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Gesundheit: Der Reiz des Raschen

SPD-Bildungssprecher Jürgen Zöllner wirbt für Studienkonten – sie sollen zum schnellen Abschluss anspornen

Immer wieder wird die Einführung von Studiengebühren als „Königsweg“ für die Lösung der Probleme des deutschen Hochschulsystems propagiert. Einen konkreten Realisierungsvorschlag bleiben die Befürworter in der Regel jedoch schuldig – besonders was die Finanzierung und die Fragen sozialer Gerechtigkeit angeht. Als bemerkenswerte Ausnahme schien sich Hamburgs Wissenschaftssenator Dräger zu präsentieren, der kürzlich ein durchgerechnetes Modell zur Studienfinanzierung vorgestellt hat. Es basiert auf elternunabhängigen Bildungsdarlehen für Studierende, die damit ihren Lebensunterhalt und Studiengebühren bestreiten können. Erst mit dem Berufseinstieg werden einkommensabhängig Zinsen und Tilgung fällig.

Durch das Hamburger Modell sollen die Hochschulen nach Angaben von Senator Dräger pro Jahr circa 3,5 Milliarden Euro mehr erhalten als heute. Das wäre unbestritten eine schöne Summe und würde beispielsweise für Berlins Hochschulen Mehreinnahmen in Höhe von rund 185 Millionen Euro bedeuten. Doch wer muss dafür zahlen? Zum einen die Studierenden mit 2500 Euro Studiengebühren pro Jahr. Dräger greift hier tief in ihre Tasche. Der bisher diskutierte Durchschnitt liegt lediglich bei 1000 Euro jährlich.

Zum anderen wird die öffentliche Hand kräftig in die Pflicht genommen. Sie muss für die Darlehenszinsen aufkommen, die während des Studiums für die Studierenden übernommen werden, und sie muss bei Rückzahlungsschwierigkeiten und -ausfällen einspringen. Dräger behauptet, das sei für den Staat kostenneutral und schlägt dafür vor: Man nehme Bafög sowie das Kindergeld, streiche beides ersatzlos, schon habe man die erforderliche Summe zusammen. Die jährlichen Kosten für den Staat beziffert Dräger nach der Anlaufphase auf 900 Millionen Euro. Die heutigen Bafög-Kosten (durch Zuschüsse und Erstattung von Darlehensausfällen) decken laut Dräger rund 730 Millionen Euro jährlich und als Kindergeld werden 1,3 Milliarden Euro ausgezahlt. Die ersehnte Kostenneutralität scheint damit erreicht. Fraglich ist aber, ob die Kosten bei diesem Modell für den Staat nicht weit höher liegen. Dräger legt für seine Berechnung 280000 Studienanfänger zu Grunde, von denen jeder Dritte für ein fünfjähriges Studium auf ein Darlehen zurückgreift.

Immer mehr Studierende

Schon diese Anfängerzahl ist keine solide Basis. Nach der neuesten Studierendenprognose der Kultusminister nehmen schon jetzt 360000 junge Leute jährlich ein Studium auf und bis zum Jahr 2010 werden es über 380000 sein. Auch die Annahme, dass nur ein Drittel davon ein Darlehen beanspruchen würde, ist fragwürdig und die Dauer mit fünf Jahren niedrig angesetzt. Durchschnittlich dauert ein Studium bis zum ersten Abschluss in Deutschland heute sieben Jahre.

Wenn man also realistisch von 360000 Studienanfängern ausgeht und die Darlehensnehmer auf zwei Drittel erhöht – steigen die staatlichen Leistungen auf 1,8 Milliarden Euro. Bei sechs Jahren Darlehensgewährung erhöht sich die Summe sogar auf 2,8 Milliarden Euro. Zur Gegenfinanzierung stehen nach Drägers Modell aber nur zwei Milliarden Euro zur Verfügung.

Die finanziellen Verbesserungen, die das Hamburger Modell den Hochschulen verspricht, gehen zu Lasten der Studierenden – insbesondere aus einkommensschwachen Familien – und des Staates. Da wäre es doch einfacher, wenn der Staat die öffentlichen Mehrausgaben den Hochschulen direkt und nicht über den unsozialen Umweg des Hamburger Modells geben würde. Übrigens – wer glaubt, die Mehreinnahmen durch Studiengebühren würden uneingeschränkt bei den Hochschulen verbleiben, verkennt die politischen Realitäten. Die Verhandlungen über Hochschulhaushalte blieben davon nicht unberührt, sondern der jetzige Etat würde unweigerlich nach unten korrigiert.

