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Gesundheit: Den Bauern schwimmt der Boden davon

Von Walter Schmidt Die Bauern in Rheurdt am Niederrhein verlieren allmählich den Boden unter den Füßen. Vor allem am neun Kilometer langen Schaephuysener Höhenzug schwemmen Gewittergüsse immer wieder wertvolle Ackerkrume von den Feldern.

Von Walter Schmidt

Die Bauern in Rheurdt am Niederrhein verlieren allmählich den Boden unter den Füßen. Vor allem am neun Kilometer langen Schaephuysener Höhenzug schwemmen Gewittergüsse immer wieder wertvolle Ackerkrume von den Feldern. „Erosion hat es dort immer schon gegeben“, sagt Bürgermeister Karl-Heinz Rickers, „doch die hat in den letzten zehn bis 15 Jahren zugenommen.“ Immer häufiger käme es im Sommer zu starkem Regen, was Wetterkundler dem Klimawandel anlasten. Die Klimaänderung ist teilweise von Menschen verursacht. Ähnliches gilt für die Erosion.

Besonders schlimm wird der Bodenschwund, wenn heftige Gewitterregen wie in diesem Juli auf abschüssige Äcker mit Mais oder Zuckerrüben treffen. Mais wird oft ohne bodenschützende Untersaat angebaut, die langsamer wachsen und später geerntet werden würde.

Da die Reihen mit Mais weit auseinanderstehen, können Regentropfen ungebremst auf den Boden prallen und Risse hervorrufen. Dies ist vor allem im Frühsommer der Fall, wenn die Pflanzen noch recht klein sind. Zwischen den Maisreihen drücken zudem die Räder der Traktoren Bodenporen und Regenwurmgänge zusammen, so dass kein Wasser mehr versickern kann.

Dünger in Talsperren

Steht Mais dann noch auf Hängen oder ist der Boden schon vollgesogen, spült der Regen tonnenweise kostbare Ackerkrume fort. Weil mit dem Boden auch Dünger und Pestizide in Flüsse oder Talsperren gelangen, sorgen sich vielerorts die Wasserwerke um die Reinheit des Trinkwassers.

Heftige Regengüsse und ein verregneter September haben Bürgermeister Rickers schon im Jahr 1998 aktiv werden lassen. „Wir mussten damals rund 80 000 Mark zusätzlich aufwenden, um die Kanäle von den Erdmassen zu befreien“, etwa 280 Tonnen Boden sind damals von den Äckern geschwemmt worden.

Diese Menge mag verwundern. Doch wenn ein Hektar Ackerland pro Jahr nur eine Bodenschicht von einem Millimeter Dicke verliert, dann entspricht das einem Gewicht von etwa 15 Tonnen. Nach Expertenschätzungen ist das etwa zehn- bis fünfzig Mal so viel, wie sich jedes Jahr durch Verwitterung des steinigen Untergrundes neu bilden kann – ein unwiederbringlicher Verlust wie ihn das seit 1998 geltende Bundesbodenschutzgesetz unbedingt verhindern will.

Auf Rickers Hilferuf wurde das Projekt „Bodenerosionsmodellierung Rheurdt" gestartet. Universitäten, das Landesumweltamt und die Landwirtschaftskammer beteiligen sich, gefördert wird mit Landes- und EU-Mitteln. Das Projekt will klären, wie viel Erosion durch einzelne starke Regenfälle hervorgerufen wird und zwar abhängig davon, welche Ackerfrüchte angebaut und wie der Boden bearbeitet wird.

Mittlerweile nutzen drei beteiligte Landwirte ihre Äcker bodenschonend, etwa indem sie bestimmte Fruchtfolgen ausprobieren. Zudem setzen sie beim Kartoffelanbau einen so genannten Querdammhäufler ein. Dieses Gerät zerfurcht die Felder so, dass ablaufendes Wasser immer wieder von einem Querdamm aufgehalten wird. Überdies hat die Gemeinde besonders erosionsanfällige Felder gepachtet und stillgelegt.

