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Gesundheit: Der Zombie in uns

Wir sind Herr unseres Ich – denken wir. Aber das Unbewusste ist allgegenwärtig

Auch auf die Gefahr hin, dass Sie das jetzt nicht gerne hören, es muss mal gesagt werden, alle wissenschaftlichen Befunde sprechen dafür: Sie sind ein Zombie. Im Großen und Ganzen. Dabei ist das gar nicht als Beleidigung gemeint, oh nein, wie Sie im Folgenden erfahren werden.

Zombies sehen aus wie Menschen. Sie reden wie Menschen. Sie bewegen sich wie Sie und ich. In Michael Jacksons „Thriller“ tanzen sie sogar wie Menschen – na ja, fast. