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Gesundheit: Das Sterben der Geier

Rückstände von Medikamenten vergiften Raubvögel – nun fehlt die biologische Gesundheitspolizei

Seit vier Jahren sterben in Südasien massenhaft Geier. Eine jetzt in der Zeitschrift „Nature“ veröffentlichte Studie kommt zu dem Schluss, ein Medikament aus der Viehzucht sei dafür verantwortlich.

Noch vor zehn Jahren glaubte man, asiatische Geier seien die häufigsten großen Raubvögel der Welt. Nun sind drei dieser Arten fast ausgerottet. Der Bestand ist um 95 Prozent zurückgegangen. Dabei spielen Bengalischer und Indischer Geier sowie der Dünnschnabelgeier eine wichtige Rolle für das ökologische Gleichgewicht Asiens.

„Die Raubvögel erfüllen die Aufgabe einer biologischen Gesundheitspolizei“, erklärt Munir Virani, Biologe und Ko-Autor der Studie. „Ihr Rückgang hat schwere kulturelle und gesundheitliche Folgen, denn die Geier lassen tierische und menschliche Kadaver sauber verschwinden.“

Bestattung in Steintürmen

Das betrifft vor allem die Religionsgruppe der etwa 120000 Parsen. Ihrem Glauben nach darf ein Leichnam nicht die Elemente Erde, Wasser und Feuer verschmutzen. Traditionell bieten die hauptsächlich in der Region um Bombay lebenden Parsen ihre Toten den Geiern in Steintürmen, den „Türmen des Schweigens“, zum Fraß an. Diese Bestattungsmethode wurde nun untersagt, da es nicht mehr genügend Vögel gibt, die sich der Leichen rasch genug annehmen.

Vor drei Jahren initiierte die amerikanische Naturschutzorganisation „Peregrine Fund“ die Erforschung des Massensterbens. Nun ist das 13-köpfige internationale Team unter Leitung der Veterinärmedizinerin Lindsay Oaks von der Universität Washington fündig geworden: Die Raubvögel sterben an dem Medikament „Diclofenac“. Diese Substanz wird in der Humanmedizin schon länger gegen Schmerzen und Arthritis verabreicht. Seit etwa einem Jahrzehnt behandeln Tierärzte in Indien, Pakistan und Nepal regelmäßig Vieh mit dem preiswerten Mittel.

Zu Beginn ihrer Untersuchung stellte Oaks fest, dass die meisten Geier an akutem Nierenversagen verendet waren. Die Untersuchung auf die „üblichen Verdächtigen“, Arsen, Quecksilber oder Pestizide, ergab keinen Befund. Auch Infektionen schieden als Todesursache aus.

Da Haustier-Kadaver die Hauptnahrung der Aasfresser bilden, suchten die Forscher nach Tierarzneimitteln. Tatsächlich fanden sie in den verendeten Geiern Rückstände von Diclofenac. Aus der Humanmedizin ist bekannt, dass eine Überdosis dieses Schmerzmittels zu Nierenversagen führen kann. In Fütter-Experimenten konnten Oaks und ihr Team nachweisen, dass die Menge an Substanz, die ein Geier über einen kürzlich damit behandelten Kadaver aufnimmt, binnen Tagen zum Tode wegen Nierenversagens führt. „Erstmals ist bewiesen, dass ein pharmazeutisches Produkt eine derartige ökologische Katastrophe verursacht“, erklärt Oaks. Schon länger befürchten Wissenschaftler, dass Medikamente der Umwelt erheblich schaden können.

Rückstände in deutschen Gewässern

Erst 2002 fand eine amerikanische Studie Rückstände vieler pharmazeutischer Produkte und Körperpflegemittel im Wasser. Aus dem häuslichen Abwasser gelangen diese Reste über Kläranlagen in Seen, Flüsse und wieder in das Trinkwasser.

Die Auswirkungen sind noch wenig erforscht. Erste Ergebnisse lassen aber vermuten, dass Hormone im Wasser die Fortpflanzungsfähigkeit von Fischen und Amphibien bis hin zur Geschlechtsumwandlung schädigen können. Psychopharmaka könnten die Entwicklung der Tiere verlangsamen oder ein vorzeitiges Ablaichen auslösen.

Auch hier zu Lande finden sich derartige Rückstände in der Umwelt. In seinem jüngsten Bericht listet der Bund-Länderausschuss Chemikaliensicherheit (BLAC) zehn Arzneistoffe auf, die in relevanten Konzentrationen im Abfluss von Kläranlagen und in Flüssen nachgewiesen wurden. Darunter sind Röntgenkontrastmittel, Senker von Blutfettwerten, Betablocker und Antibiotika.

Die Frachten von Arzneistoffen seien tendenziell größer als die von Pflanzenschutzmitteln, heißt es in dem Bericht. So sei jetzt erstmals ein Antibiotikum im Trinkwasser nachgewiesen worden. Auf Rang zwei der aufgeführten Pharmaka findet sich Diclofenac.

Für eine Belastung der Umwelt durch das Schmerzmittel sprächen, so der BLAC, neben dem unvollständigem Abbau auch neuere Erkenntnisse über lebensbedrohliche Schädigungen von Regenbogenforellen. Thomas Lovejoy, ehemaliger Weltbank-Chefberater für Biodiversität, fordert, dass die Verwendung von Medikamenten bei Tieren systematisch geprüft werden müsse. Auch die chemischen Rückstände aus der Humanmedizin müssten unter die Lupe genommen werden.

Auch der BLAC plädiert für mehr Forschung. Einerseits wisse man kaum etwas über die ökologischen Auswirkungen von Arzneimittelrückständen auf natürliche Lebensgemeinschaften. Dies könne, wie das Beispiel Diclofenac zeige, zu einer Unterschätzung führen. Ferner ist – so die Experten – nahezu nichts über mögliche Kombinationswirkungen der in der Umwelt vorhandenen Wirkstoffgemische bekannt.

Bericht des BLAC im Internet unter:

www.blac-info.de/extern/stock/downloads/publikationen_10d.pdf

Margit Mertens

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