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Gesundheit: Das ist meine tiefste Weisheit

Sechs Spitzenforscher antworten auf die Frage, welche Idee sie in ihrem Leben am stärksten geprägt hat

„Was ist die tiefste Weisheit, auf die Sie jemals gestoßen sind?“ Diese Frage haben wir fünf Nobelpreisträgern und einem Medizinforscher gestellt. Anlass unserer kleinen Umfrage ist ein Treffen der Nobelpreisträger an diesem Wochenende in Berlin. Grund des Besuchs ist das Einsteinjahr. Am morgigen Freitag steht ein Symposium zum Thema „Originalität und Kreativität in der Wissenschaft“ auf dem Programm, das an der Freien Universität Berlin stattfinden wird. Angela Merkel, Kanzlerkandidatin der Union, wird bei dieser Gelegenheit über „Deutschland als Land der Ideen“ sprechen. Außerdem werden die Nobelpreisträger auf Einladung der Berlin Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Max-Planck-Gesellschaft ein dreitägiges Veranstaltungs- und Besuchsprogramm absolvieren, ehe sie am Sonnabend zur alljährlichen Lindauer Nobelpreisträger-Tagung weiterreisen.

* * *

1) Ich verbringe einen Großteil meiner Zeit damit, Themen zu studieren, die meinen Bereich nur am Rande streifen. Wir interpretieren Informationen auf der Grundlage dessen, was wir wissen. Indem man sich Wissen aus anderen Gebieten aneignet, bekommt man eine andere, neuartige Perspektive und, wie ich meine, ein größere Chance, Probleme zu lösen.

2) Es ist besser, etwas auszuprobieren und zu scheitern, als etwas erst gar nicht zu versuchen. Wer nichts wagt, wird niemals zum Ziel kommen.

Roderick MacKinnon (Nobelpreis für Chemie 2003, Rockefeller University, New York)

Als ich vor fast 40 Jahren an der Uni Stockholm begann, befasste sich ein Großteil der Atmosphärenforscher mit dem Problem des „sauren Regens“, verursacht durch Schwefel- und Stickstoffoxide, die beim Verbrauch fossiler Brennstoffe freigesetzt werden. Ich hingegen wollte herausfinden, welche Naturvorgänge das Ozon in der Stratosphäre steuern. Ich machte bald zwei wichtige Entdeckungen:

a)Unter natürlichen Bedingungen kontrollieren Stickoxide (NOx) das Ozon der Strato- wie auch der Troposphäre.

b) Große Flotten von Überschall-Luftfahrzeugen (wie sie für Flüge in der Stratosphäre geplant waren), würden große Mengen Stickoxid ausstoßen und somit das Ozon schädigen.

Mir wurde klar, dass wir Menschen, angefangen mit der Dampfmaschine, unser eigenes geologisches Zeitalter geschaffen haben: das Anthropozän (aus dem Griechischen: Anthropos für Mensch).

Paul J. Crutzen (Nobelpreis für Chemie 1995, Max-Planck-Institut für Chemie, Mainz)

In der Wissenschaft herrscht Wettbewerb, sogar die berühmtesten Wissenschaftler kriegen sich in die Haare, wie Newton und Leibniz. Ich war ungefähr 30 Jahre alt, als ich einen Job im General Electric Research Labor bekam. Mein Mentor John Fisher sagte mir: „Schrecke nie davor zurück, andere Menschen zu loben, vor allem deinen Chef, sie werden es lieben, selbst wenn sie es gar nicht verdienen.“ Das war ein guter Rat, der mich seitdem aus vielen Wissenschaftsstreitereien rausgehalten hat.

