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Gesundheit: Bisweilen wird der Nachwuchs getötet, weil durch die zunehmende Bebauung kaum noch genug Futter da ist

Ausgerechnet dem Weißstorch, geliebt, verehrt von jung und alt, geht es in Deutschland keineswegs gut. Um die Jahrhundertwende brüteten, relativ gleichmäßig verteilt über alle Regionen, mehr als fünfzigtausend Storchenpaare, derzeit sind es deutlich weniger als viertausend, nur etwa ein Fünftel davon in den alten Bundesländern, der größere Rest dagegen in der Ex-DDR.

Ausgerechnet dem Weißstorch, geliebt, verehrt von jung und alt, geht es in Deutschland keineswegs gut. Um die Jahrhundertwende brüteten, relativ gleichmäßig verteilt über alle Regionen, mehr als fünfzigtausend Storchenpaare, derzeit sind es deutlich weniger als viertausend, nur etwa ein Fünftel davon in den alten Bundesländern, der größere Rest dagegen in der Ex-DDR.

Eigentlich schien 1999 ein Storchen-Rekord-Jahr mit ganz besonders starkem Nachwuchs zu werden, Storchenfreunde und -experten frohlockten bereits. Doch jetzt macht Nahrungsmangel die Hoffnungen weitgehend zunichte - sogar in Brandenburg, dem Bundesland mit den meisten Störchen und den vergleichsweise besten Aufzuchtbedingungen.

Die schwarzweißen Vögel waren so früh wie selten, nämlich schon Ende März zurückgekehrt, über 1100 Paare begannen unverzüglich mit dem Brutgeschäft. Dann werden es große Gelege mit meistens fünf, sechs Eiern, wussten Fachleute wie Winfried Böhmer, Leitungsmitglied in der Bundesarbeitsgemeinschaft für Storchenschutz. Böhmer wohnt im Spreewaldstädtchen Vetschau, hat ein Informationszentrum für den als Glücksbringer verehrten Kulturfolger in einem uralten Haus mit aufgebaut - genau davor, im Garten, auf einem Strommast, wie es sich gehört, brütende Störche, ständig beobachtet von einer Videokamera, die Bilder live im Internet.

"Fünf Junge schlüpften, zwei verhungerten, wurden von den Altvögeln verstoßen." Kein Einzelfall - weder in Brandenburg, noch in ganz Deutschland, wie Böhmer betont. Vielerorts geschieht seit Jahren Überraschendes: Altstörche dezimieren den Nachwuchs auf scheinbar brutale Weise; Laien, denen die Hintergründe solchen Verhaltens unbekannt sind, reagieren entsetzt, wenn sogar fast flügge Junge aus dem Nest geworfen werden.

Böhmer kennt aus der Lausitz viele Fälle: Anwohner riefen Naturschützer zu Hilfe, ein Storch sei aus dem Nest gestürzt. Per Feuerwehrleiter wurde er wieder in den Horst gesetzt. Doch kaum war die Leiter eingefahren, kamen die Altvögel angeflogen, töteten ihn, warfen ihn hinunter. Derartiges wurde selbst beim Paar der Vetschauer Station beobachtet. "Auf Video", so Böhmer, "ist festgehalten, wie ein Jungstorch sogar von den Alten gefressen wird. Das klingt aus menschlicher Sicht zunächst brutal."

Doch würden sich die Großvögel anders verhalten, wenn ihr Lebensraum noch weitgehend intakt wäre, betont der Experte. Wie beispielsweise im benachbarten Polen - dort brüten die meisten Störche ganz Europas, nämlich etwa dreißigtausend Paare; im statistischen Durchschnitt werden fast vier Jungen flügge, etwa doppelt soviele wie in Deutschland. Hier können Storcheneltern meist nicht genügend energiereiches Futter heranschaffen, sie dezimieren die Zahl der Jungen, damit die restlichen tatsächlich die Chance haben, bis zum Herbst flügge zu sein, um den Weg nach Afrika zu schaffen.

Gerade wenn die Jungen noch ganz klein sind, muss ein Altvogel am Nest bleiben, während der andere im Umkreis von 500 bis 1000 Metern täglich an die zweieinhalb Kilo Mäuse, Maulwürfe, Frösche, Eidechsen, Schlangen und Insekten aufzutreiben hat. Das schafft er häufig nicht einmal unter den vergleichsweise optimalen Bedingungen des Spreewalds und nicht einmal in der Storchenstation von Vetschau.

Eine Ursache dafür liegt in der zunehmenden Versiegelung von Freiflächen. Auf der einen Seite, beklagt Böhmer, wurde eine große Ödfläche, auf der es viele Mäuse und Insekten gab, "in einen wunderschönen Parkplatz für die Stadtverwaltung umgewandelt. Auf der anderen Seite entstand ein Filialmarkt - die Landschaft ist versiegelt worden." Und im Speckgürtel der Hauptstadt werden die Störche bereits spürbar durch neue Wohnviertel und Einkaufszentren, durch Zersiedlung wie in den alten Bundesländern, verdrängt.

Zudem machen Pestizide dem potentiellen Storchfutter den Garaus. Bernd Ludwig, Storchenbeauftragter Brandenburgs, bedauert, dass die Vögel wegen des zunehmend massiveren Einsatzes von Agrargiften immer weniger Nahrung finden: "Müssen die Altvögel auf Futtersuche immer weiter fliegen, brauchen sie zusätzliche Energien, fressen deshalb mehr und die Jungen bekommen weniger - ein Teufelskreis." Die Landschaft verarme zunehmend, selbst in Getreidefeldern gebe es heute wegen der Biozide so gut wie keine Mäuse mehr. Das ist ganz schlecht für den Storch, denn Feldmäuse, nicht Frösche, seien dessen Hauptnahrung.

Die Nachwuchsrate reicht nicht aus, um den deutschen Bestand zu sichern, obschon es derzeit eine recht stabile, regional teils zunehmende Zahl an Brutpaaren gibt. Das ist kein Widerspruch, erklärt Winfried Böhmer. Der Storchenbestand, besonders der im Osten, lebt von der Zuwanderung aus Polen, und er wird von dort immer wieder aufgefüllt.

Dennoch, die Zeichen sind bedrohlich, sagt Ludwig: Ausgerechnet in Rühstädt, Deutschlands storchenreichstem Dorf mitten im Naturpark Elbtalaue, ziehen neun Paare dieses Jahr keine Jungen auf. Das soll auch an heftigen Horstkämpfen gelegen haben, denen die Brut zum Opfer fiel, und eine zweite nicht begonnen wurde. Und dass in immerhin siebenunddreißig besetzten Nestern fünfundachtzig Jungstörche fast flügge sind, ist für Ludwig eine viel zu geringe Reproduktionsrate. "Auch in Rühstädt können die Nahrungsreserven schon erschöpft sein."

In Wehrenberg (Sachsen-Anhalt), der Nummer zwei unter Deutschlands Storchendörfern, bringen es siebzehn Elternpaare dieses Jahr nur auf achtunddreißig Junge, und dies gilt ebenfalls als sehr wenig. Ohne die polnischen Zuzügler sähe es für die Ost-Störche schlecht aus, sagt der Experte. So schlecht, wie seit langem schon für jene nicht mal 650 Brutpaare der alten Bundesländer.

Klaus Hart

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