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Gesundheit: Das All ist sein Gedankenraum

Stephen Hawking an der Freien Universität: Er durchdringt die Geheimnisse des Universums – allein mit der Kraft seines Geistes

Montag, 16 Uhr 9, er wird das erste Mal in den Hörsaal gerollt. Blitzlichter, Klatschen. Er blinzelt in die Kameras.

Dann rollt ihn sein Begleiter wieder hinaus.

Der Beamer wirft ein Gemälde von Albert Einstein an die Leinwand. Zwei Geigenspieler stimmen ihre Instrumente – und fangen an zu spielen.

Der Hörsaal der Freien Universität Berlin in Dahlem ist randvoll, mehr als 500 Menschen, Professoren, Presse, Studenten. Vorne rechts in der ersten Reihe hat Sabine Christiansen Platz genommen. In zwei weiteren Hörsälen überträgt man per Videoschaltung.

16 Uhr 26. Wieder rollt er hinein, den Kopf schräg an ein Polster seines Rollstuhls gelehnt, die Haut rosa. Sein Körper wirkt in dem grauen Anzug wie zusammengefallen. Reglos liegt er im Rollstuhl, nur der Mund und die Augen bewegen sich. „Can you hear me?“ scheppert plötzlich eine laute Synthesizerstimme aus dem Nichts. Es ist „seine“ Stimme. Der Vortrag beginnt.

Stephen W. Hawking, der britische Kosmologe, Legende schon zu Lebzeiten, ist zu Besuch in Deutschland. Am Montag sprach er an der FU über den „Ursprung des Universums“, Thema seines Lebens. Abends war der Physiker bei Beckmann zu sehen. Und Mittwoch wird er auf der Buchmesse erwartet.

Stephen Hawking – als „Master of the Universe“ hat ihn die BBC bezeichnet. Für den „Spiegel“ ist er ein „Jahrhundertgenie wie Albert Einstein“. Manche, etwa der „Focus“, meinen, er sei der „Formel Gottes“ schon auf der Spur.

Tatsächlich versucht Stephen Hawking seit Jahrzehnten dem Kosmos in die Karten zu sehen. Was sind Schwarze Löcher? Was geschah vor dem Urknall? Wie begann die Zeit? Hawkings Fragen. Dünne Bretter bohrt er nicht gern.

Zugleich ist bei Hawking die Suche nach letzten Antworten mehr als bei allen anderen ein gnadenloser Wettkampf mit der Zeit: Vor rund 40 Jahren erkrankte der Physiker an Amyotropher Lateralsklerose (ALS), einem Syndrom, bei dem die Nervenzellen, die die Muskeln steuern, Stück für Stück zu Grunde gehen. Zwei Jahre gaben ihm die Ärzte damals, Anfang der 60er Jahre, als sie die Diagnose stellten. Hätten sie Recht behalten, Hawking hätte um seinem 23. Geburtstag herum sterben müssen.

Aber sie irrten. Der heute 63-jährige Hawking trotzt dem Verfall seines Körpers nun schon seit Jahrzehnten. Das hat ihn zum Mythos gemacht: Seht her, hier ist einer, der, an den Rollstuhl gefesselt, die Geheimnisse des Universums durchdringt – allein mit der Kraft des Geistes.

Als sich 1985 eines Nachts seine Luftröhre verengte und er zu ersticken drohte, entschieden sich die Ärzte für einen Schnitt in die Luftröhrenwand. Die Operation rettete ihm das Leben, kostete ihm jedoch die Stimme. Seitdem kommuniziert Hawking über einen Sprachcomputer. Und während er mit den Jahren gedanklich immer näher bis zum Ursprung des Universums vordrang, verlor er immer mehr Kontrolle über seinen Körper. Heute kann Hawking nur noch zwei Finger und einige Gesichtsmuskeln bewegen. Damit – sowie mit den Augen – steuerte er auch seinen Vortrag.

Obwohl er keinen Nobelpreis für seine Arbeiten bekommen hat und vermutlich auch keinen bekommen wird, wurde Hawking mit Abstand zum berühmtesten lebenden Forscher. Nicht nur der Wille, mit dem er seiner tödlichen Krankheit die Stirn bietet, trug dazu bei. Sondern auch ein Werk, das er in den 80er Jahren verfasste und das den Titel trägt „Eine kurze Geschichte der Zeit“.

Das populärwissenschaftliche Buch wurde in über 30 Sprachen übersetzt und verkaufte sich mehr als 20 Millionen Mal – es ist das erfolgreichste Sachbuch des 20. Jahrhunderts. Hawking selbst sagt gern mit seinem britischen Humor, er habe „mehr Bücher über Physik verkauft als Madonna über Sex“.

In Fachkreisen gelangte Hawking zu Ruhm, als er Anfang der 70er Jahre entdeckte, dass Schwarze Löcher vielleicht doch so schwarz nicht sind. Hat ein Stern – wie die Sonne – seinen Brennstoff aufgebraucht, kann er unter dem Druck der eigenen Schwerkraft in sich zusammenfallen. Die Materie schrumpft zu einem Gebilde extremer Dichte. Dabei wird die Gravitation so gewaltig, dass sogar das eigene Licht der Schwerkraftfalle nicht entweichen kann – ein Schwarzes Loch entsteht. Ein Sternkadaver, der völlig im Dunkeln liegt.

Dachte man lange.

Bis Stephen Hawking entdeckte, dass Schwarze Löcher Strahlung aussenden („Hawking-Strahlung“) und damit nach und nach Energie und Masse verlieren.

Damals, in den 70er Jahren, galten Schwarze Löcher noch als hypothetische Gebilde – heute weiß man, dass es sie wirklich gibt. Sie sind nicht zuletzt deshalb interessant, weil sich ihr Zentrum durch eine extrem dichte Masse auf kleinem Raum auszeichnet. Ähnlich stellt man sich die Situation unseres Universums vor dem Urknall vor. Schwarze Löcher studieren heißt also: den Ursprung des Kosmos studieren. Um dieses Thema ging es auch bei Hawkings Vortrag gestern in Berlin (siehe Text ganz unten).

„Je weiter die Menschen von ihm entfernt sind, umso mehr wächst die Faszination“, hat einer seiner Doktoranden einmal über Hawking gesagt. In der Tat sind viele skeptisch, ob Hawking fachlich an Genies wie Newton und Einstein heranreicht. Immerhin wurde er nach seiner Theorie über die Schwarzen Löcher bereits im Alter von 32 in die „Royal Society“ aufgenommen – eine der höchsten Auszeichnungen für britische Wissenschaftler. Und 1979, mit 37, wurde er zum Lukasischen Professor für Mathematik an der Universität Cambridge ernannt und bekam damit einen Lehrstuhl, den schon Newton innehatte. Obwohl dessen Stuhl natürlich nicht motorisiert war, wie Hawking zu scherzen pflegt.

So gut wie alles, was Hawking sagt, wird zur Meldung. Im Gegensatz dazu fällt das Fachurteil über Hawking eher nüchtern aus. Als die Zeitschrift „Physics World“ unter den weltbesten Physikern eine Umfrage machte, wer der bedeutendste Physiker aller Zeiten sei, landete Einstein auf Platz 1, Newton auf 2. Und Hawking? Er kam nicht mal unter die Top Ten.

Und doch, für uns, im irdischen Hörsaal, bleibt er ein Magier aus einer anderen Welt.

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