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Gesundheit: Das Suchtmittel Nikotin zeigt offenbar Wirkung im Kampf gegen mehrere Nervenkrankheiten

Nikotin hat ein schlechtes Image: Es gilt als einer jener Bestandteile in Zigaretten, die den Raucher nicht von seiner Sucht loskommen lassen. Doch der Stoff entpuppt sich nach neuesten wissenschaftlichen Forschungen als Waffe im Kampf gegen Nervenkrankheiten wie Alzheimer, Parkinson und das Tourette-Syndrom.

Nikotin hat ein schlechtes Image: Es gilt als einer jener Bestandteile in Zigaretten, die den Raucher nicht von seiner Sucht loskommen lassen. Doch der Stoff entpuppt sich nach neuesten wissenschaftlichen Forschungen als Waffe im Kampf gegen Nervenkrankheiten wie Alzheimer, Parkinson und das Tourette-Syndrom. In einem in dieser Art erstmals vorgenommenen Großversuch haben amerikanische Forscher jetzt herausgefunden, dass Nikotinpflaster bei Kindern, die unter dem Tourette-Syndrom leiden, viel versprechende Therapieansätze bieten.

Tourette-Patienten zeigen plötzliche Zuckungen im Gesichtsbereich wie Augenzwinkern und Zungenschnalzen, ahmen Bewegungen anderer Personen nach, stoßen unkontrolliert Schreie aus und gebrauchen zwanghaft Ausdrücke der Fäkalsprache. Bislang wurden diese Kranken mit dem starken Beruhigungsmittel Haldol behandelt, das auch gegen Schizophrenie angewendet wird. Paul Sanberg von der Universität South Florida testete niedrige Dosen Nikotin an Dutzenden jungen Tourette-Patienten und verabreichte einer Kontrollgruppe Haldol oder Placebos. Das Ergebnis: Den mit Nikotin behandelten Patienten ging es besser als der Vergleichsgruppe. Sie konnten die Symptome ihrer Krankheit besser unterdrücken.

Vor einem Einsatz des als Suchtmittel kritisierten Nikotins gilt es allerdings psychologische Barrieren zu überwinden. "Das Problem mit Nikotin ist, dass es Nikotin ist", erklärt Sanberg. Es sei Eltern nur schwer verständlich zu machen, dass man ihren Kindern ein Suchtmittel verabreichen wolle. Als Ausweg biete es sich an, Mittel zu entwickeln, die ähnlich wie Nikotin wirkten, jedoch nicht dessen Nebenwirkungen wie Schwindel hätten. Rauchen sei wegen des damit verbundenen Krebsrisikos freilich nicht der richtige Weg, Nikotin als Medizin zu verabreichen. Bei Tourette-Patienten, die ihre Symptome mit herkömmlichen Medikamenten nicht unter Kontrolle halten könnten, sei die Anwendung von niedrig dosierten Nikotinpflastern aber durchaus ein Versuch wert.

Seit Jahren wird Nikotin auch in kleineren Versuchsreihen als Mittel gegen die Alzheimer-Krankheit und das Parkinson-Syndrom getestet. Nikotin, das Hauptalkaloid der Tabakpflanze, wirkt in kleinen Dosen anregend auf das vegetative Nervensystem. In seiner Gesamtwirkung überschneiden sich jedoch stimulierende und lähmende Wirkungen. Paul Newhouse von der Universität Vermont erprobte die Wirkung von Nikotin an 15 Parkinson-Patienten. Auch wenn es bei seinem Versuch keine Vergleichsgruppe gab, deutet die Pilotstudie jedoch darauf hin, dass Nikotin die Gedächtnisprobleme der untersuchten Patienten verbessern kann. Newhouse testete auch eine synthetische Form von Nikotin: ABT-418 des Pharmaherstellers Abbott Laboratories. Bei standardisierten Tests hätten die Patienten eine "beträchtliche Verbesserung ihres Sprach- und Erinnerungsvermögens" gezeigt, berichtete Newhouse.

Da kein Pharmaunternehmen ein Exklusivrecht an Nikotin besitzt, hat die Industrie nach Ansicht von Experten wenig Interesse, entsprechende Forschungen über die Möglichkeiten eines Einsatzes gegen Krankheiten zu finanzieren. Allerdings erproben einige Firmen Nikotinersatzstoffe, die sie gegebenenfalls patentieren und vermarkten können. Diese können den Experten zufolge dann gezielter gegen spezifische Krankheiten eingesetzt werden, haben weniger Nebenwirkungen und werden vermutlich eher als Pille denn als Pflaster verabreicht.

Daniel Haney

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