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Gesundheit: Das geht runter wie Öl

Ayurveda? Klingt nach Massagen, Stirngüssen und exotischem Tee. Aber die sanfte Heillehre aus Indien hat auch eine raue Seite

SERIE: ALTERNATIVE MEDIZIN (2) – WAS KANN SIE WIRKLICH?

Am Anfang ist das Öl. „Schließen Sie die Augen“, sagt die Stimme. Im Hintergrund hört man eine Meeresbrandung, Möwenkreischen. Relax-Musik, ganz leise. Sonst nichts. Dann kommen die Hände.

„Das Leben ist zu sehr in den Kopf gerückt“, sagt die Stimme. Die Hände gleiten über meine glitschige Haut. Das Öl hat sich überallhin ausgebreitet. Sesamöl auf den Beinen, auf den Füßen, es fließt zwischen den Zehen und zieht die Aufmerksamkeit auf sich, lenkt sie auf den Körper, weg vom Kopf. „Bei uns im Westen geht es immer nur um den Kopf“, sagt die Stimme. „Bei Ayurveda geht es um den ganzen Menschen, um Leib und Seele.“

Zu Besuch im Deutschen Ayurveda-Institut in Berlin. Wer im Hotel Großer Kurfürst in Mitte die wenigen Stufen zum Sauna-Bereich hinabsteigt, begibt sich in eine andere Welt. Eine Welt, in der die Uhren etwas langsamer ticken. Massage-Räume, eine Kräuterküche, Duschen, eine Sauna, ein Abkühlbecken. Alles glänzt weiß, dazu künstliche Zitronenpflanzen, blaue indische Sari-Tücher. Sesamduft hängt in der Luft.

Ayurveda, das klingt exotisch, irgendwie sanft, aber was ist das genau? Ayurveda ist die mehr als 5000 Jahre alte Gesundheitslehre aus Indien. Das Wort stammt aus dem Sanskrit. „Ayur“ heißt „langes Leben“, „veda“ steht für „Wissen“. Ayurveda, das indische Wissen vom langen Leben, ist inzwischen „bei uns populärer als in Indien selbst“, wie René Retsch sagt, der ärztliche Leiter des Instituts.

Das hat einen einfachen Grund: Viele von uns fühlen sich von der Schulmedizin nicht mehr als Mensch wahrgenommen, sondern als Maschine, die aus Teilen besteht, die einzeln „repariert“ werden können. Die Fließbandmedizin stößt uns ab. Stress und Überforderung im Alltag, im Beruf führen zu Frust. Ein Frust, der mit der Schulmedizin, selbst ein Opfer von Stress und Überforderung, nicht beizukommen ist. Wohin also damit?

Ayurveda bietet eine perfekte Gegenwelt. – eine Welt der Ganzheit und Ruhe. Eine Welt, in der es noch sanft und entspannt zugeht.

An diesem Klischee ist etwas Wahres, einerseits. Nach der Massage heißt es gleich: „Ihr Tee ist fertig!“ Es gibt „Ayutheertham“- Tee („das heilige Wasser des Lebens“, sagt Retsch), anschließend zehn Minuten Sauna. Mmmmh …

Doch wer glaubt, Ayurveda sei nur etwas Sanftes, der hat sich gründlich getäuscht.

Ölmassage, Tee, Sauna – das alles ist lediglich ein kleiner Vorgeschmack auf die klassische Kur der Ayurveda: das Panchakarma (ebenfalls aus dem Sanskrit, übersetzt: „die fünf Handlungen“), einer umfassenden Reinigungskur.

In der ersten, harmlosen Phase wird der Körper von außen mit Öl gereinigt. Die Saunahitze soll helfen, Gifte aus dem Körper zu schwitzen. Dann wird die Reinigung radikal. Brechmittel aus der indischen Kräuterküche entleeren den Magen. Der Patient wird auf eine strikte Diät gesetzt. Tagelang bekommt er nichts als Öl zu trinken. Abführtherapien sollen den Dickdarm reinigen. Und über einen Schlauch in den Po lässt man sogar Öl in den Dickdarm fließen. „Auch Aderlass kann sinnvoll sein“, sagt Retsch.

