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Gesundheit: „Da stimmten auf einmal die Witze nicht mehr“

Wie männlich ist die Wissenschaft? Karin Hausen, Mitbegründerin der historischen Geschlechterforschung, wird 65 – und verlässt die Universität ohne Bedauern

Nach fast 40 Jahren wissenschaftlicher Tätigkeit: Würden Sie sich selbst als zerstreute Professorin bezeichnen?

Oh nein! Dann hätte ich das alles nie geschafft: Kind, volle Professur, Hochschulpolitik … Nein, nein. Zerstreut bin ich nicht.

In dem Buch „Wie männlich ist die Wissenschaft?", das Sie mit Helga Nowotny 1986 herausgegeben haben und das die männliche Prägung zahlreicher Disziplinen analysiert, schrieben Sie, der zerstreute Professor sei ein Mann.

Ja, denn die Bedingung der Möglichkeit, Zerstreutheit zu kultivieren, besteht nur dann, wenn andere, zumeist die Ehefrau, dem Wissenschaftler den Rücken frei halten. Diese Situation hatte ich nie.

Hätten Sie es sich manchmal gewünscht?

Selbstverständlich: Schreiben erfordert ja ein extremes Maß an Konzentration. Ich habe mich unter anderem deshalb für die kleine Form entschieden, also Aufsätze geschrieben und nicht große Bücher. Die kleine Form zwingt dazu, und das ist ein großer Vorteil, die Aussagen so weit zu konzentrieren, dass jeder Satz notwendig ist. Außerdem: Wenn ich ein Thema einmal in eine Form gebracht habe, will ich es auch weglegen. Variationen über denselben Befund unendlich fortzuschreiben, wie es häufig geschieht, langweilt mich. Das Fortschreiben ist allerdings in der Wissenschaft ein sicherer Weg, sich für ein bestimmtes Forschungsgebiet als zuständige Person auszuweisen.

Das funktioniert wie ein Markenzeichen im Show Business?

Wissenschaft wird in der Tat immer mehr zur Show. Die Performance zum Zwecke der Markteroberung wird wichtiger als das, was man vielleicht zu sagen hat. Mir ist es übrigens lange Zeit schwer gefallen, mich davon zu überzeugen, dass ich etwas zu sagen habe, was andere interessieren könnte.

Typisch weiblich?

Ja, ich bin wohl auch in diesem Punkt „typisch weiblich“; ich gehöre auch zu der Generation von Professorinnen, die gleichsam aus Versehen Professorin geworden sind – eigentlich wollte ich Studienrätin werden. Aber das waren ja noch idyllische Zeiten, ich wurde nach der Promotion einfach gefragt, ob ich Assistentin werden möchte.

Idyllische Zeiten, in denen es noch kaum Professorinnen gab …

Unsereins löste damals noch eine Schockwirkung aus, wenn man als einzige in einen Kreis von Männern kam – da stimmten auf einmal die Witze, die Regeln der akademischen Kommunikation nicht mehr. Das war alles noch ganz ungeübt. Heute ist es eher selbstverständlich, dass zumindest im Mittelbau Männer und Frauen statusgleich zusammenarbeiten, und auch Professorinnen sind keine Ausnahme mehr.

Die Wissenschaft ist also heute weniger männlich?

Weniger als damals sicherlich. Aber Frauen sind im Lehrkörper immer noch stark unterrepräsentiert, und ob sich das im Zuge des anstehenden Generationswechsels ändern wird, ist keineswegs abzusehen.

Hat sich die Frauen und Geschlechterforschung in den Disziplinen etablieren können?

Die anfangs offene Abwehr und wohlfeile Diskriminierung ist abgeklungen. Meist wird akzeptiert, dass hier ein neues Fachgebiet entstanden ist. Strittig ist jedoch weiterhin, ob Geschlechterforschung ein Kernbereich oder ein bei knappen Kassen überflüssiger Luxus ist. Nur wenige Wissenschaftler begegnen dem Angebot mit intellektueller Neugier. Bis heute fällt zum Beispiel kaum jemandem auf, dass oft nur Jungen gemeint sind, wenn von „Jugendlichen“ die Rede ist. Oder nehmen Sie die Debatte um die Reform der sozialen Sicherungssysteme: Es wird kaum ausgesprochen, dass diese Systeme immer noch auf ein Familienmodell zugeschnitten sind, in dem der Mann der Verdiener ist und die Frau nur vom Ehemann abgeleitete Sozialansprüche hat.

