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Gesundheit: Der fliegende Vogtländer

Vor 25 Jahren flog mit Sigmund Jähn der erste Deutsche ins All – und löste Jubelstürme in der DDR aus

Er konnte es nicht oft genug sagen, und er lächelte immer ein wenig dabei. Manchmal beschrieb er auch mit beiden Händen eine Kugel, groß wie ein Luftballon: Ja, zart und zerbrechlich sei diese Erde, ein blauer Planet, der da friedlich und traumhaft schön im Weltall schwimmt. Er durfte das sagen. Ihn hatte das Schicksal autorisiert. Er wusste Bescheid. Er war da oben, und wir da unten staunten Bauklötze: Der erste Deutsche im All – ein Bürger der DDR.

Heute vor 25 Jahren geriet die DDR ein wenig aus den Fugen. An diesem Sonnabendnachmittag unterbrechen Radio und Fernsehen ihre Programme zu der Sondermeldung vom erfolgreichen Start von Sojus 31 auf dem sowjetischen Weltraumbahnhof Baikonur. Nun dürfen die Chefredakteure der DDR-Zeitungen einen versiegelten Umschlag aufreißen, in dem die Sensation beschrieben und das propagandistische Trommelfeuer der nächsten Tage vorgegeben ist. (Die Reportage vom Start musste der ADN-Korrespondent übrigens schon sechs Wochen vor dem Ereignis abliefern).

In den DDR-Botschaften in aller Welt werden zwei geheimnisvolle Koffer geöffnet. Sie enthalten alle wichtigen Neuigkeiten in Wort und Bild. Zeitungen und Sondernummern sind im Begriff, den Kopf zu verlieren; in der Mohrenstraße wird flugs ein internationales Weltraumpressezentrum gegründet. Und überall lächeln uns zwei sympathische Herren in ihren Fliegeruniformen und im weißen Kosmonautenlook entgegen. Der eine ist der 41-jährige Fliegeroffizier Sigmund Jähn aus dem Vogtlandstädtchen Morgenröthe-Rautenkranz, der andere sein sowjetischer Kommandant Waleri Bykowski.

Die Landsleute von Sigmund Jähn hatten den Flug eines der Ihren längst erwartet: Wieso, fragte man sich, wurden von der Sowjetunion Polen und Tschechen bevorzugt bedient und Kosmonauten aus diesen Ländern vor unserem Siggi in die Luft geschossen, obwohl wir doch ewig in unverbrüchlicher Freundschaft an das Land von Lenin und Gagarin gekettet waren? Solche Überlegungen wurden aber bald vom Sturm der Begeisterung über unseren Weltraumflieger hinweggefegt. Lediglich die Formulierung mit dem ersten Deutschen im All schwebte noch längere Zeit in der Diskussion, da sich der Ost-Mensch immer und überall stolz zu seiner Republik zu bekennen hatte und auf die Frage: „Sind Sie Deutscher?“ antworten sollte: „Hey, ich bin Bürger der DDR.“ Die Deutschen waren nämlich immer die anderen. Und nun dieses Mischmasch im All.

Siggi sojuste auf allen Kanälen. Er taumelte durch die Schwerelosigkeit, und auf der Erde machten die Leute ihre Witze über die hemmungslose Materialschlacht der Propagandisten: „Kennen Sie die neue Maßeinheit ,ein Jähn’? Was das ist? Der Abstand zwischen zwei Plakaten.“ Oder: Was ist der Unterschied zwischen einem Kosmonauten und einem Ehemann? Antwort: Der Kosmonaut kennt sein Double.“ Es stand nämlich für alle Fälle ein zweiter DDR-Raumfahrer in Reserve, Eberhard Köllner. Auch dafür, dass der auf der Erde und so der ewige Zweite blieb, hatte der Volksmund sogleich eine Erklärung: Der erste Deutsche im All durfte natürlich kein Kö(l)lner sein . . .

Die beiden Jagdflieger waren für den Flug perfekt ausgebildet. Sigmund Jähn, einer der ersten Düsenpiloten bei den Luftstreitkräften der Nationalen Volksarmee, studierte von 1966 bis 1970 an der sowjetischen Militärakademie der Luftstreitkräfte „Juri Gagarin“ und wurde ab 1976 im Sternenstädtchen bei Moskau auf die Mission vorbereitet.

