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© dpa

Burnout Vorbeugung: Meeresrauschen gegen Stress

Das richtige Zeitmanagement, Entspannungsübungen und mehr Sport können ein Burnout verhindern Am Präventionszentrum der Charité lernen Führungskräfte, wie sie besser mit ihren Kräften haushalten.

Meeresrauschen. Am Strand liegen und tief durchatmen. Keine Termine, kein Zeitdruck, kein Stress. Das wünschen sich viele Menschen, vor allem jene, die in verantwortungsvollen Positionen arbeiten. Die Realität sieht oft anders aus: Führungskräfte sind häufig Sklaven ihres Terminkalenders. Für so vieles bleibt keine Zeit mehr. So gerät die "Balance zwischen Arbeit und Freizeit“ aus den Fugen, wie es die Psychologin Claudia Seydel ausdrückt. Am Präventionszentrum der Charité bietet sie Entspannungskurse für Menschen an, die sonst selten zur Ruhe kommen. Zum Beispiel, weil sie zum dritten Mal binnen einer Woche nach einem 14-Stunden-Tag noch ein Geschäftsessen haben.

„Keine Chance dem Burnout“ heißt der Kurs, der an diesem Tag stattfindet. Claudia Seydel sitzt auf einem schwarzen Drehstuhl im Seminarraum. Die Kursteilnehmer liegen auf smaragdgrünen Matten. Im Hintergrund rauscht tatsächlich das Meer – aus einer Stereoanlage, die hier im zweiten Stock über dem belebten Karlsplatz in Berlin-Mitte steht.

Die Psychologin schickt die leitenden Mitarbeiter heute auf eine Traumreise durch ihren Körper. Mit sanfter Stimme sagt sie: "Der Mund verformt sich zu einem O und ist angespannt – und loslassen.“ Die Gesichter der Teilnehmer entspannen sich. Als Nächstes soll jeder langsam das linke Bein heben und es locker wieder ablegen. Und dann das rechte. Auch die Finger, die Arme und die Schultern werden angespannt und danach wieder fallen gelassen. "Führungskräfte sind oft fremdbestimmt. Hier lernen sie, dass sie sich auch zwischendurch für einen kurzen Moment entspannen können, etwa vor einer Konferenz.“ Das gehe auch ohne Matte und Musik, sagt Seydel, die bis zu acht Teilnehmer pro Burnout-Seminar betreut.

Angebot geht über Entspannungskurse hinaus

Aber diese Kurse sind nur ein Teil des Angebots am Präventionszentrum der Charité. Seit Februar dieses Jahres können Unternehmen für ihre Mitarbeiter hier einen Gesundheitscheck buchen. Dazu gehört ein großes Blutbild, bei dem alle wichtigen Werte, wie Cholesterin und Eisen erfasst werden. Außerdem wird die Blutgerinnung untersucht. Es folgen ein Elektrokardiogramm (EKG), eine Ultraschalluntersuchung und ein Hals-Nasen-Ohren-Check. Auch die Wirbelsäule nehmen die Ärzte unter die Lupe, damit Rückenprobleme rechtzeitig erkannt werden. Außerdem können die Geschäftsleute mit einem Psychologen darüber sprechen, wie sie Beruf und Freizeit besser kombinieren können und welche Probleme der stressige Arbeitsalltag mit sich bringt.

René Münchberg, Regionalleiter der Berliner Volksbank, hat diese Möglichkeit in Anspruch genommen. "Das Gespräch war sehr offen, aber auch ziemlich aufreibend“, sagt der 46-jährige Vater von drei Kindern, der im Job für 30 Angestellte zuständig ist. Die Geschäftsführung seiner Bank hatte 50 Mitarbeiter zu dem Programm "Gesundheit für Führungskräfte“ eingeladen. Nachdem Münchberg mit dem Psychologen gesprochen hatte, war sein Blutdruck bei 150 zu 90. "Die Werte sind zu hoch, vielleicht lag es an der Aufregung“, sagt er. Deshalb will er jetzt noch ein weiteres Modul draufsetzen: ein 24-Stunden-EKG zur detaillierten Analyse seiner Herztätigkeit. Bei Bedarf können die Teilnehmer weitere Angebote wahrnehmen, etwa ein Tumorscreening. "Das bieten wir samstags an, damit alle Untersuchungen nacheinander ohne Wartezeiten erfolgen können“, sagt die Leiterin des Präventionszentrums, HNO-Ärztin Birgit Mazurek.