Wo ist eine Etablierung gelungen?

In meinem Fach, der Geschichtswissenschaft, hat das neue Interesse für die Handlungsspielräume von Frauen und Männern gezeigt, dass man für die Frühe Neuzeit mit den Kategorien privat und öffentlich – die aus dem 19. Jahrhundert stammen – nicht weit kommt. Der genauere Blick auf die Geschlechter hat für das 19. und 20. Jahrhundert die üblichen Klassen- und Schichtenanalysen in Frage gestellt, weil diese nur die Vater-Sohn- und Mann-zu-Mann-Konstellationen berücksichtigen.

Sie haben in Ihrem viel zitierten Aufsatz „Die Polarisierung der Geschlechtscharaktere“ schon 1976 beschrieben, wie Frauen und Männern im Zuge der Trennung von Erwerbs- und Privatleben ab dem Ende des 18. Jahrhunderts unterschiedliche Charaktereigenschaften zugewiesen wurden. Heute versuchen Soziobiologen unterschiedliches Verhalten von Männern und Frauen auf die Gene zurückzuführen.

Diese Rückkehr zur Biologie ist gefährlich. Ich halte dem entgegen: Gut, ihr weist nach, was Zehntausende von Jahren gegolten hat und angeblich biologisch bedingt ist. Aber ich sehe, wie viel sich innerhalb weniger Jahrzehnte verändert, aufgrund historischer und kultureller Bedingungen!

Apropos Veränderung: Wie haben sich in den Jahrzehnten ihrer Lehrtätigkeit die Studentinnen und Studenten verändert?

Ich bin offenbar im Alter zu weit von ihnen entfernt, um sie zu verstehen. Sie erscheinen mir unglaublich anspruchslos, was intellektuelle Anstrengung anbelangt. Im Studium kommt es darauf an, schnell von Alete-Brei zu Aletekost mit Stückchen überzugehen …

… sich nicht alles vorkauen zu lassen, sondern eigene Fragestellungen entwickeln …

Ja! Mich macht es zornig, wenn Studierende abwartend da sitzen, sich allenfalls in Schülerhaltung fragen, worauf die Professorin wohl hinaus will. Offenbar ist es für sie heute wegen des viel beschworenen Zeitdrucks und der häufig parallelen Erwerbsarbeit sehr schwierig geworden, sich die Zeit zu nehmen, die man für ein Studium braucht. Studierende erfahren selten, dass es Spaß macht, ein Buch zu lesen – oder einige Seiten dreimal zu lesen, um sie dann zu verstehen.

Da sind wir wieder beim Thema Zeit und Zeitknappheit. Gehen die jungen Frauen damit anders um als die jungen Männer?

Bei jungen Frauen wundert mich immer, wie wenig kalkuliert sie mit ihrer Zeit umgehen, schließlich ist die Phase, in der sie Kinder gebären können, doch begrenzt. Irgendwann kann man nicht mehr alle Bälle in der Luft haben! Anders als vor dreißig Jahren gehen sie selbstverständlich davon aus, dass sie eine eigene berufliche Existenz und Kinder haben werden und dass der Mann gleichermaßen zum Haushalt beiträgt. Vermutlich wegen der unsicheren Berufs- und Einkommensperspektive projizieren sie ihre Visionen jedoch kaum auf eine Zeitschiene. Alles in allem: Die Studierenden heute sind anders, da müssen andere Leute ran. Ich bin’s nicht mehr. Ich war eine begeisterte Lehrende, und an ein reines Forschungsinstitut zu gehen, war für mich lange Zeit eine schreckliche Vorstellung. Heute freue ich mich darauf, mit mehr Ruhe forschen und schreiben zu können.

Das Gespräch führte Dorothee Nolte.

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