Ivar Giaever (Nobelpreis für Physik 1973, Rensselaer Polytechnic Institute, Troy, New York)

Folgende Eigenschaften braucht man, um Kreativität in Wissenschaft und Kunst zu entwickeln:

a) Faszination und Neugier für alles, was um dich herum passiert, sei es etwas in der Natur oder ein Werk des Menschen.

b) Die Getriebenheit, herauszufinden, warum die Dinge so funktionieren, wie sie es tun, und nicht aufzugeben, bis man dahinter gekommen ist.

c) Gerade in den scheinbar alltäglichsten Erscheinungen stecken oft Überraschungen, das gilt vor allem für die Wissenschaft. Nicht selten erkennt man diese wichtigen Aspekte erst, wenn sie bereits entdeckt sind.

d) Akzeptiere absolut nichts im Leben, wenn es nur auf dem Glauben beruht. Die zentrale Lebenseinstellung sollte auf dem Zweifel basieren, und das Rezept, diesen Zweifel zu vertreiben, muss lauten: in Frage stellen und experimentieren. Wenn man an die Ergebnisse seiner Forschungen auch nur teilweise „glauben“ muss, sind sie wertlos und vielleicht sogar gefährlich.

e) Einstellungen, die auf dem Zweifel basieren und solche, die den Glauben bemühen, sind nicht zu vereinen, und es ist zwecklos, dies zu versuchen.

f) Es ist die wissenschaftliche Gemeinschaft, deren Vorgehensweise auf dem Zweifel beruht. Deshalb hat sie zu der Art von Wissen und Weisheit geführt, die Länder und Völker übergreifend anerkannt sind.

g) Der Unfrieden der heutigen Welt wird nur dann verschwinden, wenn es gelingt, ein Länder und Völker übergreifendes Gesetzeswerk auf den Weg zu bringen, das von allen akzeptiert wird.

Harold W. Kroto (Nobelpreis für Chemie 1996, Universität von Sussex, Großbritannien)

Mein Credo lässt sich am besten an einem Beispiel verdeutlichen. Stellen Sie sich die Jahrtausende des menschlichen Daseins vor, als man die Betäubungsmittel noch nicht entdeckt hatte (das geschah erst um 1850). Es ist praktisch unmöglich, sich den unbehandelten Schmerz eines gebrochenen Beins vorzustellen, eines Darmverschlusses, einer wachsenden Eiterbeule, auch anhaltende Zahnschmerzen oder die Schmerzen einer Amputation – einfach unglaublich. Ich bin sicher, dass die Anästhesie – nach dem Feuer – die größte menschliche Errungenschaft ist, dicht gefolgt von der Erfindung schmerzlindernder Mittel, Antibiotika, Insulin und anderen medizinischen Wundern. Sie alle haben unser physisches Dasein erträglicher gemacht und so unsere Psyche von Angst befreit. Deshalb halte ich folgende Wahrheit für selbstverständlich: Dass es zu den höchsten Werten gehört, die geistigen Prozesse zu fördern, die zu diesen wunderbaren Befreiungen geführt haben – und sie zu verteidigen gegenüber irrationalen Dogmen und Glaubensbekenntnissen.

Gustav Born (Medizinforscher, Sohn des Physik-Nobelpreisträgers Max Born), London.

Schon als kleiner Junge schon konnte ich mich nicht mit übernatürlichen Erklärungen abfinden. Diese Einstellung hat einen Vorzug. Wann immer mich eine Stimme nachts wecken und sagen würde „Du hast dich geirrt, Kary. Ich bin dein Gott, und alles, was du weißt, ist falsch“, wäre ich mir sicher: Das muss eine Halluzination sein. Kein Weiser, kein Gedanke und keine Stimme in der Nacht kann die Sicherheit erschüttern, dass die wissenschaftliche Methode die einzig interessante Art und Weise ist, zu Erkenntnissen zu gelangen. Das hört sich paradox an und ist es auch. Ein bisschen wie eine Religion an. Und ja, das ist es. Aber die Wirklichkeit, die man mit der Religion der Mathematik, Physik, Chemie und Biologie erleben kann, ist so faszinierend und wunderbar, dass keine andere Religion auch nur in ihre Nähe kommt.

Kary Mullis (siehe Interview unten)

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