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Gesundheit: Demo unterm Regenschirm

Studenten protestieren/TU verhängt totalen Numerus clausus/Professoren schreiben offenen Brief

Obwohl es gestern vormittag immer wieder regnete, fielen die Freiluft-Vorlesungen der Humboldt-Universität nicht ins Wasser. Besonders die Studenten der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen und der Theologischen Fakultät bewiesen am Hackeschen Markt, vor dem Roten Rathaus und am Platz vor dem Neuen Tor Stehvermögen. Mit Transparenten, Flugblättern und Regenschirmen versuchten sie gemeinsam mit ihren Dozenten die Öffentlichkeit auf den drohenden Bildungs-Kahlschlag an den Berliner Universitäten aufmerksam zu machen. Im Gegensatz zu den Positionen des Refrats der HU finden die meisten Studenten eine konstruktive Zusammenarbeit mit der Unileitung und dem Präsidenten notwendig. „Mlynek musste schließlich was tun, um die Öffentlichkeit wachzurütteln. Wir sitzen doch alle in einem Boot", sagt etwa Theologiestudent Jan Bobbe. Am Platz vor dem Neuen Tor ging der Vorlesungsbetrieb sogar durchgängig von 8 Uhr bis 14 Uhr, zeitweise waren bis zu hundert Studenten dabei. Auf eine spontane Anfrage bei der Zentrale der Bündnis-Grünen hin, erklärte sich deren politische Bundesgeschäftsführerin, Steffi Lemke, bereit mit den Studenten zu diskutieren – „obwohl ihr hier eigentlich an der falschen Adresse seid.“

Auch die Hochschulleitungen protestierten weiter gegen die befürchteten Einsparungen. Der Rektor der Kunsthochschule Weißensee, Rainer W. Ernst, will sich weigern, den Hochschulvertrag mit dem Senat zu unterschreiben, sollte es bei dem Entwurf bleiben. Danach stünden der Kunsthochschule nur noch 39,5 finanzierte Stellen zur Verfügung statt jetzt 47. „Mindestens drei Studienrichtungen von acht wären zu schließen“, sagte Ernst.

Politische Signale

Unterdessen hat der Akademische Senat der TU beschlossen, vom Wintersemester an einen flächendeckenden Numerus clausus einführen, selbst wenn die Studentenvertreter dagegen sind. Er versteht seinen Beschluss ähnlich wie die Humboldt-Universität, die einen totalen Zulassungsstopp verhängt hat, als politisches Signal. Aber während die HU mit ihrem Zulassungsstopp Gefahr läuft, dass sich Studienbewerber massenhaft einklagen werden, fühlt sich die TU mit dem flächendeckenden Numerus clausus auf der rechtlich sicheren Seite. Im Endeffekt können sogar 6500 Studienbewerber hoffen, dass sie trotzdem zugelassen werden. Letztes Jahr waren es ohne flächendeckenden NC 7665 Studienanfänger.

Worin liegt der Unterschied zum Zulassungsstopp? Selbst bei einem flächendeckenden Numerus clausus muss von Fach zu Fach die Höchstlast ermittelt werden, und die ist abhängig von dem derzeit vorhandenen Lehrpersonal und nicht von einem künftigen Lehrpersonal, das sich durch Millioneneinsparungen drastisch verringern kann. Die Humboldt-Universität will dagegen so gut wie keinen Studenten mehr zulassen und begründet den Zulassungsstopp damit, dass sie den neuen Studenten nicht mehr garantieren könne, in fünf Jahren erfolgreich ihr Studium abschließen zu können. Die HU rechtfertigt ihre Zulassungspolitik also mit der Entwicklung in der Zukunft. Das steht nicht im Einklang mit der geltenden Rechtslage.

Die TU hatte schon vor kurzem die Einsparung von 30 Professuren und 120 Stellen für akademische Mitarbeiter und 60 Personalstellen beschlossen. Der Akademische Senat hatte schon zu diesem Zeitpunkt deutlich gemacht, dass damit für die TU das Ende der Fahnenstange erreicht sei. Wenn bei der Senatsklausur am 19. Mai nur die niedrigste aller Sparvarianten für die Universitäten beschlossen würde, nämlich 100 Millionen Euro, dann würde sich real diese Summe um 70 Millionen Euro bis zum Jahr 2009 erhöhen. Denn die Universitäten müssten künftig für die Bezahlung von Pensionen und Beihilfen sowie für Tariferhöhungen selbst aufkommen. Außerdem müssten die Universitäten Millionenbeträge an die Fachhochschulen abführen, damit dort mehr Studienplätze aufgebaut werden könnten.

Unter diesen Bedingungen könne die TU nur noch zehn Prozent ihrer freiwerdenden Stellen wiederbesetzen. Da die Stellen bei den Professoren aus Altersgründen frei werden, entstünden die zufälligsten Konstellationen: De facto würden besonders die Kernfächer der TU, die Bauingenieure, der Maschinenbau und die Elektrotechnik gefährdet.

Inzwischen melden sich auch die Wissenschaftler zu Wort. Drei Professoren des Instituts für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität haben einen offenen Brief formuliert und am Donnerstag an ihre Kollegen an der Freien und der Technischen Universität per E-mail verschickt. Darin fordern sie „Schluss mit den Sarrazinaden!“ und werfen dem Finanzsenator mangelnde Gestaltungskraft und Konzeptlosigkeit vor. Sarrazins „wissenschaftspolitischer Dilettantismus und seine fehlende Sachkenntnis würden mittlerweile selbst zu einem zentralen Problem der Berliner Landespolitik“. Sarrazin rede Berlin auf die Dauer „tot“.

Fachhochschulen nicht gefragt

An den Fachhochschulen hingegen regt sich zur Zeit kaum Protest. Der Rektor der Fachhochschule für Wirtschaft, Franz Herbert Rieger, sagte auf Anfrage: „Wir sind weniger stark betroffen.“ Die Universitäten könnten sich jedoch der Solidarität der Fachhochschulen sicher sein. Ein Aufruf zu der Demonstration am Freitag um 15 Uhr 30 am Funkturm existiert an der Fachhochschule nicht: „Man hat uns nicht gefragt“, sagte Rieger. Der Präsident Fachhochschule für Technik und Wirtschaft, Herbert Grüner, sagte, man werde sich „nicht zurücklehnen nach dem Motto: ,Pech für die anderen’“. Schließlich könnten die Einsparungen die Fachhochschulen doch noch treffen. Das befürchtet auch Reinhard Thümer, der Präsident der Technischen Fachhochschule: „Wenn Sarrazins Sparwünsche umgesetzt werden, muss mehr als eine Universität eingespart werden.“ Uwe Schlicht/Sandra Löhr/

Anja Kühne

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