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Gesundheit: Besser als blutige Anfänger

Der Berliner Reformstudiengang Medizin entlässt die ersten Absolventen. Auch an anderen Universitäten macht das Modell Schule

Wenn junge Ärzte frisch von der Uni an den OP-Tisch kommen, fließt oft mehr Blut als nötig. Denn das kopflastige Medizinstudium bereitet den Nachwuchs denkbar schlecht auf die Tätigkeit in Klinik und Praxis vor. Beklagt wird das seit Jahrzehnten: vom Wissenschaftsrat über die Jungmediziner selbst bis zu den Kranken, die sich von stumm und ungeschickt hantierenden oder Fachchinesisch redenden Ärzten schlecht behandelt fühlten.

Jetzt können Patienten hoffen. Der Reformstau in der Ärzteausbildung fängt an, sich aufzulösen. Der Berliner Reformstudiengang Medizin entlässt die ersten seiner Kinder. Ein Drittel der 63 Studierenden des ersten Jahrgangs haben gerade das zweite Staatsexamen abgelegt. Alle haben bestanden und genauso gut abgeschnitten wie ihre herkömmlich ausgebildeten Kommilitonen, sagte Dieter Scheffner, Beauftragter der Charité für den Reformstudiengang jetzt bei der Jahrestagung der „Gesellschaft für Medizinische Ausbildung“ an der Universitätsklinik.

Damit sind die Bedenken jener medizinischen Hochschullehrer hinfällig, die glaubten, ohne die bisher übliche Vermittlung des Stoffs, systematisch Fach für Fach, könnten die Studierenden sich niemals das nötige Grundlagenwissen aneignen. Auch den Einwand, für den Reformstudiengang hätten sich besonders Begabte entschieden, konnte dessen Leiter Walter Burger entkräften: Eine Studie ergab, dass es kaum Unterschiede zwischen den Bewerbern für den Regel- und denen für den Reformstudiengang gab.

So kam es zu dem Reformstudiengang: Unzufriedene Studierende entwarfen im Streiksemester 1988/89 das erste Konzept, zehn Jahre lang wurde es weiterentwickelt. Gefördert von Bund, Land und Stiftungen konnte das „Berliner Modell“ im Herbst 1999 endlich starten. Im Mittelpunkt steht das behutsam begleitete Selbstlernen in Kleingruppen an Fallbeispielen – das international bewährte „Problemorientierte Lernen (POL)“. Die Studierenden holen sich das Wissen, das sie zur Lösung eines Problems – etwa zur Klärung der Beschwerden eines Patienten – brauchen, aktiv selber, etwa aus der neuesten Fachliteratur oder durch Befragung von Experten. So üben sie frühzeitig die Methoden der ärztlichen Arbeit wie auch der medizinischen Forschung.

Die Kluft zwischen einer vorklinischen Phase noch ohne Bezug zur Medizin und dem klinischen, das heißt dem medizinischen Studium, ist aufgehoben. Das Grundlagenwissen wird im Zusammenhang mit seiner Anwendung erworben – und prägt sich deshalb besonders gut ein. Nicht die Angebote der Fächer bestimmen das Studium, sondern die Erfordernisse des späteren Berufs. Die künftigen Ärzte kommen vom ersten Semester an mit Patienten und mit der ganz normalen Medizin in Kontakt, weil sie regelmäßig in Hausarztpraxen hospitieren. Und im Traingszentrum für ärztliche Fertigkeiten der Charité können sie Untersuchungstechniken und Gesprächsführung üben. Noch nicht an Patienten, aber an Gesunden, die geschult sind, eine Krankheit darzustellen. Eine erfreuliche Neuigkeit kündigt Rolf Winau, Charité-Prodekan für die Lehre, an: Auch nach dem Ende der externen Förderung wird der Reformstudiengang neben dem Regelcurriculum fortgeführt. Kosten-Bedenken zerstreut Berlins Gesundheitssenatorin Heidi Knake-Werner: Nachdem die Studienbedingungen jetzt geschaffen sind, ist der Modellstudiengang auch nicht teurer als der Regelstudiengang.

Das „Berliner Modell“ macht unterdessen bundesweit Schule. Mehrere Fakultäten – darunter in Aachen, Bochum, Köln, Witten Herdecke – haben die neue Experimentierklausel der alten Approbationsordnung genutzt und ebenfalls Reformstudiengänge eingeführt. Andere erproben zumindest einzelne Elemente, um die Ärzteausbildung praxisnäher und didaktisch effektiver zu gestalten. Aber noch längst nicht alle Fakultäten haben sich seither bewegt, sagt Eckhart Hahn, Vorsitzender der „Gesellschaft für Medizinische Ausbildung“.

Vorangehen könnte es auch mit den Absolventen eines neuen Postgraduiertenstudiums zum „Master of Medical Education“, in dem Dozenten weitergebildet werden sollen. Sie können dann neue Wege in der medizinischen Ausbildung beschreiten und an ihren Fakultäten als Multiplikatoren wirken. Für diesen zweijährigen berufsbegleitenden Studiengang hat der Medizinische Fakultätentag eine „Akademie für Ausbildung in der Hochschulmedizin“ gegründet, angesiedelt an der Universität Heidelberg.

Eine Broschüre zu neuen Wegen in der Medizinerausbildung in Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt der Stifterverband heraus. „Quo vadis medice?“ kann per E-mail angefordert werden (heike.schlosser@stifterverband.de).

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