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Gesundheit: Der neutralisierte Glaube

Bundesweit richten Unis Islam-Professuren ein. Berlin plant jetzt ein Minimalprogramm

Die Freie Universität Berlin wird voraussichtlich ab dem kommenden Wintersemester Islamlehrer ausbilden. Sie sollen an Grundschulen Islamkunde unterrichten – als staatliche Alternative zum umstritten Unterricht der Islamischen Föderation. Damit holt Berlin gegenüber anderen Bundesländern auf, in denen es schon länger Modellversuche für eine universitäre Islamlehrerausbildung und einen staatlichen Islamkundeunterricht gibt. Allerdings plant man in Berlin offenbar nur ein Minimalprogramm.

Bildungssenator Klaus Böger habe den FU-Präsidenten Dieter Lenzen gebeten, islamkundliche Fortbildungskurse für Grundschullehrer anzubieten, sagt ein Sprecher. Es gehe um einen „bekenntnisneutralen Unterricht“, den „normale Grundschullehrer“ geben sollten. Fortgebildet werden sollen sie von den Islamwissenschaftlern der Freien Universität. Als Böger Mitte April angekündigte, er wolle die Universitäten jetzt verpflichten, Islamlehrer auszubilden, hatte er damit noch hohe Erwartungen an einen religionswissenschaftlichen Lehrstuhl geweckt.

„Ein solcher Professor könnte eine Instanz bei Fragen zum Islam werden“, sagte Bert Flemming, wissenschaftspolitischer Sprecher der SPD. Er denkt dabei an Fragen, in denen Migranten und Mehrheitsgesellschaft uneins sind: Schreibt der Koran Frauen vor, ein Kopftuch zu tragen? Dürfen Schülerinnen an Klassenfahrten teilnehmen? Die Professur müsse mit einem Muslim besetzt werden.

Einen Muslim als Kollegen wünschte sich auch Peter Heine, Islamwissenschaftler an der Humboldt-Uni. Die kulturwissenschaftlichen und philosophischen Aspekte der Islamkunde, die ja auch im vom Senat geplanten Ethikunterricht vorkommen sollen, könnten auch nichtmuslimische Islamwissenschaftler lehren; aber „dogmatische Dinge müssten von einem Muslim vertreten werden“, sagte Heine. Jetzt ist die Humboldt-Uni aber gar nicht mehr im Gespräch für die Ausbildung von Islamkundelehrern.

Der Präsident der Freien Universität, Dieter Lenzen, den Böger mit dem Projekt „Islamkunde“ betraut hat, ist strikt gegen einen islamisch-theologischen Lehrstuhl. Die FU sei nicht offen für ein „Verständnis religiöser Lehre, die von Doktrinen bestimmt ist“. Damit spielt Lenzen auf den Versuch der Berliner Islamischen Religionsgemeinschaft an, eine Islamlehrer-Ausbildung an Berliner Unis durchzusetzen. Die Vereinigung beruft sich auf ihren angeblichen Status als „Körperschaft öffentlichen Rechts“. Dies soll den Senat dazu verpflichten, Lehrer für ein Bekenntnisfach Islamische Religion auszubilden – gleichberechtigt mit evangelischen und katholischen Religionslehrern.

Hintergrund ist der Streit zwischen Senat und Islamischer Föderation, mit der die Islamische Religionsgemeinschaft eng verbunden ist. Das neue Schulgesetz von 2004 ermöglicht es dem Senat, nicht geeignetes Personal für den Islamunterricht abzulehnen. Die Schulverwaltung fordert jetzt wissenschaftlich qualifiziertes und didaktisch geschultes Personal – bis hin zum zweiten Staatsexamen. Und das haben die 23 Lehrer der Föderation nicht, die heute über 4000 Schülern an 37 Schulen Islamunterricht geben. Sie genießen zwar Bestandschutz, können aber mangels geeigneter Kandidaten keine Verstärkung bekommen. Ein islamischer Lehrstuhl an einer Berliner Universität sei also „eine sehr gute Idee“, sagt Burhan Kesici, Geschäftsführer der Islamischen Föderation.

Den Ansprüchen der Verbände will der Schulsenator jetzt ein bekenntnisneutrales Wahlfach Islamkunde entgegensetzen. Dafür, so die einhellige Meinung im Senat und an der Freien Universität, braucht man keinen muslimischen Lehrstuhl. Fraglich ist allerdings, ob die Berliner Muslime dieses Angebot annehmen werden. Über die Querelen verpasst Berlin womöglich die Chance auf einen religionswissenschaftlichen Studiengang, in dem Lehrer im Sinne eines aufgeklärten Islam ausgebildet werden. In Münster gibt es seit dem Wintersemester 2004/2005 einen solchen Studiengang.

Dort lehrt Muhammad Sven Kalisch, ein Deutscher, der sich als Jugendlicher zum Islam bekannte, im „Centrum für Religiöse Studien“. Kalisch vertritt eine liberale Auslegung des Koran – auch in der Öffentlichkeit. In seinen Seminaren können sich Lehrer und Lehramtsstudenten zum Islamlehrer ausbilden lassen. Gebraucht werden sie für den islamkundlichen Unterricht an den Schulen in Nordrhein-Westfalen.

Vorbild für eine Islamlehrerausbildung in Berlin könnten auch Studiengänge in Frankfurt am Main und Osnabrück sein. In Frankfurt gibt es seit zwei Jahren eine Stiftungsgastprofessur für „Islamische Religion“, kürzlich kam eine dauerhafte Professur hin zu. Die von der Auslandsabteilung des türkischen Präsidiums für Religionsangelegenheiten Diyanet (in Deutschland: Ditib) gesponserten Professoren sollen einen Teilstudiengang „Islamische Religionswissenschaft“ in einem religionswissenschaftlichen Masterprogramm aufbauen. Sie werden sich auch mit der Entwicklung des Islam in Europa und dem interreligiösen Dialog befassen, heißt es.

In Niedersachsen bildet die Universität Osnabrück seit dem letzten Jahr Lehrer und Studierende weiter. Was als internetgestützter Fernkurs mit Präsenzseminaren begann, soll ab 2006 zu einem Master-Studiengang „Islamische Religionspädagogik“ werden. Die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung (BLK) unterstützt den Studiengang, an dem auch muslimische Wissenschaftler mitarbeiten, seit Januar 2004 als Modellprojekt.

Die Idee der BLK: Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Bayern und Hamburg experimentieren mit Modellversuchen zum islamischen Religionsunterricht – da müsse es auch eine wissenschaftliche Weiterbildung für Lehrer geben. In Berlin gibt es dazu jetzt erste Ansätze. An der Universität Erlangen-Nürnberg geht man beherzter vor: Auch dort wurde kürzlich eine Professur für Islamische Religionslehre ausgeschrieben.

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