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Gesundheit: Das Lächeln des Häuptlings

Der brasilianische Indianer Jakumin Kobayashi besucht in Berlin einen Linguisten – den Retter seiner Stammessprache

„Wir Aweti sind ein sehr kleines Volk, aber wir möchten in unserem Dorf bleiben und so weiterleben wie bisher“, spricht der kleine, dunkelhäutige Mann leise, aber bestimmt in das vor ihm stehende Mikrofon hinein und lächelt. Er lächelt auch noch, als er in diesem nüchternen Sitzungssaal der Freien Universität Berlin immer und immer wieder erklären muss, wie sein Leben im brasilianischen Regenwald aussieht, was er heute morgen zum Frühstück gegessen habe und wie er das Wetter in Deutschland findet.

Unter dem ordentlichen, blauen Winterpullover, den Häuptling Jakumin Kobayashi Aweti im kalten Berlin trägt, lugt ein gestärktes, weißes Hemd hervor. Außer dem etwas eigenwilligen Haarschnitt deutet nichts darauf hin, dass hier jemand sitzt, der sich mühelos zwischen zwei Kulturen zurecht findet und der aus einer Welt kommt, in der es normal ist, sich sein Essen zu erjagen und zu erfischen, seinen nackten Körper mit Farbe zu bemalen und als Häuptling eines Indianerstammes in einer großen Hütte mit zwei Frauen und elf Kindern zu leben. Der aus einer Kultur kommt, in der das Zusammenleben ohne Polizei und Psychiatrie klappt.

Normalerweise beginnen Geschichten wie diese anders. Normalerweise werden Menschen wie der Indianer-Häuptling Jakumin Kobayashi Aweti nicht so einfach zu handelnden Subjekten und schon gar nicht zu PR-Fachleuten in eigener Sache. Menschen wie Jakumin Kobayashi bleiben üblicherweise so lange in ihrem ursprünglichen Lebensraum, bis sie ein Wissenschaftler „entdeckt“.

Der erforscht sie dann gründlich und setzt sich für sie ein, weil er weiß, wie gefährdet ihr Überleben in der modernen Welt ist. Doch Jakumin Kobayashi Aweti aus dem Xingu-Reservat in Brasilien hatte das Gefühl, dass es dann vielleicht schon zu spät sein könnte. Er musste selber etwas tun, um sein Volk vor dem Aussterben zu retten. So ist er in dieses von der Heimat weit entfernte Land gekommen, um darauf aufmerksam zu machen, dass im brasilianischen Urwald ein kleines Volk um seine Sprache und Kultur kämpft.

Kein Glück in großen Städten

Als Jakumin Anfang der sechziger Jahre in Brasilien im Quellgebiet des Xingu, eines der großen, südlichen Zuflüsse des Amazonas geboren wurde, bestand sein Volk, der Stamm der Aweti, gerade noch aus zwei Großfamilien. Zwei Dutzend Menschen, die irgendwie aus der Zeit gefallen waren, die mit einer eigenen Sprache und mit wenig Kontakt zur Außenwelt im brasilianischen Urwald lebten. Sie ernährten sich hauptsächlich vom Fischfang und vom Maniok-Anbau.

Wie bei vielen anderen südamerikanischen Indianerstämmen auch, waren im Laufe der Zeit viele Mitglieder an von Europäern eingeschleppten Krankheiten gestorben oder hatten das Dorf verlassen, um ihr Glück in den Städten zu suchen. In den darauffolgenden Jahren wuchs der kleine Stamm wieder etwas an, aber die Welt der Weißen sickerte immer mehr in das kleine, indianische Dorf ein.

Als Jakumin beobachtete, dass die Kinder im Nachbardorf ihre eigene Muttersprache mehr und mehr vergaßen und sich untereinander nur noch auf portugiesisch verständigten, war ihm klar, dass etwas passieren musste. Doch er wusste nicht was.