Der Kosmonaut hatte in Sojus 33 und nach dem Ankoppeln in dem Raumschiff Salut 6 wenig Zeit, den Kindern auf der Erde den mitgereisten Sandmann zu präsentieren. An Bord wartete ein umfangreiches Programm: Bei Carl-Zeiss Jena war die Multispektralkamera MKF-6 entwickelt und gebaut worden, die damals eine Spitzenleistung auf dem Gebiet der Fernerkundung der Erde war. Jähn erzählt, dass Professor Marek vom Zentralinstitut für Physik der Erde in Potsdam eine sehr anspruchsvolle Aufgabe für kosmische Aufnahmen mit Handkameras erdacht hatte. „Aus Dresden und Jena kamen materialwissenschaftliche, aus Buch und Halle biologische Experimente. Und obwohl der Zeitrahmen für die beteiligten Wissenschaftler recht kurz war, konnten sie ein Programm vorlegen, das für die damalige Zeit beispielhaft war“, blickt der Experte zurück. Während er unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit hart arbeitete und sogar einen Schmelzofen auf eine Temperatur von 900 Grad brachte, um Kristalle zu züchten, lästerten die bösen Erd-Zungen über die „Multispektakelkamera“.

Am 3. September landete die Kapsel, anders als geübt. Weil der Kommandant Bykowski den Fallschirm nicht rechtzeitig ausgeklinkt hatte, wurde die Kapsel ein Stück weit durch die Steppe Kasachstans geschleift und überschlug sich dreimal – Jähn erlitt einen bleibenden Rückenschaden.

Was nach der Landung noch schief lief, erzählt ADN-Reporter Gerhard Kowalski im Magazin des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt: „Ein Mann von der Bergungsmannschaft hatte dem starken Raucher Bykowski nach dem Verlassen der Landekapsel gleich eine brennende Zigarette in den Mund geschoben. Die Fotoreporter mussten daraufhin alle Aufnahmen noch einmal ohne Glimmstängel machen, denn es galt damals als unschicklich, dass Kosmonauten rauchend gezeigt wurden. Auch Jähns Autogramm auf der rußgeschwärzten Kapsel musste neu fotografiert werden. Er hatte vor Aufregung beim Landedatum 03.08. statt 03.09. geschrieben. Zu allem Unglück hatten die Kasachen dann auf der Tribüne in Dsheskasgan, wo die Kosmonauten begrüßt wurden, die Deutschlandfahne ohne Hammer und Zirkel gehisst. Ein NVA-Oberst holte rasch ein DDR-Tuch aus der Tasche . . .“

Als der Fliegerkosmonaut zurückkehrt, wird er bald „Held der DDR“, bekommt den Lenin- und den Karl-Marx-Orden an die Brust und ist Ehrenbürger von Berlin. In seinem Glanz sonnen sich die Politiker der DDR, besonders bei seinem wahren Triumphzug quer durch die Republik. Ich habe selten soviel echte, von Herzen kommende Begeisterung erlebt. Besonders im Vogtland waren Freude und Stolz über den „Sohn unserer grünen Heimat“ grenzenlos. Sigmund Jähn, der Überflieger, machte stets den Eindruck, als sei ihm der ganze Rummel etwas suspekt. Erdverbunden, bescheiden, freundlich, volksnah – so lernten wir den Vater zweier Töchter kennen. Sicher wurmte es ihn, dass ihn damals „Die Welt“ als „Sachso-Germanen“ und „Mitesser in der Russen-Rakete“ bespöttelte. Oder es spornte ihn an: Fünf Jahre nach seinem Flug promovierte der Sohn eines Sägewerksarbeiters und einer Heimarbeiterin mit der Dissertation „Arbeiten zur Entwicklung methodischer Grundlagen für Auswertung und Nutzung von Fernerkundungsdaten in der DDR“, 1986 wurde der Oberst zum Generalmajor befördert.

Nach der Wende wurde Sigmund Jähn arbeitslos, aber bald war der „Held wider Willen“ ein gefragter Experte beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, bei der ESA und im Moskauer Sternenstädtchen. Im Film „Good bye Lenin“ sollte er sich selbst spielen, aber mit 66 Jahren wollte sich das Siggi, der Rentner, der heute in einem Haus in Strausberg lebt, nicht mehr antun. Nicht weniger aufregend als eine Filmrolle wird der große Jähn-Jubiläumsflug-Bahnhof am kommenden Wochenende in Markneukirchen und Morgenröthe-Rautenkranz, wo sogar der Bundespräsident erwartet wird. Und Kosmo- wie Astronauten aus aller Welt, vorneweg Ulf Merbold, der als zweiter Deutscher fünf Jahre nach Sigmund Jähn mit den Amerikanern in der „Columbia“ ins All flog. Auch Merbolds Wiege stand im Vogtland, 1960 ging er in den Westen, weil ihm ein Studienplatz verweigert wurde. Längst sind die beiden Freunde: Die fliegenden Vogtländer.

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