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Gesundheit: Bildungsreisen zu Studentenpreisen

Die Politiker Europas wünschen sich mobile Hochschüler. Doch mit finanziellem Ansporn halten sie sich zurück

Von Bärbel Schubert

Von Bologna über Prag nach Berlin – was sich zunächst wie eine eigenwillige Reiseroute anhört, bezeichnet wichtige Entscheidungsstationen auf dem Weg zu einem gemeinsamen Hochschulraum Europa. In Bologna wurde die europaweite Einführung von kompatiblen Studiengängen mit Bachelor- und Masterabschlüssen beschlossen, in Prag wurde dies unlängst konkretisiert. In Berlin soll im kommenden Jahr der nächste Schritt folgen. Ziel: ein Studium ohne Grenzen innerhalb Europas. Doch die soziale Absicherung der Studenten, die diesen „Studienort Europa“ nutzen wollen, haben die Planer bisher schlicht vergessen. Stattdessen wiederholen sich seit Jahren die Klagen darüber, dass zu wenige Studenten einen Teil ihrer Ausbildung im Ausland absolvieren.

Bafög-Empfänger sind fein raus

Gründe für ein Auslandsstudium gibt es aber eigentlich genug; denn wer nach dem Studium einen guten Job sucht, wird immer häufiger nach Erfahrungen in anderen Ländern gefragt. In der Forschung werden diese oft vorausgesetzt. Doch ein Student, der über ein oder mehrere Semester in London, Paris, Bergen oder Zürich nachdenkt, muss erst einmal sehen, woher er das Geld dafür bekommt. Wer in Deutschland Bafög bekommt, ist fein raus. Er kann seit dem vergangenem Jahr seine Förderung ins europäische Ausland mitnehmen. Doch das gilt nur für ungefähr jeden fünften Studenten.

Andere Stipendien, wie das europäische Erasmus-Programm, sind so stark gekürzt worden, dass sie keine echte Unterstützung mehr geben. Außerdem: Wer sich schon in Deutschland sein Studium durch Jobben finanziert, wird sich mit der Entscheidung für das Ausland schwer tun. Müssen doch dort erst einmal neue Jobs gefunden werden. Und wer weiß, welche gesetzlichen Regelungen weitere Hürden bilden. Auch wer seinen Finanzbedarf im Studium klein hält, indem er bei den Eltern wohnt, wird eher nicht ins Ausland gehen. Dies zeigt der erste europäische Studentenreport, aus dem erste Ergebnisse jetzt auf einer Hochschultagung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Klappholttal auf Sylt vorgestellt wurden.

Doch wenn beim Ausbau des „sozialen Hochschulraums Europa“ keine Fortschritte erzielt werden, kann man auf weitere Konferenzen zur Studienstruktur verzichten, meint der Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks, Dieter Schäferbarthold. Es fehlt dann an Studenten, die das neue Wunderwerk des grenzenlosen Studiums nutzen.

Auch für Klaus Schnitzer vom Hochschul-Informationssystem Hannover (HIS) ist die Mobilität der Studenten bei der Gestaltung des europäischen Hochschulraums die Kernfrage. Und darauf hat die Art der Studienförderung großen Einfluss. So gibt Finnland zwar ungefähr genauso viel für die Förderung seiner Studenten aus wie die Bundesrepublik, verteilt das Geld aber völlig anders und erzielt so sehr viel mehr Mobilität. In Deutschland geht es hauptsächlich als Kindergeld oder Steuerfreibetrag an die Eltern und kommt so nicht unbedingt auch bei den Studenten an. In Finnland erhalten die Studenten die Förderung dagegen direkt und unabhängig vom Elterneinkommen. Dadurch schaffen mehr Jugendliche aus ärmeren Familien den Schritt an die Hochschulen. Und mehr finnische als deutsche Jugendliche profitieren auch von Studien im Ausland.

Alles dreht sich um den Unterhalt

Dreh- und Angelpunkt für die nötigen Veränderungen ist in Deutschland laut Schäferbarthold das Unterhaltsrecht. Doch keine politische Partei wolle hier zu lande ernsthaft die familienabhängige Förderung der Studenten abschaffen und ihnen dieses Geld als Grundförderung direkt auszahlen. Parallel zu den bestehenden Entlastungszahlungen an die Eltern ein weiteres Stipendiensystem aufzubauen, das ein Studium im Ausland erleichtert, werde angesichts der öffentlichen Haushaltssituation nicht funktionieren.

Doch wer zahlt künftig die Unterstützung für einen französischen Studenten in Norwegen oder einen Briten in Italien? Dieses Problem scheint bisher fast unlösbar – angesichts der riesigen Unterschiede der Studienförderung in der EU. So erhalten die Studenten in Skandinavien eher mehr Förderung als in Südeuropa, und sie bekommen diese auch direkt ausgezahlt. Das „Paradies der direkten Studienförderung“ ist Dänemark. Dort bekommt ein Student 500 bis 600 Euro im Monat an Unterstützung, referierte Stefanie Schwarz, Geschäftsführerin am Wissenschaftlichen Zentrum für Berufs- und Hochschulforschung in Kassel, aus ihrer Studie zur Studienfinanzierung. In Südeuropa erhalten die Studenten dagegen eher indirekte Unterstützung, etwa durch billiges Mensaessen und Fahrtkostenzuschüsse. Entsprechend wohnen 80 bis 90 Prozent der Studenten in Skandinavien nicht bei den Eltern. In Südeuropa ist es genau umgekehrt. Wohin sich Deutschland orientiert, ist noch immer nicht entschieden.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat im vergangenen Jahr eine erste grundlegende Entscheidung darüber gefällt, wer für die Förderung zuständig ist. Belgien muss danach nun einen französischen Studenten unterstützen, der in Belgien studiert. Tendenz: Zahlen soll das Land, in dem sich die Studenten aufhalten. Das dürfte die attraktiven Studienländer wie Frankreich und Großbritannien kaum freuen. Schäferbartholds Forderung: Die Strukturfonds sollen für die Studienförderung geöffnet werden; denn Bildung gehöre zur Förderung der Wirtschaftsstruktur. GEW-Vorstandsmitglied Gerd Köhler setzt auf ein europaweites Bafög und will für diese Fragen die Vorbereitungen zur internationalen Konferenz in Berlin nutzen.

Doch bisher hat sich das EuGH-Urteil noch nicht auf die allgemeine Praxis ausgewirkt. Und ein portugiesischer Student, der beispielsweise an eine deutsche Hochschule kommt, könnte vermutlich ein halbes Jurastudium mit der Durchsetzung eines Bafög-Anspruchs verbringen. Einem deutschen Studenten in Italien wird es kaum besser gehen.

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