„Die meisten indianischen Völker sind sich ihrer Lage genau bewusst, sie sehen die Gefahr, dass ihr altes Wissen vergessen wird, wenn es niemand festhält“, meint Sebastian Drude, der seit fünf Jahren die Sprache der Aweti dokumentiert und dabei eng mit Häuptling Jakumin zusammenarbeitet. Jakumin selbst lebte einige Jahre in der Hauptstadt Brasilia um die Sprache der Weißen zu lernen und übernahm dann die Nachfolge seines Vaters als Häuptling des Stammes.

Aber die Probleme der Aweti hatten sich in der Zwischenzeit verschärft. Zwar gibt es in Brasilien sogar eine eigene Behörde für die Belange der Indianer, die „Funai“, diese kümmert sich allerdings hauptsächlich um die Landfragen der indianischen Stämme. Doch Jakumin begriff, dass zum Überleben eines Stammes nicht nur der Schutz des Lebensraums im Regenwald wichtig ist, sondern auch die Erhaltung der Sprache. Denn ohne Sprache stirbt auch die Kultur aus. „Die brasilianische Regierung schickte zwar Forscher, aber die behandelten uns nicht gut, und meistens verschwanden sie sehr schnell wieder“, berichtet er in Berlin. Jakumin und die anderen Aweti-Indianer hatten keine Lust, sich von den Wissenschaftlern wie seltene Pflanzen beobachten zu lassen.

Widerstände der Indianer-Behörde

Als Jakumin schon fast aufgeben wollte, erfuhr er durch Zufall von einem deutschen Wissenschaftler, der sich gerade in Brasilien aufhielt und nach einem Volk suchte, dessen Sprache und Kultur er erforschen könne. Jakumin fuhr sofort in die nächste Stadt und rief diesen jungen deutschen Linguisten an, Sebastian Drude von der Freien Universität Berlin. Der Häuptling lud Drude in sein Dorf ein. Das war 1998 und Jakumin sagt, dass er diese Entscheidung nie bereut hat.

Trotz vieler Widerstände setzte er durch, dass Sebastian Drude das nötige Visum und die Erlaubnis bekam, um sein Volk und seine Sprache zu dokumentieren. Beim ersten Besuch blieb Drude gleich vier Monate und versuchte die Sprache zu lernen. Seit diesem Aufenthalt lebt er in jedem Jahr für einige Wochen mit den Aweti-Indianern.

Die Mühe, diese für ihn völlig fremde Sprache zu lernen, lohnt sich für ihn, sagt Drude. „In jeder Sprache ist ein bestimmtes Weltbild enthalten und hat eine eigene Antwort auf die großen Existenzfragen der Menschheit. Das alles würde ja mit dem Aussterben der Sprache verloren gehen.“ Der Linguist Drude hat es sich zur Aufgabe gemacht, die flüchtige Sprache der Aweti in eine Grammatik zu pressen, die es auch den späteren Nachkommen ermöglichen soll, auf ihre eigene Kultur Zugriff zu haben. Mit Hilfe eines Tonbands und einer Videokamera sammelt er außerdem Material über das Alltagsleben, beispielsweise Monologe von indianischen Sprechern, die danach an eine zentrale Datenbank im Max-Planck-Institut im niederländischen Nijmegen geschickt werden.

„Das sichert unser Überleben in der Zukunft“, ist sich Häuptling Jakumin sicher. Die erste Etappe im Kampf gegen das Vergessen hat er gewonnen, so scheint es. Trotz aller Schwierigkeiten hat er nichts gegen das Leben der Weißen, betont er. Und schon gar nichts gegen westliche Errungenschaften wie das schnelle Motorboot, das der Stamm heute besitzt und das kranke Kinder schneller als es früher möglich war, ins nächstgelegene Krankenhaus transportieren kann. Die Kontakte mit der weißen Welt könne und wolle sein Stamm nicht mehr rückgängig machen.

Wie dem Häuptling seine erste Reise außerhalb Brasiliens gefällt, wollen die Journalisten bei der Pressekonferenz an der FU immer wieder wissen. „Ich bin überwältigt“, sagt Jakumin – versichert aber sofort, dass er hier nie leben könne. „Denn hier sehe ich den Himmel und die Sonne nicht.“

Sandra Löhr

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