Die Panchakarma-Kur dauert mindestens zwei Wochen, „nicht gerade ein Zuckerschlecken“, wie der ärztliche Leiter des Ayurveda- Instituts es selbst formuliert. Die landläufige Vorstellung von Ayurveda, „ich komme dahin, lasse es mir gut gehen, entspanne mich“, das, sagt der Arzt, treffe vielleicht auf den Wellness-Bereich zu, nicht aber auf die klassische Therapie.

Aber wozu diese Radikalkur? Was steckt dahinter? Was soll das bringen? Ist sie überhaupt gesund? Ist die Panchakarma am Ende vielleicht sogar schädlich?

Wer die Therapie verstehen will, muss die Ayurveda-Philosophie verstehen: die Lehre von den drei „Doshas“. Nach der indischen Heilkunst bestimmen drei Kräfte Körper und Geist. Diese drei Doshas sind von Geburt an in einem bestimmten Verhältnis in uns angelegt. Die Mischung sieht bei jedem Menschen anders aus.

Der Punkt ist, dass dieses persönliche Profil leicht aus dem Gleichgewicht geraten kann. Das macht uns krank. Die Therapie soll unser Dosha-Gleichgewicht wieder herstellen. Die drei Doshas lauten:

Vata. Menschen, bei denen das Dosha Vata dominiert, sind schnell, kreativ, energisch, wechselhaft. Vata-Typen haben viele Ideen, bringen aber nichts zu Ende. Ist Vata gestört, leidet der Patient unter Stress, Schlaflosigkeit, Magenschmerzen. Der moderne westliche Lebensstil strapaziert Vata sehr (Retsch: „MTV ist Vata pur!“)

Kapha. Kapha-Typen sind der Fels in der Brandung, ruhig, treu, anhänglich. Sie kommen nur langsam in die Gänge, aber wenn das Eis gebrochen ist, sind sie die besten Freunde, die es gibt. Ist Kapha gestört, fühlt man sich schlaff, müde, niedergeschlagen.

Pitta. Pitta-Leute sind leidenschaftlich und dominant. „Typ feuriger Spanier“, so Retsch. Kämpfer-, Managertypen. Sich selbst gegenüber sind sie überkritisch. Eine Pitta-Störung zeigt sich in Entzündungen, Fieber, Verdauungsproblemen, Ärger.

Da es kaum jemand gibt, bei dem die Doshas im Gleichgewicht sind, setzt das Panchakarma da an: Mit der Radikalkur soll die Harmonie von Körper und Geist wieder gestellt werden.

Aus schulmedizinischer Sicht hat der Ayurveda-Ansatz manch Positives – aber auch Negatives. Sowohl systematisches Erbrechen als auch Abführen greifen stark in unseren Stoffwechsel ein – beide Behandlungsversuche schwächen uns eher, anstatt uns zu stärken.

„Diese Techniken haben eine lange Tradition in vielen Kulturen", sagt auch Edzard Ernst, Arzt und Spezialist für Alternativmedizin an der Universität Exeter in Großbritannien. Der wissenschaftliche Beweis für eine heilende Wirkung jedoch stehe noch aus. „Mein Eindruck ist, dass die Methoden insgesamt mehr Patienten geschadet als geholfen haben.“

Als eindeutig positiv erscheint der Wert, den man bei Ayurveda auf Körperkontakt legt. Bereits einfache Massagen etwa führen dazu, dass unser Gehirn das Beruhigungshormon Oxytocin in den Kreislauf schüttet, wie Studien zeigen. Die Folge: Der Blutdruck, die Herzschlagrate und der Spiegel von Stresshormonen sinken.

Da kommt sogar Vata zur Ruhe.

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