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Teilnehmerinnen der Mobilis-Gruppe.

© ddp / Sascha Schürmann

Das Abnehmprogramm Mobilis: Dieser Weg wird kein leichter sein

Viele stark Übergewichtige versuchen seit Jahren vergeblich, schlanker werden. Ein Verein will ihnen nun helfen. Er bietet ein einjähriges Abnehmprogramm an, das Sport und Psychologie einbezieht. In Berlin startet jetzt eine neue Gruppe.

In seiner Jugend war er Leistungssportler. Dann kam ihm ein schwerer Unfall in die Quere. Mit 44 Jahren wog er 118 Kilo, hatte Bluthochdruck, erhöhte Zucker- und Leberwerte. Nicht dass er nicht versucht hätte, abzunehmen, sich mehr zu bewegen, gesünder zu leben. Es gab viele Diäten, doch der Erfolg war nie von Dauer. „Ich bin an meiner Selbstbelügerei gescheitert", urteilt er im Rückblick. Und das, obwohl er als der Pflegepädagoge und Altenheimmitarbeiter sogar ein Mann vom medizinischen Fach ist. Diese anonym aufgezeichnete Geschichte ist eine von vielen Leidensgeschichten, die sich auf der Homepage des Vereins Mobilis nachlesen lassen. Hinter der Abkürzung verbirgt sich der sperrige Name „multizentrisch organisierte bewegungsorientierte Initiative zur Lebensstiländerung in Selbstverantwortung“. Die abgespeckte Namensversion fasst es gut zusammen: Mobil werden, eigene Kräfte mobilisieren.

Programme zum Abnehmen gab es bereits in Hülle und Fülle, als Mitarbeiter der Abteilung Rehabilitative und Präventive Sportmedizin am Uniklinikum Freiburg und des Instituts für Kreislaufforschung und Sportmedizin der Deutschen Sporthochschule Köln Mobilis im Jahr 2002 gründeten. Sie wollten ein Angebot speziell für stark Übergewichtige schaffen, bei dem nicht wie bei den meisten anderen Angeboten allein die Ernährungsumstellung im Vordergrund steht.

In vielen Orten Deutschlands organisiert der Verein seitdem Gruppen, in denen sich etwa 15 Menschen jeweils ein Jahr lang mehrmals in der Woche treffen. Je nach Thema des Treffens leiten es Ernährungswissenschaftler, Sportwissenschaftler oder Psychologen. In Berlin sind schon vier solche Gruppen ein Jahr lang gelaufen. Die fünfte Gruppe ist gerade in Planung und soll im Frühjahr starten. Es werden noch Teilnehmer gesucht.

Die meisten verfügen über einen Erfahrungsschatz aus Erfolgen und Niederlagen

Zwar hat auch im Mobilis-Programm Ernährungsberatung ihren festen Platz: In Gruppen- und Praxissitzungen wird besprochen wie man „fettgesund, kohlehydratbewusst und eiweißbetont“ essen kann. Doch auch die psychologische Komponente wird mit einbezogen. Denn die meisten, die an dem einjährigen Programm teilnehmen, haben über Kohlehydrate, Fette und Eiweiße schon vorher jahrelang nachgedacht – und zahlreiche Diäten ausprobiert. Sie verfügen über einen Erfahrungsschatz an Erfolgen und Niederlagen. In einem Manual und in den psychologisch betreuten Gruppensitzungen wird über diese Erfahrungen gesprochen. Ein Thema lautet: „Unterstützung und Sabotage“. Es geht um die Frage, was die Abnehmpläne der Teilnehmer eigentlich immer wieder sabotiert. Und die Teilnehmer sollen auch herausfinden, was sie beim Abnehmen motiviert.

„Wir sind ehrlich mit den Absolventen, wir versprechen ihnen keine schnellen Erfolge", sagt Geschäftsführer Andreas Berg. Jedenfalls keine, die sich ganz plötzlich auf der Waage bemerkbar machen. Wenn das Programm es trotzdem bis zu einer Empfehlung in der aktuellen wissenschaftlichen Leitlinie der Deutschen Adipositas-Gesellschaft gebracht hat, so liegt das an der zentralen Rolle, die hier die Bewegung spielt. Schnelle Erfolge zeigen sich nämlich bei der körperlichen Leistungsfähigkeit. Insgesamt sind 40 Treffen vorgesehen, in denen die Teilnehmer sich in einer Sporthalle oder im Freien treffen. Draußen steht dann zum Beispiel eine Stunde zügiges Gehen auf dem Programm, drinnen Übungen mit kleinen Geräten wie dem Teraband, Gymnastik auf der Matte und verschiedene Mannschaftsspiele.