Große Nachfrage nach Gesundheitschecks

Das kommt auch Münchberg sehr entgegen, denn Zeitmangel sei sein größtes Problem. Der Stress breite sich irgendwann so sehr aus, dass auch die Beziehung zu Partnern und Kindern darunter leide. "Meine erste Ehe ging deshalb kaputt“, sagt Münchberg. Heute versuche er, sich mehr Raum zu schaffen für Aktivitäten mit der Familie und für Sport. "Auf Bewegung habe ich früher zu wenig geachtet, das hat sich bei dem Gesundheitscheck herausgestellt“, sagt er. Seitdem radelt Münchberg einmal pro Woche durch den Grunewald. Das Angebot der Charité für Manager kommt bei Unternehmen gut an. Für dieses Jahr rechnet Birgit Mazurek mit insgesamt 500 Teilnehmern.

Das Zentrum verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz: Während es bei den ärztlichen Diagnosen um den Körper geht, konzentrieren sich die Kursleiter beim Burnout-Seminar auf Seele und Geist ihrer Klienten. "Wir beginnen damit, dass sich jeder vorstellt“, sagt Psychologin Seydel. Entweder sitzen hier Mitarbeiter unterschiedlicher Firmen zusammen oder Kollegen aus demselben Unternehmen. Als Nächstes werden sie in Rollenspielen in Stresssituationen versetzt und werten diese anschließend aus. Dabei wird zum Beispiel eine unangenehme Vorstandssitzung nachempfunden, in der die Mitarbeiter die unerwartet schlechten Quartalsergebnisse bekannt geben – und kritische Nachfragen aushalten müssen.

Selbst während der Rollenspiele könne der Stresshormonspiegel enorm steigen, sagt Mazda Adli, Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Campus Mitte. Viele Seminarteilnehmer berichten außerdem von Schlafstörungen, Appetitlosigkeit und Ängsten. "Das Stresshormon Kortisol ist an der Regelung des Kreislaufs beteiligt. Normalerweise ist eine Stressphase spätestens nach drei Tagen vorüber“, sagt Adli. Doch damit sich der Stress abbauen kann, müssen der Zu- und Ablauf des Stresshormons funktionieren. Ansonsten können Menschen depressiv oder unruhig werden. "Deshalb müssen die Abflusswege in Ordnung gehalten werden“, beschreibt der Psychiater die Situation.

Richtiges Zeimanagement ist wichtig, um psychosomatischen Störungen vorzubeugen

Wer sehr gestresst ist und sich häufig ausgebrannt fühlt, sollte deshalb sein Zeitmanagement überprüfen: Muss ich wirklich heute alle Termine wahrnehmen? Wie strukturiere ich meinen Tagesablauf ? Zu solchen Fragen bekommen gestresste Manager hier wichtige Tipps. "Man muss es gar nicht erst zu einem Herzinfarkt kommen lassen“, sagt Adli. Am besten sei es, die Vorzeichen von Stress frühzeitig ernst zu nehmen und zum Arzt zu gehen. "In den vergangenen Jahren haben die Krankheitstage infolge psychosomatischer Störungen extrem zugenommen“, sagt der Stressexperte.

Die Kosten für die Charité-Angebote übernehmen teilweise die Firmen. Manchmal müssten sich die Mitarbeiter aber auch daran beteiligen, sagt die Leiterin Birgit Mazurek. Das Grundmodul kostet rund 1800 Euro und dauert sieben Stunden. Eine Kassenleistung ist das Konzept "Gesundheit für Führungskräfte“ nicht.

Aber die Teilnahme kann sich lohnen. Wer an einem Samstag in dem Gebäude am Karlsplatz ankommt, dem steigt sofort ein fruchtiges Teearoma in die Nase. Neben dem Eingang steht ein silberner Samowar, in dem Wasser köchelt. Ein paar Schritte weiter, im Seminarraum, vermischt sich Meeresrauschen mit der sanften Stimme von Claudia Seydel und den lauten Motorgeräuschen von der Straße. Reizüberflutung wie im richtigen Leben. Bloß kein Stress.

Weitere Informationen unter der Telefonnummer 450655169 und http://praeventionsmedizin.charite.de, renate.siegel@charite.de.

Liva Haensel

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