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Gesundheit: Das Ende der Gleichmacherei

Deutschlands Universitäten brauchen den Elitewettbewerb. Er kann aber nur der Beginn einer großen Qualitätsoffensive sein

Mit der Exzellenzinitiative hat sich ein wichtiger Bruch mit dem jahrzehntelang in der deutschen Hochschulpolitik herrschenden Prinzip der Egalität vollzogen. Endlich ist eine Differenzierung von Hochschulen nach Leistung möglich geworden. Dies ist ein Riesenerfolg.

Das könnte man eigentlich erstaunlich finden. Denn die im Exzellenzwettbewerb vergebenen 380 Millionen Euro pro Jahr entsprechen gerade mal 1,5 Prozent des jährlichen Gesamtbudgets des deutschen Hochschulsystems – gerade genug, um die Inflationsrate aufzufangen. Selbst wenn die 380 Millionen Euro nur an eine einzige Universität vergeben würden, käme dabei kein deutsches Harvard heraus, dessen jährliches Budget höher ist als der ganze fünfjährige Exzellenzwettbewerb. Solche Proportionen relativieren keineswegs die Bedeutung der Exzellenzinitiative und auch nicht der politischen Anstrengung, die sie ermöglicht hat. Aber sie warnen vor rhetorischer Dramatisierung: Die seit Jahren unzureichende Grundfinanzierung der Hochschulen und ihr betrüblicher baulicher Zustand zeigen, dass mehr – und anderes – passieren muss.

Die öffentliche Debatte über die Exzellenzinitiative unterschätzt ihre tatsächliche Bedeutung – vor allem, wenn sie sich auf die sogenannten Eliteuniversitäten als die wesentlichen Gewinner konzentriert. Das Hochschulsystem als Ganzes ist vielmehr Gewinner. Denn der Wettbewerb hat in allen teilnehmenden Hochschulen einen „institutional spirit“ ausgelöst, der von gemeinschaftlicher Bemühung um wissenschaftliche Qualität und Kooperationsbereitschaft geprägt ist – das ist neu und wichtige Voraussetzung für einen nachhaltigen Qualitätsgewinn. Die vereinzelten Kassandrarufe von der Gefahr eines Zwei-Klassen-Systems – Überbleibsel des leistungsfeindlichen Egalitätsdenkens der Vergangenheit – sind daher unangebracht.

Statt Entmutigung der bisher nicht Erfolgreichen sind daher Ermutigung und Verbesserung der Rahmenbedingungen nötig. Auch müssen mögliche Verfahrensschwächen des Wettbewerbs behoben, seine Kontinuität über die ersten fünf Jahre hinaus von der Politik verlässlich zugesagt und die Durchlässigkeit der wissenschaftlichen Liga für Auf- und Absteiger gesichert werden.

Wissenschaftsrat und Deutsche Forschungsgemeinschaft müssen die Objektivität des Verfahrens und die Einhaltung der Spielregeln des Wettbewerbs gewährleisten. Zweifel am Entscheidungsverfahren müssen überzeugend entkräftet werden. Öffentliche Äußerungen Einzelner über „gesetzte“ Gewinner einer nächsten Runde haben die Glaubwürdigkeit der Entscheidung unterminiert. Der offene Zugang ist unverzichtbar: Alle müssen gewinnen können und frühere Gewinner müssen auch wieder verlieren können.

Auch das formale Junktim zwischen den drei Säulen des Wettbewerbs sollte überdacht werden: Bei Misserfolg eines Antrags in der ersten oder zweiten Säule sollte ein Erfolg in der dritten Säule nicht grundsätzlich ausgeschlossen sein. Forschungscluster und Graduiertenschulen der ausgelobten Art sind nicht zwingende Voraussetzungen für ein überzeugendes Zukunftskonzept einer Hochschule. Für Hochschulen besonderen Profils mögen diese Modelle ohnehin nur bedingt passen, und kreative Lösungen für Nachwuchsförderung und Zusammenarbeit mit der Wirtschaft sollte man nicht durch formale Vorgaben behindern.

Über Cluster und Graduiertenschulen muss abschließend entschieden werden, bevor eine Förderung in der dritten Säule geprüft wird. Denn ganz unakzeptabel ist es, wenn eine bereits erfolgte, kritische Beurteilung von Clustern oder Graduiertenschulen noch einmal aufgerufen und mit neuen Argumenten „herauf- oder herunterdiskutiert“ wird, wenn es um den Antrag in der dritten Säule geht. Ob solches bisher vorgekommen ist oder nicht – ein zweistufiges Entscheidungsverfahren würde dies verhindern.

Die Rolle der Politik kann nicht in ihrer Beteiligung an Bewertung und Auswahlentscheidung im Verfahren der Exzellenzinitiative liegen. Ihre Verantwortung liegt in der Gestaltung der Rahmenbedingungen für Exzellenz. Es bleibt daher zwar richtig, dass in der dritten Säule des Exzellenzwettbewerbs die Universität als Ganzes – nicht nur ihre Teilbereiche – auf dem Prüfstand steht: Denn hier erweist sich die Zielgerichtetheit interner Diskussionen und strategischer Entscheidungen sowie das universitäre Binnenklima, in dem Akzeptanz für Qualität und konsequente Förderung wissenschaftlicher Leistung stattfinden sollte. Aber mittelbar steht auch die Landespolitik auf dem Prüfstand, die den gesetzlichen und finanziellen Freiraum definiert, innerhalb dessen die Hochschulen agieren können.

