zum Hauptinhalt

Gesundheit: Das Schweigen der Länder

Auf Deutschland rollt eine Studentenwelle zu. Doch noch immer haben die Länder keine Pläne

Auf Deutschland rollt eine neue Studentenwelle zu. Deshalb will Bundesbildungsministerin Annette Schavan einen Hochschulpakt mit den Ländern schließen. Doch noch immer können die Länder nicht sagen, mit welchen Kosten sie rechnen und welche Mittel sie bereitstellen. Das zeigte sich auch bei einem informellen Treffen der Wissenschaftsminister der CDU-regierten Länder nach der Verabschiedung der Föderalismusreform.

Doch die Zeit drängt. Da die Ministerpräsidenten der Länder den Hochschulpakt im Dezember beschließen wollen, müssen die Wissenschaftsminister der Länder und die Bundeswissenschaftsministerin bis zum November grundlegende Fragen geklärt haben: Mit wie viel Studienanfängern und Studenten ist in den Jahren 2010 bis 2020 zu Zeiten des neuen Studentenbergs zu rechnen, wie viele neue Studienplätze müssen geschaffen werden, welche Kosten entstehen, wie werden sie auf Bund und Länder aufgeteilt und wie soll die intensivere Lehrbetreuung aussehen, die mit der Umstellung fast aller Studiengänge auf Bachelor und Master erforderlich ist?

Heute und morgen treffen sich die Bildungs- und Forschungspolitiker der CDU-Bundestagsfraktion mit Annette Schavan in Greifswald. Danach wollen die Länderminister bis Ende September durchrechnen, wie viele Studienplätze benötigt werden. Die Wissenschafts- und Bildungspolitiker der SPD wollen bis zum 20. September warten, wie Schavan den Hochschulpakt ausfüllen möchte, und danach mit eigenen Vorstellungen an die Öffentlichkeit gehen. Noch haben die meisten Länder den Ernst der Lage nicht erkannt.

Für ein großes Bundesland wie Bayern kann dessen Wissenschaftsminister Thomas Goppel noch immer keine Angaben darüber machen, wie das Land den Studentenandrang bewältigen will. Und Niedersachsen sieht im Augenblick noch keinen Anlass, die Zahl der Studienplätze wesentlich zu erhöhen, denn es stellt die Prognose der Kultusministerkonferenz für sich in Frage. Wie Staatssekretär Josef Lange dem Tagesspiegel mitteilte, müsse jedes Land jetzt genau prüfen, ob es realistisch ist, von einer Steigerung der Studentenzahlen von heute 1,9 Millionen auf 2,7 Millionen auszugehen.

Im Augenblick liege die Übergangsquote der Hochschulberechtigten in Niedersachsen bei 72 Prozent, während die Kultusministerkonferenz davon ausgeht, dass bis zu 85 Prozent der Abiturienten und der Absolventen der Fachoberschulen ein Studium aufnehmen werden. Zurzeit halten die niedersächsischen Hochschulen 30 000 Plätze für Studienanfänger offen. Tatsächlich hätten sich jedoch nur 25 000 eingeschrieben.

Lange wertet die niedrigere Übergangsquote von 72 Prozent als Indiz dafür, dass der Wunsch vieler Abiturienten, zunächst eine Berufsausbildung zu absolvieren, nach wie vor sehr stark sei. Die Frage, ob Wirtschaft, Handwerk und öffentlicher Dienst in den nächsten Jahren in der Lage sein werden, für die starken Jahrgänge zusätzliche Ausbildungsplätze bereitzustellen, kann Lange jedoch nicht beantworten.

