schulen müssen attraktiv werden, damit sie freiwilligen Zulauf bekommen. Dies ist möglich und dafür gibt es - auch in Berlin - gute Beispiele.

Der Run aufs Gymnasium in der 5. Klasse entspringt in Berlin bei vielen Eltern dem Misstrauen, dass der Unterricht in der Grundschule den qualitativen Anforderungen nicht entspricht und ihr Kind im Gymnasium besser gefördert wird. Diesem Wunsch muss durch eine Qualitätsdebatte und -offensive Rechnung getragen werden, die nach Möglichkeiten sucht, die Qualität der Schule zu verbessern und nach außen sichtbar zu machen. Es wäre auch für Berlin denkbar, in der 5. Klasse Vergleichsarbeiten zu starten.

Wenn die Qualitätsentwicklung der Schule und ihre Fähigkeit zu fördern in den Mittelpunkt gerückt wird, lässt sich über das Vorgehen leichter Einigung erzielen. Der Druck in Berlin, auch bei einer dramatischen Haushaltslage Gestaltungskompetenz zu zeigen, kann auch einen Entwicklungsschub für die Öffnung von Schulen zu ihrem Umfeld bewirken. Es bietet sich geradezu an, in den Schulen neben Lehrern auch Handwerker, Künstler und Sportler zu beschäftigen.

Es könnten sich auch Netzwerke um die Schulen bilden aus Nachbarschafts-Initiativen, Vereinen, Unternehmen, die die Schule bei der Erziehung unterstützen. Hier kann eine Ampel private Initiativen, bürgerschaftliches Engagement möglicherweise mehr fördern, als dies alle bisherigen Regierungskonstellationen zu Wege gebracht haben. Nicht zuletzt könnte eine andere Arbeitszeit für Lehrkräfte ihren Einsatz produktiver und für sich selbst befriedigender gestalten und den Schülern stärker zugute kommen.

So richtig es ist, durch den Rückgang der Schülerzahlen freiwerdende Ressourcen zur pädagogischen Verbesserung in der Schule zu belassen, so notwendig ist es, diese fantasievoller zu nutzen als bisher.

Für die Finanzierung der Hochschulen in Berlin bietet es sich bei einer Ampel geradezu an, dass Berlin sich den Studienkontenmodellen aus NRW und Rheinland-Pfalz anschließt. Damit würden Studenten als Nachfrager gegenüber den Hochschulen gestärkt, aber auch zu einem bewussten Umgang mit ihren Gutscheinen motiviert.

Das Problem der Berliner Bildungslandschaft ist eine ungeheure Erwartung an staatliches Handeln. Sie hat die gesellschaftliche Einbettung und private Verantwortung für Bildungsprozesse und Bildungseinrichtungen sträflich vernachlässigt. Dies ist eine Herausforderung, an der sich die beschleunigende Wirkung von Ampeln zeigen könnte.

Sibylle Volkholz

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