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Gesundheit: Der Schul-Gigant wackelt

Zweimal war Finnland Pisa-Sieger. Doch jetzt werden viele Schulen geschlossen, es fehlt Geld für Schulpsychologen

Gleich zweimal lagen die Finnen beim internationalen Schulvergleich Pisa ganz vorn. Besonders dem klugen System der integrierten pädagogischen Unterstützung für schwache oder zeitweise in ihrem Lernverhalten benachteiligte Schüler verdankt das finnische Schulsystem seinen außerordentlichen internationalen Ruf. Doch die dramatische Haushaltslage vieler Kommunen ist zu einer ernsthaften Gefährdung des finnischen Erfolgsrezepts geworden.

Die oppositionelle konservative Sammlungspartei hatte in einer großen Anfrage der Regierung unter Ministerpräsident Vanhanen (Zentrumspartei) vorgeworfen, deren Politik gefährde das „Rückgrat“ der finnischen Wettbewerbsfähigkeit und das „geistige Kapital“ Finnlands. Schuld seien eine verfehlte Wirtschaftspolitik und die restriktive Sparpolitik der aus Sozialdemokraten und dem bäuerlichen Zentrum gebildeten Regierung.

Hintergrund der Anfrage waren massive Kürzungen vieler Städte und Gemeinden im Schulsektor, die umso härter die Substanz des Schulsystems treffen, als die Mittel für die weitgehend selbstständig arbeitenden Schulen zu 43 Prozent aus den kommunalen Haushalten aufgebracht werden müssen. Die restlichen 57 Prozent werden vom Staat übernommen. Nach Angaben des Fraktionsvorsitzenden der Sammlungspartei, Ben Zyskowicz, sei dieser Staatsanteil aber durch Haushaltstricks der Regierung tatsächlich auf 45 Prozent gesunken. Die Lehrergewerkschaften und der Kommunalverband bestätigten diese Angaben.

Einige finnische Städte und Gemeinden haben inzwischen versucht, durch bis zu zweiwöchige Beurlaubungen aller kommunalen Beschäftigten ihre klammen Kassen zu sanieren. Dass dabei auch die Lehrer nicht ausgenommen waren, sieht Zyskowicz als Angriff auf die gesetzliche Verpflichtung zur Bildung. Ohnehin hatte etwa Jukka Sarjala, jetzt Ex-Chef der Unterrichtsbehörde Opetushallitus, bereits nach Bekanntwerden der ersten Pisa-Studie davor gewarnt, die Politiker könnten sich angesichts der finnischen Spitzenplätze auf die Bildung als „Ersparnis-Quelle“ stürzen.

Das Sarjala mit seiner damaligen Einschätzung richtig lag, zeigte die Bildungsdebatte im Reichstag, dem finnischen Parlament. So wies Bildungsministerin Tuula Haatainen die Vorwürfe gerade mit dem Hinweis auf die weltweite Anerkennung finnischer Schulen zurück und bezog sich auf die unzähligen ausländischen Besuchergruppen, die täglich von diesem erfolgreichen Modell lernen wollten. Tuula Haatainen bestritt vehement, dass das finnische Schulsystem durch die kommunalen Haushaltsprobleme substanziell bedroht wäre. Sie räumte aber ein, dass die Regierung, die sich durch schwächere Jahrgänge ergebenden Einsparungen nicht in gleicher Weise im Bildungssektor belassen möchte.

Besonders die Säulen finnischer Schulerfolge sind damit aus Sicht der Kritiker langfristig gefährdet. Zum einen die staatlich organisierte Nachhilfe für Schüler mit Schwierigkeiten, die überwiegend in den wichtigen ersten beiden Schuljahren stattfindet. Und die vorbildliche Integration, die kein Sitzenbleiben und kein Verschieben auf Sonderschulen kennt. Kernstück ist die sonderpädagogische Betreuung, zu der auch Schulpsychologen und Sozialarbeiter herangezogen werden. Dass der Anteil von Schülern, die diese soziale Betreuung benötigen, inzwischen beängstigend angestiegen sei, wird auch von der finnischen Regierung nicht geleugnet. Bildungsministerin Haatainen nannte in der Debatte eine Zahl von 25 Prozent aller Schüler, „die schwere psychosoziale Störungen“ aufwiesen.

Während etwa in Tampere, der drittgrößten Stadt Finnlands, geplant ist, Ersparnisse durch den Geburtenrückgang für Neueinstellungen von Spezialisten einzusetzen, fehlt anderen Städten bereits jetzt das Geld, um den Unterricht wie bisher aufrechtzuerhalten. So sieht Risto Kuoksa, Schulamtsleiter im lappländischen Rovaniemi, nur noch im „Abschneiden“ der Unterrichtsmenge und in größeren Klassen mit 25 bis 28 Schülern eine Möglichkeit zur Aufrechterhaltung des jetzigen Betriebs. Neueinstellungen von Psychologen oder Sozialarbeitern sind für Kuoksa kein Thema, obwohl die Stadt bereits jetzt die gesetzlichen Vorgaben nicht erfüllen kann. Die Regierung plant derweil die Mittelvergabe für kleinere Schulen mit unter 80 Schülern einzustellen und damit die Kommunen zu deren Schließung zu zwingen. Die Mittel sollen stattdessen für Schulen mit einem hohen Anteil an Kindern aus Migrantenfamilien eingesetzt werden. Seit 1990 wurden in Finnland rund 1300 Schulen geschlossen.

Noch wird die Anfrage der Oppositionsparteien unter Führung der Sammlungspartei keine Auswirkungen haben. Denn der Misstrauensantrag, der sich der Anfrage anschloss, fand aufgrund der klaren Mehrheitsverhältnisse im Parlament keine Mehrheit. Sicherlich kein Trost etwa für die Schüler der gymnasialen Oberstufe der Korkalovaaran-Schule in Rovaniemi. Deren Rektor Allan Valasmo empfahl zum Ferienbeginn seinen Gymnasiasten, doch in den nächsten Wochen die Zeitung zu verfolgen, denn er könne auch noch nicht sagen, in welchen Räumlichkeiten der Unterricht im August weitergeführt werde. Die Schule ist von der Schließung bedroht, und in das bisherige Schulhaus sollen Klassen der Gemeinschaftsschule einziehen. Kein Einzelfall für die Probleme finnischer Schulen. Das Gebäude des finnischen Schulerfolgs beginnt an seinen Fundamenten zu bröckeln.

Reinhard Rode

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