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Blutschwamm

© Superbild

Blutschwämme: Tückischer Makel

Blutschwämme bei Babys können von selbst wieder verschwinden – oder eine Behinderung verursachen. Im St.-Joseph-Krankenhaus werden sie in einem neuen Zentrum behandelt.

„Ich bin Kinderarzt, mich macht so ein Gewusel nicht nervös“, sagt Lutz Meyer-Junghänel. Er meint das Gedränge, das an jenen Sonntagen entsteht, wenn er 40 bis 50 Familien aus mehreren europäischen Ländern im St.-Joseph- Krankenhaus in Tempelhof empfängt. Sie alle wollen sich dort im neu gegründeten „Zentrum für Vasculäre Malformationen bei Kindern“ (ZVM) beraten lassen, das Kinderchirurg Meyer-Junghänel leitet. Die Eltern kommen auch, weil sie ihre Kinder in Tempelhof von dem New Yorker HNO-Professor Milton Waner operieren lassen können, der in Manhattan das Vascular Birthmark Institute leitet. Mehrmals im Jahr kommt er nach Berlin. Waner gilt weltweit als einer der erfahrensten Operateure, wenn es um angeborene und wachsende Gefäßmissbildungen bei Kindern geht.

Jeder hat schon einmal ein Baby mit einem solchen „Blutschwämmchen“ (Hämangiom) im Gesicht gesehen. Oder ein Kind mit einer Schwellung, die durch ein Lymphangiom – die Fehlbildung eines Lymphgefäßes – entstanden ist. Manchmal können solche rötlich-bläulich schimmernden Male ein süßes kleines Gesicht regelrecht entstellen. Typischerweise wachsen sie in den ersten Wochen nach der Geburt besonders schnell. Meist bilden sie sich zwar später von selbst wieder zurück. Aber nicht immer.

Und manchmal kann es furchtbare Folgen haben, wenn ein Blutschwämmchen nicht behandelt wird: Meyer-Junghänel berichtet von einem Kind, das durch ein Hämangiom auf einem Auge blind wurde. Der Blutschwamm saß auf dem Oberlid und machte es dem Baby unmöglich, sein Auge zu öffnen. Wenn man in einem solchen Fall nicht rechtzeitig operiert, kann das Kind sein Auge in der fürs Sehen entscheidenden Entwicklungsphase nicht nutzen. Ist das Hämangiom dort, wo die Windeln auf der Haut aufliegen, kann es zu Geschwüren und Infektionen kommen, die schwer abheilen.

Auch innerlich kann sich ein Blutschwamm bilden: Ist etwa die Zunge eines Kindes betroffen, dann wird nicht nur das Schlucken, sondern auch das Sprechen schwer. Es drohen Rückstände in der Sprachentwicklung, die später schwer aufzuholen sind. Bei Fehlbildungen im Rachen kann sogar die Atmung erschwert sein.

Als besonders sensible Region gilt aber vor allem das Gesicht – nicht nur optisch: Eine Gefäßmissbildung kann hier Nerven beschädigen, die für die Mimik wichtig sind. Dieselben Nervenverzweigungen können andererseits auch durch die Operation verletzt werden. An einige Stellen trauen sich deshalb nur sehr erfahrene Kinderchirurgen. Seit einiger Zeit sind die Eingriffe aber sicherer geworden – durch das sogenannte Neuromonitoring. Mittels moderner Bildgebung hat der Operateur dabei die empfindlichen Gesichtsnerven während der Operation ständig im Blick.

Die Behandlung ist immer Teamsache. „Die Kunst besteht im richtigen Potpourri“, sagt Meyer-Junghänel. In der Hälfte der Fälle hilft eine Behandlung mit dem Laser, bei der die fehlgebildeten Blutgefäße verödet werden. Oft kann man damit eine Operation hinausschieben oder erreichen, dass der Eingriff kleiner ausfällt. Die Kinderchirurgen vom St.-Joseph-Krankenhaus arbeiten deshalb eng mit der Klinik für Lasermedizin in der Berliner Elisabeth-Klinik zusammen. Manchmal können Ärzte die Gefäße auch veröden, ähnlich wie bei der Behandlung von Krampfadern. Oder ein Radiologe kann sie über einen Katheter verschließen.

Auch Medikamente können dazu beitragen, dass die Fehlbildung klein bleibt. So wird den Kindern oft zuerst ein Kortisonpräparat gegeben, das gegen Entzündungsreaktionen wirkt. Vor kurzem wurde in Frankreich darüber hinaus eine vielversprechende Entdeckung gemacht – per Zufall: Ärzte der Uni-Kinderklinik in Bordeaux hatten einem Baby, das einen Blutschwamm an der Nase hatte, wegen einer schweren Erkrankung des Herzmuskels einen Betablocker verordnet – ein Medikament, das viele Erwachsene wegen hohen Blutdrucks einnehmen. Schon am Tag danach fiel auf, dass das Hämangiom blasser und weicher wurde.

Das Kind hatte zwar auch Kortison gegen den Blutschwamm bekommen. Doch das wurde nun abgesetzt – und das Hämangiom ging trotzdem weiter zurück. Versuchsweise gaben die Ärzte nun zehn weiteren Säuglingen, die unter Blutschwämmen litten, Betablocker. Auch bei ihnen bildeten sich die Geschwulste zurück. Nach weiteren guten Erfahrungen wird die Substanz Propanolol, die in Betablockern enthalten ist, jetzt auch in Deutschland bei kindlichen Blutschwämmen eingesetzt. Damit sie offiziell für diesen Zweck zugelassen werden kann, müssen jedoch noch größere wissenschaftliche Studien folgen. Es bestehe die Hoffnung, dass in Zukunft Blutschwämme immer häufiger mit Medikamenten behandelte werden könnten, sagt Meyer-Junghänel. Dass Operationen und Laserbehandlungen dadurch ganz überflüssig werden, ist aber nicht zu erwarten.

Ins St.-Joseph-Krankenhaus kommen besonders viele Familien aus osteuropäischen Ländern, die sich eine Operation wünschen. „Eltern mit einem solchen Kind scheuen oft keine Mühen und mobilisieren alles, um die Reise und die Operation möglich zu machen“, sagt der Kinderchirurg. Manchmal dauert es allerdings, bis sie die Reise möglich machen können – bis es schon fast zu spät ist: Wenn ein Hämangiom schon die Atmung oder das Sehen behindert, können selbst die Spezialisten nicht immer helfen.

www.vascular-malformation.de

Adelheid Müller-Lissner

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