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Gesundheit: Clowns gegen Kontrolle

An den Unis werden Teilnehmerlisten gestohlen

Ein neues Phänomen macht von sich Reden: der Klau von Anwesenheitslisten aus Hochschulseminaren. Aus fünf deutschen Städten wird berichtet, Studierende hätten schreiend Vorlesungen gestürmt und dort ausliegende Teilnehmerlisten an sich gerissen, um sogleich wieder zu verschwinden, schreibt „Spiegel online“. Auch an der Freien Universität (FU) sind bereits Anwesenheitslisten aus den Seminarräumen und Vorlesungssälen entwendet worden, soweit bekannt ist, ausschließlich aus dem Otto-Suhr-Institut. Die Diebe – manche von ihnen als Clowns verkleidet – platzen mitten in Lehrveranstaltungen und greifen sich die Namenslisten, auf denen die Dozenten die Anwesenheit der Studierenden während des gesamten Semesters dokumentieren.

Einmal sei es dabei zu einer Tätlichkeit gegen einen FU-Dozenten gekommen, dem ein Täter gewaltsam Listen entriss, berichtet Joachim Jens Hesse, Politikwissenschaftler an der FU. Auch aus Hesses Vorlesung hatten maskierte Clowns im vergangenen Semester eine Anwesenheitsliste entwendet. In einem weiteren Fall hätten Studierende Namen ihrer Kommilitonen in eine Liste eingetragen, obwohl diese nicht im Hörsaal saßen. Werden Listen gestohlen, verlieren die Unis prüfungsrelevante Informationen. Wer zu oft gefehlt hat, erbringt keine „aktive Mitarbeit“.

Zum Listenklau hat an der FU eine kleine Gruppe Studierender aufgerufen. Sie gibt an, in diesem Semester mehr als fünf Listen geklaut zu haben, um so gegen die Anwesenheitspflicht zu demonstrieren. „Wir wollen die Studierendenschaft für das Recht auf ein selbstbestimmtes Studium sensibilisieren“, sagt eine Initiatorin eines Aufrufs, die unerkannt bleiben möchte: „Pflichten und Kontrollen sind in den neuen Studiengängen Bachelor und Master extrem geworden.“

Schon im vergangenen Semester habe es an der FU acht Fälle von Listendiebstahl gegeben, sagt Barbara Riedmüller, Professorin am OSI. Die Uni-Leitung widerspricht jedoch der Darstellung der Studierenden, in diesem Semester seien fünf Listen gestohlen worden. Nur ein Fall sei bekannt, sagt Hellmut-Johannes Lange vom Rechtsamt der Freien Universität.

Auch an der Humboldt-Universität (HU) hätten Studierende Listen entwendet, um gegen die Anwesenheitspflicht zu protestieren, sagt Rebecca Brückmann vom Studierendenparlament der HU. Die Humboldtdiebe seien aber Einzeltäter, bedauert Brückmann. Sie hält die Idee des Listenklaus für sinnvoll.

„Die Mehrheit der Studierenden ist geschockt“, sagt hingegen der FU-Politikwissenschaftler Hesse. Er habe viele E-Mails bekommen, in denen sich Studierende von ihren Kommilitonen distanzierten. Der Professor sieht in Teilnehmerlisten „die weichste Art, Mitarbeit zu überprüfen“. Auch seien Diebstahl, Betrug und Tätlichkeiten strafrechtlich relevant. Rechtliche Schritte wolle an der FU aber niemand einleiten. Allerdings droht Hesse, er werde keine Scheine ausstellen, sollten wieder Listen geklaut werden.

Barbara Riedmüller hilft sich in anderer Weise. Nachdem im Wintersemester eine Liste gestohlen wurde, verzichtet sie jetzt in ihrer Vorlesung von vornherein auf Listen und lässt statt dessen Tests schreiben. Die „Kultur der Abwesenheit“ beginne sich zu ändern, sagt Riedmüller. Die Studierenden kämen inzwischen regelmäßig.

Für Hellmut-Johannes Lange ist die beste Lösung eine Umstellung des Listensystems. Statt wie vorher fortlaufende Listen zu führen, sei es besser, zu jeder Sitzung eine neue Liste anzulegen. Werde diese gestohlen, könnten die Dozenten immer noch alle Anwesenden persönlich nachtragen. „Darüber hinaus werden wir uns alle notwendigen Maßnahmen als Reaktion vorbehalten“, sagt Lange.

Johannes Edelhoff

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