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Gesundheit: Blasen, die bei Kälte kommen

Die Urtikaria gibt noch viele Rätsel auf. Doch mit Medikamenten oder kalten Duschen lässt sie sich wirkungsvoll behandeln

Seit einiger Zeit fürchtet Clara L. den Winter. Zu schaffen macht ihr vor allem die Kälte. Genauer: die Auswirkungen auf die Haut. Schon bei vier Grad Celsius geht es los. Clara bezahlt dann schon einen kleinen Spaziergang in der schönsten Wintersonne mit einem von Quaddeln und schmerzhaften Schwellungen entstellten Gesicht. Oft fühlt sie sich danach sogar tagelang nicht gesellschaftsfähig. „Das muss eine Kälteallergie sein“, sagte eine Freundin.

Obwohl dieser Begriff vielen geläufig ist, spricht Marcus Maurer vom Allergiezentrum der Hautklinik an der Charité lieber ganz korrekt von einer Kälte-Urtikaria, zu deutsch Nesselsucht. „Bei einer Allergie bildet der Organismus Antikörper gegen an sich harmlose Substanzen aus der Umwelt, Kälte aber ist keine solche allergieauslösende Substanz, gegen sie können keine Antikörper gebildet werden“, erläutert der Urtikaria-Spezialist.

Verständlicherweise haben in nördlichen Breiten mehr Menschen unter den kältebedingten Hautveränderungen zu leiden, Frauen sind überproportional oft betroffen. Bei Kälte setzen die für Entzündungen zuständigen Mastzellen das Gewebshormon Histamin frei, das die feinen Blutgefäße der Haut weitet.

In den Quaddeln, weißlichen Hubbeln mit geröteter Umgebung, und den Schwellungen tieferer Gewebeschichten sammelt sich Wasser, das aus den umliegenden Blutgefäßen austritt. „Auf welche Weise die Kälte die Mastzellen anregt, ist noch nicht vollständig klar“, sagt Maurer. Auch bei der Behandlung gibt es noch offene Fragen. Bei etwa der Hälfte der Patienten helfen Antibiotika – und das, obwohl oft kein von Bakterien verursachter Infekt nachweisbar ist, gegen den diese Mittel üblicherweise eingesetzt werden. „Ein Versuch lohnt sich aber auf jeden Fall“, sagt Maurer. Zudem haben sich Mittel bewährt, die auch bei Allergien wirken und Histamin blockieren. Bei vielen Betroffenen haben diese Antihistaminika noch einen schlechten Ruf, denn die älteren Mittel aus dieser Medikamentengruppe machen müde.

Inzwischen gibt es jedoch sehr gute Präparate, bei denen das nicht zu befürchten ist. Die müsse man deutlich höher dosieren, als das auf dem Beipackzettel steht, und man könne das bedenkenlos tun, sagt Maurer. „Sie sind auch in dreifacher Tagesdosis sicher, das halten internationale Leitlinien inzwischen fest.“ Vor allem Menschen, deren „Schwellentemperatur“ hoch ist, die also zum Beispiel schon bei 14 Grad Celsius Quaddeln bekommen, kommen ohne diese Mittel schlecht über den Winter.

Anderen hilft eine Eigenbehandlung. Sie basiert darauf, dass die Mastzellen ihre Zeit brauchen, bis sie nach einer kältebedingten Aktivierung den Histamin-Speicher wieder aufgefüllt haben. Vereinfacht gesagt: Wer die Mastzellen regelmäßig entleert und nicht wartet, bis das Fass zum Überlaufen kommt, hat gute Chancen, der Urtikaria ein Schnippchen zu schlagen. „Meist reicht es dafür, einmal am Tag dicht an die Schwellentemperatur heranzukommen“, erläutert Maurer. Dass es so glimpflich abgeht, kann man mit kalten Duschen und regelmäßigen Spaziergängen erreichen.

Die Kälte-Urtikaria ist unter den verschiedenen Erscheinungsformen der Nesselsucht ein „Lieblingskind“ der Forscher. Der Auslöser Kälte eignet sich gut dafür, im Versuchslabor in gleich bleibender Qualität erzeugt zu werden. Aus den Ergebnissen lassen sich dann möglicherweise auch Schlüsse bezüglich anderer Formen der Nesselsucht ziehen.

Aktuell plant die Arbeitsgruppe von Professor Maurer eine Studie zu Stress und Urtikaria. „Unsere Hypothese ist, dass es auch die geistige Leistungsfähigkeit beeinflusst, wenn man akut unter Quaddeln und dem Juckreiz leidet.“ Um das herauszufinden, messen die Dermatologen nicht nur die Konzentrations-, Merk- und Belastungsfähigkeit der Teilnehmer mit verschiedenen Testverfahren. Sie möchten auch ermitteln, wie hoch die Dosierung von Medikamenten sein muss, damit all diese Fähigkeiten nicht leiden.

Adelheid Müller-Lissner

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