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Gesundheit: Das letzte Vermächtnis gilt der Medizin

Universitäten können sich vor Körperspenden kaum noch retten

Manche Menschen spenden nicht einmal Altkleider, andere ihren ganzen Körper – wenn auch erst nach dem Tod. Während Transplantationsmediziner Hände ringend nach gesunden Herzen, Nieren und Lebern suchen und selbst Blutkonserven manchmal knapp werden, können sich viele anatomische Institute deutscher Universitäten vor Körperspenden kaum noch retten. Zunehmend ziehen Menschen es gegenüber einem normalen Begräbnis vor, ihren Leichnam von Medizinstudenten übungshalber öffnen oder operieren zu lassen.

Die Aufnahmeliste der Würzburger Anatomie wurde geschlossen, weil die Kühlfächer mit den haltbar gemachten Leichen proppenvoll sind. Ebenso in Köln: „Seit längerem können wir kein Angebot mehr annehmen“, sagt der Anatom Jürgen Koebke von der Universität der Domstadt. „Wir haben etwa 3500 Vermächtnisse in den Akten.“

Über 70 000 Vereinbarungen mit noch lebenden Körperspendern liegen den anatomischen Instituten bundesweit vor – das hat eine Umfrage der saarländischen Uniklinik in Homburg ergeben. Dort allein haben die Anatomen rund 4000 Verträge mit Körperspendern abgeschlossen und erhalten so jährlich Zugriff auf etwa 80 Leichen. Um den Andrang zu regulieren, hat die Homburger Anatomie schon länger keine Vereinbarungen mehr mit Spendierfreudigen jenseits der Sechzig getroffen.

Keine Verträge mehr

Zurzeit schließt die Prosektur, in der die Toten zu Lehrzwecken geöffnet werden, aus Kostengründen gar keine Vereinbarungen mit Körperspendern mehr ab. Denn im Zuge der Gesundheitsreform soll das seit Anfang des Jahres ohnehin halbierte Sterbegeld, das die Krankenkassen im Todesfall zahlen, ganz gestrichen werden. Noch beträgt es 525 Euro für Versicherte und halb so viel für mitversicherte Familienangehörige.

Doch schon die Halbierung im Januar hat dazu geführt, „dass wir am Ende dieses Jahres auf einem Minus von rund 30 000 Euro sitzen werden", schätzt der Homburger Anatom Kurt Becker. Als die Kassen noch 1050 Euro Sterbegeld zahlten, hätten die in der Anatomie entstehenden Ausgaben für gespendete Leichen in etwa gedeckt werden können: Immerhin müssen die Körper aus bis zu 70 Kilometern Distanz herantransportiert, haltbar gemacht und unter Aufsicht geöffnet werden. Es folgen später die Verbrennung in einem Einfach-Sarg und die Beisetzung in einem Urnengrab, „das wir normal mieten müssen", beklagt Helga Meyer, Mitarbeiterin der Uniklinik.

An der Homburger Universitätsklinik werde das Kostenproblem in den Gremien „heiß diskutiert“, sagt Kurt Becker. Für ihn steht fest, dass die Finanzierung der Körperspenden „irgendwie gesichert werden muss“. Sonst drohe „eine Katastrophe für die Körperspende-Kultur in Deutschland“.

Viele Idealisten

Allerdings zeigen sich schon heute einige Spender bereit oder müssen ihre Angehörigen dazu bewegen, die nicht gedeckten Kosten selber zu begleichen. Privat Versicherte erhalten ohnehin kein Sterbegeld und tragen die Kosten heute schon selber. Sollte das Sterbegeld abgeschafft werden, überlegen die Universitäten, neue Vereinbarungen nur noch mit einer Klausel abzuschließen, wonach Körperspender nicht gedeckte Kosten der anatomischen Prozedur übernehmen müssen. Glücklich fände der Homburger Mediziner Becker dieses Vorgehen indes nicht.

Wie aber kam es zu dem Überangebot an Körperspenden? In einer Befragung Mitte der 90er Jahre hat Kurt Becker herausgefunden, dass 30 bis 40 Prozent der Spender zur großen Gruppe der „Idealisten“ gehören, die „der Menschheit etwas Gutes tun wollen“, indem sie ihren Leichnam den Anatomie-Lehrlingen überlassen. Es folgen die „Pragmatiker“, die ihren Angehörigen „nicht zur Last fallen wollen“. Eine weitere Gruppe fürchte, dass niemand sich um ihr Grab kümmern werde, etwa „weil die Verwandten zu weit weg wohnen“. Und schließlich gebe es noch die „Nihilisten“, sagt Becker. „Ihnen ist es vollkommen egal, was mit ihrem Körper geschieht.“ Bevor ihr Leichnam „in der Erde verrottet oder von Würmern gefressen wird“, sagten sie: „Macht damit, was ihr wollt.“

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