Dass Hochschulen im Süden bisher erfolgreicher waren, muss für die nördlichen Bundesländer daher Anlass sein, die bei ihnen herrschenden Bedingungen kritisch zu überprüfen und zu verbessern. Denn die Länder sind nicht nur zuständig, sondern auch verantwortlich für „ihre“ Hochschulen; sie haben den Wettbewerbsföderalismus gefordert – nun können sie zeigen, wie ernst sie ihn nehmen, indem sie die Hochschulen ausreichend finanzieren und das Korsett staatlicher Überregulation durch Gesetze und Verordnungen lockern.

Die öffentliche Diskussion hat gezeigt, dass fehlendes Vertrauen in die Bereitschaft zu finanziellem Engagement eines Landes die Wettbewerbschancen seiner Hochschulen in Frage stellen kann. Zwar darf – und wird – solcher Zweifel die Entscheidung von Gutachtern über die Qualität von Anträgen nicht ernstlich beeinflussen. Aber die Verantwortung der Politik für die Qualitätsentwicklung der Hochschulen geht in einem föderativen System, das auf den Wettbewerb zwischen den Ländern gegründet ist, über die Wahrnehmung administrativ-bürokratischer Zuständigkeiten weit hinaus.

Der Exzellenzwettbewerb bedeutet eine große Chance. Aber die Hochschulpolitik muss strategisch schon deutlich darüber hinausdenken. Ihr Ziel ist mit der Exzellenzinitiative, die Leistung in nur einem einzigen Exzellenzfeld belohnt – dem der international herausragenden Forschung – ebenso wie mit den jetzt aufkommenden, populistisch unpräzisen Forderungen nach einem Exzellenzwettbewerb „in der Lehre“ nicht erreicht. Denn dieser Wettbewerb kann nur ein Instrument auf dem Weg zu einer Diversifizierung innerhalb des Hochschulsystems sein. Nachhaltige Qualitätsentwicklung innerhalb des ganzen Systems wird es nur geben, wenn ein Wettbewerb auf mehreren Exzellenzfeldern entsteht – wie bei der Olympiade, deren Teilnehmer nicht nur in einer Sportart exzellent sein können. Das setzt eine allgemeine Akzeptanz solcher Ziele in der Öffentlichkeit voraus, was bisher nur unzureichend der Fall ist – eine schwierige Aufgabe.

Aber schon die heutige Realität zeigt viele Alternativen zum bisher einzigen Exzellenzziel der weltweit ausstrahlenden Forschungsuniversität. Insbesondere private Hochschulen betätigen sich mit ganz anderen Entwicklungszielen sehr erfolg- und ertragreich mit qualitätvollen Lehr- und gelegentlich auch Forschungs- und Serviceangeboten. Damit reagieren sie – mehr als das staatliche System – auf die Vielfalt wachsender und sich rapide ändernder Anforderungen der Gesellschaft und des globalen Arbeitsmarktes. Das staatliche Hochschulsystem als Ganzes sollte sich dieser vielfältigen Aufgabenstellungen gleichermaßen annehmen können. Damit könnte eine ohnehin schon lange unrealistische, umfassende Leistungserwartung gegenüber allen Universitäten überwunden werden. Es würde aber auch möglich, die rigide gehandhabte Binarität (Universitäten versus Fachhochschulen) des tertiären Sektors aufzuheben – ein Programm, das vor allem auf Widerstände infolge eines zu engen Statusdenkens trifft.

In vielen Ländern sind solche Entwicklungen lange Gegenstand intensiver Diskussion und Planungen. Sie sind das Resultat zunehmender Professionalisierung des akademischen Bereichs, des wachsenden Bedarfs an qualitativ anspruchsvoller Ausbildung in sich nicht nur in Technik und Wirtschaft neu entwickelnden Berufszweigen, aber auch neuer interdisziplinärer Arbeitsgebiete in der Forschung. Angesichts der in Deutschland chronischen Unterfinanzierung des gesamten staatlichen Hochschulsystems, die sich auf absehbare Zeit nicht ändern wird, ist der Zwang, einen Weg stärkerer Differenzierung einzuschlagen, auf Dauer unvermeidlich. Dies bedarf jedoch eines qualitätsorientierten Gestaltungskonzepts, wenn der drohende Verlust an Qualität und Wettbewerbsfähigkeit verhindert werden soll. Der daraus resultierende Auftrag richtet sich gleichermaßen an die Politik und die Wirtschaft, aber nicht minder an die Hochschulen selbst.

Mit der Exzellenzinitiative ist – vielleicht nicht von allen bewusst wahrgenommen – ein wichtiger Anfang zu einer neuen Wissenschaftspolitik gemacht. Dabei darf man jetzt nicht stehen bleiben.

Der Autor ist Mitglied im Vorstand der europäischen Hochschulrektorenkonferenz, der European University Association (EUA). Er war Präsident der Freien Universität und Präsident der Hochschulrektorenkonferenz.

Peter Gaehtgens

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