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Gesundheit: "Das Volk" ist aus Heizungsrohren

Christian Noack hält "das Volk" in beiden Händen.Es wankt vor Aufregung hin und her, es krakeelt und stampft auf den Boden.

Christian Noack hält "das Volk" in beiden Händen.Es wankt vor Aufregung hin und her, es krakeelt und stampft auf den Boden.Jetzt erhebt Gilgame seine laute Stimme.Er steht auf einem Thron, der mit einem Stück feuerrotem Samt bedeckt ist.Gilgame wendet sich an Ninsun, seine Mutter.Die hat hier auch ein Wörtchen mitzureden.Gilgame ist der Mächtige, Erfolgreiche, und Ninsun symbolisiert die geistige Kraft, die hinter allem steckt.So steht es jedenfalls in der alten orientalischen Dichtung, die der Regisseur Christian Noack fürs Puppentheater bearbeitet hat.Gilgame, König von Uruk, wird in seiner Hoffnung auf ewige Herrschaft von den Unterdrückten gebremst.

"Das Volk" besteht aus alten Heizungsrohren, an denen die Spitzen abgewrackter Zäune befestigt sind.Andere Figuren haben einen Körper aus kräftigen Stahlfedern.Sie sind mit bunten Stoffetzchen behängt.In den Händen von Britta Maeker und Robert Winter können sie freudig nach oben springen, wie eine Katze buckeln oder sich zu einem untertänigen Kratzfuß verbiegen.Jeder Schauspieler hält eine Puppe, nur "das Volk" nimmt man jeweils in eine Hand.Schließlich müssen die dünnen Rohre für "Massenszenen" herhalten.Hinter allen Puppen sind unverdeckt die konzentrierten Gesichter der Akteure zu sehen.Und wie die reden können: sanft und dröhnend, traurig und hoffnungsvoll, fordernd und demütig.

Das Amateurpuppentheater der Humboldt-Universität hat seinen Sitz in einer alten Ladenwohnung in Mitte, gleich neben einer Videothek.Hinter der alten Wohnungstür beginnt ein Reich, das leise an Michael Endes "Unendliche Geschichte" erinnert.In diesem Buch wird ein elfjähriger Junge von der Zauberwelt der Bücher gefangengenommen.Hier ist es der melancholischen Charme des Theaters, der den Besucher in seinen Bann schlägt.Hinter dem Vorführsaal lagern staubige Requisiten, ein alter Kachelofen steht da, Koffer mit Teilen der Beleuchtung, Bücher.Ein langer Gang führt zur Küche, wo eine grimmige Schneekönigin auf die Eindringlinge wartet.Mit eisblauen Augen starrt sie die vorwitzigen Kaffeekocher an.Eine andere Figur, ein Geist aus Holz und Kork, hängt an der Wand.Die Puppen werden für jedes Stück neu entworfen, die für "Gilgame und Enkidu" vom TU-Studenten André Eick.

"Mir gefällt, daß in dieser Gruppe die Verbindung von Puppen- und Menschentheater versucht wird", sagt Robert Winter, der Geschichte und Judaistik studiert.Bereits 1985, während seiner ersten Ausbildung zum Mathe-Lehrer, stieß er zur Truppe.Wie alle anderen ist er Amateur, hatte also keine Vorkenntnisse übers Puppenspielen.Christian Noack, der 1973 zu den Gründungsmitgliedern des Ensembles gehörte, ist von Hause aus Biophysiker.Britta Maeker studiert Germanistik.Von den zehn Spielern sind etwa die Hälfte an der Uni immatrikuliert.

Pro Jahr üben sie ein Stück ein und feilen danach weiter an der Inszenierung.Schon in den siebziger Jahren standen so anspruchsvolle Stoffe wie "Der kleine Prinz" von Saint-Exupéry auf dem Programm, außerdem stets auch Vorstellungen für Kinder.Während der vergangenen 25 Jahre hat sich ein ausgeprägtes Interesse an Märchen, Mythen und Sagen entwickelt.In seinen Anfangsjahren probte das Amateurpuppentheater im Keller der Humboldt-Universität und trat dann in der Mensa, in Schulen, Krankenhäusern und Klubs auf.1977 wurde ihm der Titel "Hervorragendes Volkskunstkollektiv" verliehen, berichtet eine Chronik stolz.

Mit ihren Puppen fuhren die Spieler an die Ostsee, in die Tschechoslowakei und 1982 zur Moskauer Lomonossow-Universität."Auf diese Reise kam ein Aufpasser mit - der FDJ-Sekretär", erinnert sich Christian Noack.Der sollte gucken, ob sie bei den offiziellen Gesprächen auch das Richtige sagen.Heutzutage konkurriert es mit vielen anderen kulturellen Angeboten in der Stadt.Es ist nach wie vor populär - nicht zuletzt dank der Mundpropaganda.Die Stücke sind kurz, etwa eine Stunde.Trotzdem ist das Halten der Figuren auf Dauer anstrengend."Es gehört Training dazu", sagt Britta Maeker.Dann greift sie sich Ninsun und gibt Gilgame eine passende Antwort.

"Gilgame und Enkidu" wird heute, am 7.November und am 3.Dezember jeweils um 21 Uhr, Torstraße 175 aufgeführt.Kartenpreise 10 Mark, ermäßigt 7 Mark.Neue Mitspieler sind mittwochs 20 Uhr willkommen - Infos unter 481 07 24.

JOSEFINE JANERT

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