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Gesundheit: Der Messias

Ex-Stanford-Präsident Gerhard Casper macht den deutschen Hochschulen Hoffnung

Als Gerhard Casper am gestrigen Sonntag die Bühne im Berliner Renaissance- Theater betritt, ist es, als sei der Messias der Hochschulwelt erschienen. Für die unter der Politik leidenden, depressiven deutschen Professoren im Parkett kommt der Uni-Star mit den weißen Haaren und dem markanten Gesicht gerade zur rechten Zeit: Vor dem Hintergrund des geplatzten Elite-Programms der Bundesregierung, dem Bund-Länder-Gezerre auf dem Rücken der Hochschulen und stagnierenden Reformen wirkt es wie eine Erlösung, einem smarten (Ex-)Stanford-Präsidenten zuzuhören.

Noch nie waren die Chancen auf Erneuerung so gut wie jetzt, macht Casper, der im Rahmen der „Lektionen“ der Berliner Festspiele sprach, seinen Zuhörern neue Hoffnung. Alle Beteiligten, die Hochschulen, die Länder und der Bund seien keineswegs selbstzufrieden – alles stehe auf dem Prüfstand.

Dazu gehören Studiengebühren, die nach dem Karlsruher Urteil am 26. Januar vielleicht möglich werden (siehe auch Beitrag unten). „Ich bezweifle, dass angemessene Studiengebühren in der Bundesrepublik zu vermeiden sind“, sagte Casper. Nur so könne die Qualität der Hochschulen verbessert werden, deshalb müssten die Einnahmen aus Gebühren den Hochschulen aber unbedingt zusätzlich zur Verfügung gestellt werden.

Casper ist kein neoliberaler Treiber. Der Deutsche, der 1962 sein Jura-Examen in Yale ablegte und zwischen 1992 und 2000 die Stanford University leitete, kennt die Schattenseiten des amerikanischen Systems aus eigener Erfahrung. Die Gebühren an den öffentlichen US- Unis seien in den letzten zehn Jahren um 90 Prozent gestiegen, gleichzeitig kürze die Bundesregierung die finanzielle Hilfe für Studenten – eine fragwürdige Entwicklung. Fragwürdig sei es aber andererseits auch, wenn Deutschland die Leistungen der Universität mehr oder minder zum Nulltarif anbiete und somit alle Steuerzahler, auch die Armen, dafür aufkommen müssten. Zumal nur acht Prozent der Studenten an deutschen Universitäten aus der untersten Schicht kommen – an der privaten Elite-Universität Stanford sind es 30 bis 40 Prozent.

Wenn es mit den deutschen Universitäten aufwärts gehen soll, darf man ihnen in Zukunft auch keine Studentenmassen mehr aufbürden. Als Beispiel für die Misere nannte Casper die Uni Mainz. In den letzten fünf Jahren sei die Zahl der Studenten dort um 20 Prozent auf 35000 Studierende gewachsen, während das Personal um fünf Prozent vermindert worden sei und aus Haushaltsgründen nur 93 Prozent der Professuren besetzt seien. So würden die Universitäten aber weder Begabte fördern noch der Mehrzahl ihrer Studenten gerecht werden können. Eine Linderung des Missverhältnisses von Angebot und Nachfrage erhofft Casper sich von den neuen Bachelor- und Masterstudiengängen. Wenigstens bei den weiterführenden Graden sollten die Hochschulen ihre Studentenzahlen beschränken und nur die Begabtesten „aus allen Schichten“ fördern dürfen.

Die jetzige Misere verantworten Generationen von Politikern, sagte Casper: „Deutsche Universitäten sind seit langem dramatisch unterfinanziert.“ Das gilt auch für ihre Forschung. Während die außeruniversitären Wissenschaftseinrichtungen 3,8 Milliarden Euro von Bund und Ländern bekommen, erhält die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG, die Hauptquelle für die Spitzenforschung an deutschen Unis, nur ein Drittel dieser Summe. Außerdem höhle die außeruniversitäre Forschung die Humboldtsche Idee der Einheit von Forschung und Lehre aus, von der die Spitzenuniversitäten der USA heute profitieren: „Sie geben selbst den jüngeren Studenten die Chance, mitzumachen und nicht nur dazusitzen.“

Den vom Bund geplanten Wettbewerb um das Etikett „Spitzenuniversität“ hat Casper schon vor einem Jahr, als die Idee aufkam, kritisch kommentiert: Wenn man fünf Universitäten bevorzuge, würden diese das Geld nicht nur an exzellente Leute, sondern auch an weniger förderungswürdige Projekte verteilen, befürchtet er. Casper bevorzugt den Vorschlag des DFG-Präsidenten Ernst Ludwig Winnacker: Die 1,9 Milliarden Euro von Bund und Ländern könnten in die DFG fließen. Sie würde das Geld an die Universitäten – nicht an Professoren – verteilen, um die Betriebs- oder Anschaffungskosten, die durch Forschung aus Drittmitteln entstehen, abzufedern.

Auch Stanfords Aufstieg von der Regional- zur Top-Universität wäre ohne Bundesmittel nicht gelungen. Noch heute, da Stanford jährlich etwa eine Milliarde Dollar an Drittmitteln für die Forschung einfährt, kommen nur vier Prozent davon aus der Wirtschaft. Auch die Hoffnungen auf Einnahmen durch Patente solle man hier zu Lande nicht zu hoch schrauben. Die meisten amerikanischen Hochschulen profitierten davon nur sehr begrenzt, Stanford etwa komme nur auf 32 Millionen Euro aus Patenten.

Eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Universitätspolitik ist die Autonomie der Hochschulen gegenüber dem Staat – Casper nannte als abschreckendes Beispiel das Vetorecht der Wissenschaftsminister bei Berufungen – sowie starke Präsidenten und Dekane.

Von all diesen Voraussetzungen sind deutsche Hochschulen noch weit entfernt. Trotzdem lautet Caspers Prophezeiung: „Deutschland wird aus seinem relativen Tief herauskommen.“

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