Alle brauchen Sportklamotten in Übergrößen. Diejenigen, die drinstecken, sind aber denkbar unterschiedlich

„Die Spiele sind es, die das Eis brechen“, beobachtet der Sportwissenschaftler Grischa Neubert, der in Berlin bereits vier dieser Gruppen ein Jahr lang begleitet hat. Später, wenn sich alle besser kennen, komme es dann auch zu privaten Bewegungsverabredungen, etwa ins Schwimmbad oder zum Tanzen.

Zu Beginn verbindet die Teilnehmer eigentlich vor allem, dass sie Sportklamotten in Übergrößen brauchen. Die Personen, die in ihnen stecken, sind allerdings denkbar unterschiedlich, sie können Rentner sein oder Studienanfänger, männlich oder weiblich, groß oder klein. Auch die Lebensgeschichten sind verschieden: Es nehmen sowohl ehemalige Leistungssportler wie der 44-Jährige Pflegepädagoge teil, aber auch „Couchpotatoes“, die nie besonders sportlich waren und damit ganz gut lebten, bis eine Krise sie aus der Bahn warf und sie sich mit Essen zu trösten begannen. Kein Wunder also, wenn die Teilnehmer mit recht unterschiedlichen Wünschen zum ersten Treffen kommen, wie Neubert berichtet. „Es dauert, bis sich die Gruppe formiert.“

Der Sportwissenschaftler versucht, bei jedem Einzelnen gute Körperwahrnehmungen aufzuwecken, ein Gespür für die eigene Leistungsfähigkeit, auch Spaß daran, sich zu verausgaben. „Ich verbinde mit Bewegung Emotionen. Es kommt darauf an, dass es positive Emotionen werden.“ Auch kleine Widrigkeiten passen, richtig bewertet, in dieses freundliche Bild. Zum Beispiel ein Muskelkater. „Viele glauben dann gleich, dass sie sich eine Zerrung zugezogen haben.“ Oder Wind und Wetter: Auch bei Schnee, Nässe, Glätte und Dunkelheit kann es draußen schön sein, etwa mit der Gruppe auf dem Tempelhofer Feld.

Insgesamt fast 7000 Menschen haben sich seit 2002 schon einer der bundesweit an vielen Orten angebotenen Gruppen angeschlossen, rund 500 davon sind gerade in einer der laufenden Gruppen dabei. Teilnehmen können Menschen mit einem Body Mass Index (BMI, Gewicht in Kilogramm geteilt durch Größe in Metern im Quadrat) von 30 bis 40. Bedingung ist, dass ein Arzt die Notwendigkeit bescheinigt und in einer Eingangsuntersuchung sein OK für die Teilnahme gibt. Dann übernehmen einige Krankenkassen den Hauptanteil der Kosten. Denn inzwischen haben Studien gezeigt, dass die Teilnahme hilft, Folgekrankheiten zu vermeiden. Jan Häußler und Friedrich Breyer von der Universität Konstanz haben in einer 2013 veröffentlichten Kosten-Nutzen-Analyse zudem herausgefunden, dass das Programm sich „rechnet“, weil die Kassen Geld für Diabetes-Behandlungen sparen.

Auch der eingangs erwähnte Pflegepädagoge hat nun bessere Blutzuckerwerte, und er ist um fast 25 Kilo leichter. Vor allem aber ist er gelassener geworden, weil er keine Angst mehr hat, in alte Verhaltensmuster zurückzufallen. Er habe nun das passende Handwerkszeug, so berichtet er. Es im Alltag zu nutzen, um nicht wieder zuzunehmen, das kann ihm aber keiner abnehmen.

Informationen über die geplante neue Gruppe in Berlin unter www.mobilis-programm.de und unter Tel. 0761-503910

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