Um die Höhe des Verlusts in Tonnen pro Hektar abzuschätzen, haben sich Agrarwissenschaftler und Geografen lange Zeit mit der „Bodenabtragsgleichung“ beholfen. In diese Formel gehen zwar Erfahrungswerte ein, die Methode berücksichtigt jedoch keine Einzelereignisse.

Schlamm begräbt Saaten

„Die Gleichung berechnet nur den mittleren Bodenabtrag pro Jahr“, bemängelt der Bonner Geograf Hinrich Paulsen. Zudem könne sie nicht feststellen, wo genau sich das Sediment ablagert. Denn Schäden ruft Bodenerosion nicht nur dort hervor, wo Ackerkrume verloren geht, sondern auch dort, wo weggespülter Schlamm Saaten unter sich begräbt oder sich auf Straßen und in Bäche ergießt.

Deshalb haben Paulsen und sein Kollege Till Adams für Rheurdt und Schwalmtal-Lüttelforst, eine weitere erosionsgeplagte Gemeinde am Niederrhein, erstmals ein Computerverfahren eingesetzt, mit dem sich beliebig viele Erosions-Szenarien für einen Acker durchspielen lassen. Im Endzustand sollen beispielsweise lokale Landwirtschaftsberater das mit vielen Daten gefütterte Prognosemodell nutzen können. Die Berater könnten den Bauern die Auswirkungen demonstrieren, wenn statt Mais Weizen angebaut wird, der weniger abtragungsgefährdet ist. Oder wie sehr Grünlandstreifen, die quer zum Hang anbegracht werden, Erosionen aufhalten können.

Bei manchen Bauern wird harte Überzeugungsarbeit nötig sein. „Einer hat auf die Frage, warum er nicht quer zum Hang pflüge und so die Erosion vermindere, geantwortet, dann müsse er den Trecker zu oft wenden“, berichtet ein Experte. „Das Problem steckt in den Köpfen“, sagt auch Frank Glante, der beim Umweltbundesamt das Fachgebiet Bodennutzung leitet. Oft ernte man als Berater „nur ein Schulterzucken“, weil Bodenabtrag als normale Begleiterscheinung des Ackerbaus gelte. Dabei seien wirksame Gegenmaßnahmen seit langem bekannt – etwa die Saat der Folgefrucht in Überbleibsel der letzten Ernte, aber auch Untersaaten wie Knaulgras oder Zwischenfrüchte wie Futterroggen.

Druck auf die Landwirte wird voraussichtlich die drei Jahre alte Bodenschutzverordnung ausüben. Dazu muss erst noch eine Kommission klären, wie sich das vorgesehene Verursacherprinzip juristisch umsetzen lässt. Dann könnten auch Bußgelder gegen „Erosions-Sünder“ verhängt werden. Denn das Gesetz verpflichtet Grundstückseigentümer, ihren Boden so zu nutzen, dass von ihm keine Schäden für andere ausgehen.

Kommunen dagegen müssen laut Rickers Maßnahmen gegen die Erosion wie Rückhaltebecken eigentlich nicht finanzieren. Aber allein der kommunale Verband am Niederrhein, zuständig für ein Gebiet von 250 Quadratkilometern, unterhält 48 Sediment- und Sandfänge – auf Kosten des Steuerzahlers.

Was ist vermeidbar?

Doch die Arbeit der Expertenkommission „schleppt sich dahin“, sagt Monika Frielinghaus, Präsidentin der Deutschen Bodenkundlichen Gesellschaft. Denn es sei sehr schwer, juristisch einwandfrei festzulegen, was ein vermeidbarer Erosionsschaden sei und wer für ihn zur Rechenschaft gezogen werden könne.

Wenn etwa Boden in Fließgewässer geschwemmt und sofort wegtransportiert wird, lässt sich oft nicht feststellen, von welchem Flurstück der Eintrag kommt. Nicht nur deshalb hält Frielinghaus mehr von Beratung und Gegenmaßnahmen als von Geldstrafen, die mühsam vor Gericht ausgefochten werden müssen.

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