Zurzeit tut sich die Wirtschaft schwer, pro Jahr mehr als 560 000 Ausbildungsplätze bereitzustellen. Zum Vergleich: Als Deutschland schon einmal geburtenstarke Jahrgänge zu qualifizieren hatte – in den 1970er Jahren –, erklärte sich die Wirtschaft bereit, über den eigenen Bedarf hinaus auszubilden. Damals kamen im alten Bundesgebiet jährlich 600 000 bis 640 000 neue Ausbildungsplätze zusammen. Es wurde also in der alten Bundesrepublik erheblich mehr ausgebildet als im wiedervereinigten Deutschland. Sollte sich an der Zurückhaltung der Wirtschaft nichts ändern, müssen die Hochschulen die Hauptlast für die Ausbildung der geburtenstarken Jahrgänge und der doppelten Abiturientenjahrgänge tragen. Das einzusehen fällt manchen Länderfinanzministern noch schwer, klagt die Hochschulrektorenkonferenz.

Der Wissenschaftsrat hat ausgerechnet, dass zur Bewältigung des großen Studentenandrangs in den Jahren 2012 und 2014 jährlich 2,2 Milliarden Euro zusätzlich aufgebracht werden müssen. Dieser Zusatzbedarf sinkt bis zum Jahr 2020 auf 1,1 Milliarden Euro. Bundeswissenschaftsministerin Schavan hat diese Berechnung als realistisch bezeichnet.

Die Hochschulrektorenkonferenz spricht sogar von Mehrkosten in Höhe von 3,4 Milliarden Euro pro Jahr. Das liegt vor allem daran, dass die Hochschulrektorenkonferenz nicht nur den zusätzlichen Lehr- und Betreuungsaufwand berechnet, sondern auch die 700 Millionen Euro jährlich für den Hochschulbau draufschlägt.

Welche Vorschläge gibt es zur Bewältigung des Studentenbergs? Am weitesten ist Baden-Württemberg mit seinen Vorbereitungen. Das Land will 16 000 neue Studienplätze bis zum Jahr 2012 schaffen. In den Jahren des Spitzenbedarfs rechnet das Land mit zusätzlichen Kosten von rund 300 Millionen Euro. Davon will Baden-Württemberg die Hälfte aus Haushaltsmitteln den Hochschulen zur Verfügung stellen. Die andere Hälfte sollen die Hochschulen durch Effizienzsteigerungen selbst aufbringen. Inwieweit sich die Hoffnungen erfüllen, dass sich die Wirtschaft an den Ausbildungskosten in den Jahren des großen Studentenandrangs beteiligt, soll bis zum Oktober geklärt werden. Zu diesem Zeitpunkt plant das Land einen abschließenden Kongress mit der Vorstellung eines Masterplans.

Die SPD-Bundestagsfraktion setzt nach wie vor auf den Vorteilsausgleich. Das heißt, das Geld soll den Studenten folgen, erklärt ihr hochschulpolitischer Sprecher Jörg Tauss. Das würde bedeuten, dass die Hochschulen in den neuen Ländern ihre überhöhten Kapazitäten bis zum Jahr 2020 vorhalten könnten, sofern sie Weststudenten aufnehmen. Wenn etwa Studenten aus Bayern, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg in Sachsen, Thüringen oder Berlin studieren, müssten die Entsendeländer dafür zahlen. Berlins Wissenschaftssenator Thomas Flierl würde die jetzige Zahl der Studienplätze, die er mit 85 000 angibt, dann auf 100 000 erhöhen wollen. Die CDU-regierten Länder lehnen eine solche Lösung jedoch ab, weil sie auf einen weiteren Finanzausgleich hinauslaufen würde.

Sowohl CDU- als auch SPD-regierte Länder wollen voraussichtlich wegen der enorm wachsenden Lehrbelastung den Lecturer einführen. Dieser Lecturer hätte nicht das niedrige Lehrdeputat eines Universitätsprofessors (acht oder neun Semesterwochenstunden), aber auch nicht das hohe Lehrdeputat eines Fachhochschulprofessors (18 Semesterwochenstunden). Die Hochschulrektorenkonferenz kann sich ein Lehrdeputat von zwölf Semesterwochenstunden vorstellen, damit der Lecturer sich über die Lehre hinaus weiterqualifizieren kann.

Uwe Schlicht

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false