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Gesundheit: Der Schüler als Konsument

Wie weit darf Sponsoring an der Schule gehen? Lehrer, Eltern und Firmen streiten

Darf der Keks-Hersteller Bahlsen seine Aktion „Sammeln für die Klassenfahrt“ fortsetzen? Nein, hat jetzt das Oberlandesgericht Celle geurteilt. Ansonsten droht ein Ordnungsgeld bis 250000 Euro. Die Richter folgen der Einschätzung des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen, wonach es sich dabei um unlauteren Wettbewerb handelt. Mit der Aktion werde ein „unzulässiger Kaufzwang“ ausgeübt, heißt es in der Begründung. Habe sich die Klassenmehrheit einmal für die „subventionierte Reise“ entschieden, könnten Schüler wie Eltern sich nach Einschätzung der Kammer unter Druck fühlen, beim nächsten Einkauf zum Bahlsen-Produkt zu greifen – um vor den anderen nicht als knauseriger Spielverderber dazustehen.

Bis Ende Mai dieses Jahres konnten Schüler auf verschiedenen Keks-Produkten angebrachte Punkte sammeln. Hatten sie 222 Punkte zusammen, durften sie drei Tage lang auf Klassenfahrt gehen – die Reise finanzierte ihnen Bahlsen gemeinsam mit dem Reisekonzern TUI und der Deutschen Bahn. Jeder Schüler zahlte noch 99 Euro dazu. „Solche Kampagnen lösen psychologischen Kaufzwang aus, in diesem Fall sogar kollektiv“, sagt Ines Mitsche von den Verbraucherzentralen. „Kein Schüler möchte als Außenseiter dastehen, wenn sich der Klassenverband entscheidet, sich auf diese Weise eine Fahrt zu finanzieren.“ Dorit Wolff, Sprecherin von Bahlsen, widerspricht: Niemand werde genötigt. Zudem könne kein Kind ohne Einverständnis der Eltern auf Klassenfahrt gehen. Insgesamt hätten 130 Klassen mit insgesamt 3200 Schülern auf Bahlsen–Kosten eine Fahrt gebucht.

Wie weit dürfen Unternehmen mit der Werbung im Klassenzimmer gehen? Diese Frage beschäftigt in einem noch offenen Verfahren derzeit auch den Bundesgerichtshof. Es sei zwar nichts gegen Unternehmen einzuwenden, die Schulen finanziell unterstützen und sich dann auf ihrer Homepage mit gesellschaftlichem Engagement schmücken, sagt Christian Fronczak, ein Sprecher der Verbraucherschützer. „Wenn aber Schulen dazu benutzt werden, um bestimmte Produkte an Kinder und Jugendliche zu bringen, ist eindeutig eine Grenze überschritten“. Die Verbraucherschützer fordern die Kultusminister auf, Richtlinien aufzustellen, um auf Schulen ausgerichteten Werbekampagnen vorzubeugen.

Eltern können sich durchaus vorstellen, dass die Schule von Unternehmen gesponsort wird und diese dafür auf dem Schulhof für sich werben dürfen. 76 Prozent der Mütter und Väter finden es laut einer Emnid-Umfrage unbedenklich, wenn ein Unternehmen Schulfeste unterstützt und dafür auf Plakaten genannt wird. Für 74 Prozent sind auch Firmenlogos auf Lehrmaterialien akzeptabel.

Tatsächlich sind angesichts der leeren Staatskassen viele Schulen auf die finanzielle Unterstützung von Unternehmen angewiesen. Beim naturnahen Umbau des Pausenhofes der Grundschule Wentorf in Schleswig-Holstein steuerte die Fielmann AG die Pflanzen bei. Lehrer und Schüler setzten die Obstbäume und Sträucher dann ein. „Wir hatten gar keine andere Chance, Geld für eine Renovierung zu bekommen“, sagt die Schulleiterin Christel Witzisk. Zwar kennt nun jeder der 500 Grundschüler den Namen des größten europäischen Optikers. Doch die Gefahr, dass die Kinder beeinflusst werden, hält Witzisk für gering. Zumal das Unternehmen nach eigenem Bekunden nicht beabsichtigt, zusätzlich an der Schule zu werben. „Werbung an Bildungsinstitutionen ist für uns ein Tabu“, sagt Sprecher Matthias Branahl.

Bei vielen Unternehmen ist das ganz anders. Weil kommerzielle Werbung in den meisten Bundesländern verboten ist, preisen sie im Windschatten des Sponsorings ihre Produkte an. „Viele Angebote sind nicht seriös“, sagt Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbands. Da wolle etwa eine Foto-Kette Laptops sponsern, aber nur unter der Bedingung, dass 600 Schüler eine Fotoserie bei ihr machen lassen. Ein Hersteller von Sportgeräten habe Unterstützung bei der Ausstattung einer Turnhalle angeboten, wenn die Schule in den kommenden Jahren ausschließlich bei ihr kaufe.

„Die Grenzen zwischen Werbung und Sponsoring sind fließend“, sagt Markus Holtzman, Geschäftsführer einer Agentur, die sich auf den Werbemarkt Schule spezialisiert hat. Deutschlandweit konkurriert sein Bottroper Unternehmen Spread Blue mit einer Hand voll anderer Firmen um die Vermittlung von Firmenlogos auf kostenlos verteilten College-Blöcken, Reklame-Plakaten neben dem Schwarzen Brett, Bodenbelagsfolien, Gratispostkarten, Turnhallenbannern und Pausenhofschirmen. „Die Entscheidung, was zulässig ist, liegt bei den Schulleitern“, sagt Holtzman.

Josef Kraus, selbst Leiter eines bayerischen Gymnasiums, verweist auf die soziale Dimension solcher Entscheidungen: „Zunehmendes Schulsponsoring führt dazu, dass die Politik sich aus der Verantwortung stiehlt. Die geben uns dann nur noch die Mindestausstattung.“ Einer Abhängigkeit der Schulen könne zwar durch neutralisierende Stellen wie etwa Fördervereine vorgebeugt werden. Aber Ungleichheiten blieben bestehen: „Welches Unternehmen will schon eine Hauptschule in einem sozialen Brennpunkt unterstützen?“ Direkte Werbung in Schulen hält Kraus indes für völlig fehl am Platz: „Wir sollen doch kritische Wirtschaftsbürger heranziehen“.

Gerade das, sagt Unternehmer Christian Zeuch, Geschäftsführer der Agentur Youngkombi, werde durch Verbote verhindert. „Indem wir Werbung untersagen, machen wir sie höchstens noch interessanter. Wir sollten sie zulassen, um den kritischen Umgang mit ihr zu fördern.“ Die Bereitschaft der Lehrer wachse, Werbung zu akzeptieren, sagt der 28-Jährige, der Anzeigen in Schülermedien verkauft. „Auch viele Firmen haben erkannt, dass es sich mehr lohnt, Anzeigen in 500 Schülerzeitungen zu schalten, als zwei Millionen Euro in den Freizeitsektor zu investieren“. Schülerzeitungen, Trikots für Basketball-AGs oder PCs für den Computerraum seien die authentischeren Medien.

Josef Kraus fürchtet, dass in Zukunft „jeder Imbiss und jede Döner-Bude“ Plakate in Schulen aufstellt. Die Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport verzeichnet dagegen keine bedrohliche Tendenz. Nach ihren Angaben lassen sechs der 53 zentral vom Land verwalteten Schulen an Bauwänden oder anderen Freiflächen werben. Die Vermietung bringe jährlich jeweils etwa 1000 Euro – kein großes Geld.

Oliver Schulz

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