Statt die Hochschulen auf höhere Mittelzuflüsse zu vertrösten, wird in Rheinland-Pfalz zum Wintersemester 2004/2005 das Studienkonten-Modell eingeführt. Es schafft Anreize für die Studierenden, ihr Studium zügig zu beenden, aber ohne mit horrenden Studiengebühren zu drohen. Vielmehr steht ihnen ein Studienkonto ausgestattet mit 200 Semester-Wochenstunden für ein gebührenfreies Erststudium bis zur doppelten Regelstudienzeit zur Verfügung. Erst danach erheben die Hochschulen für ihre Leistungen Gebühren. Je schneller aber das Studium abgeschlossen wird, desto größer das verbleibende Guthaben für Weiterbildungsangebote der Hochschulen. Dafür werden heute von den Teilnehmern Gebühren erhoben. Wenn die Studierenden so zur Rückkehr an die Hochschule bewegt werden, liegt darin nicht nur individueller Nutzen. Durch lebensbegleitendes Lernen entsteht volkswirtschaftlicher Gewinn; denn hochqualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen immer wieder auf den „neuesten Stand des Wissens“ gebracht werden. In diesem Geschäft „verschenken“ die Hochschulen derzeit Geld an private Anbieter. Doch die Hochschulen sollten künftig diejenigen sein, die zahlungskräftige Unternehmen bedienen.

Außerdem sind starke Anreize nötig, um Veränderungen an den Hochschulen zu erreichen. Und welcher Anreiz könnte mehr wirken als Geld? Das Studienkonten-Modell wird deshalb in Rheinland-Pfalz mit der Hochschulfinanzierung gekoppelt. Universitäten und Fachhochschulen stellen dem Staat die Semesterwochenstunden (SWS) der Studenten in Rechnung. Berücksichtigt werden allerdings nur Stunden in der Regelstudienzeit. Bei diesem Modell werden die Hochschulen folglich für gute Studienorganisation belohnt – anders als bei Gebührenmodellen, in denen die höchsten Einnahmen erzielt, wer die Studierenden lange an der Hochschule hält.

Das Studienkonten-Modell am Beispiel Berlin: In Berlin absolvieren derzeit etwa 85000 Studierende die Regelstudienzeit. Bei einer Vergütung von 25 Euro je SWS bedeutet das eine Grundfinanzierung in Höhe von rund 47 Millionen Euro. Um Missverständnisse zu vermeiden: Das sind keine zusätzlichen Mittel, sondern die regulären staatlichen Finanzzuweisungen.

Die zweite Finanzierungskomponente im Studienkonten-Modell sind die Studiengebühren, die nach Verbrauch des Studienkontos erhoben werden. In Berlin dürften etwa 20 Prozent der Studierenden die eineinhalbfache Regelstudienzeit überschritten haben. Geht man von 500 Euro pro Semester aus, entstehen zusätzliche Einnahmen für die Hochschulen von 22 bis 25 Millionen Euro.

Sollte das Studienkonten-Modell bundesweit eingeführt werden, müsste man darüber nachdenken, ob die Kosten für Studierende aus anderen Bundesländern nicht automatisch einen ausgabenbezogenen, sachlich begründeten Länderfinanzausgleich nahe legen. Berlin gehört zu den großen „Importländern“, weil es über 50 Prozent Studierende aus anderen Bundesländern ausbildet. Daraus resultiert ein Teil seiner besonderen finanziellen Belastung durch die Hochschulen. Wenn das auf dem Wege der Studienkonten ausgeglichen würde, könnte Berlins Haushalt um eine Summe zwischen 23 und 28 Millionen Euro entlastet werden.

Die Nachfrage steigt

Ein besonderer Charme des Studienkonten-Modells liegt außerdem in der Weiterbildung. Finanzielle Anreize sollen die Hochschulen dazu bewegen, da mehr zu tun. Daher werden Guthaben, die für Weiterbildung eingesetzt werden, vom Staat höher vergütet als SWS im Erststudium. Wer nach dem Studium noch „Guthaben“ auf seinem „Studienkonto“ hat, wird dieses auch einlösen wollen. Die Nachfrage wird mithin steigen – das bedeutet Mehreinnahmen für die Hochschulen im hohen einstelligen Millionenbereich.

Diese beispielhaften Rechnungen zeigen: Das Studienkonten-Modell ist in allen Ländern einsetzbar. Länderspezifische Bedingungen können eingearbeitet werden. Es könnte den entscheidenden Impuls für einen qualitätssteigernden Wettbewerb auslösen, von dem wir immer reden, weil attraktive Hochschulen finanziell belohnt werden und damit auch das Land, in dem sie angesiedelt sind. Der entscheidende Vorteil: mit dem Studienkonten-Modell werden Studierwillige nicht vom Studium abgeschreckt. Zugleich zahlt sich ein zügiges Studium für Studierende und Hochschulen aus.

Jürgen Zöllner

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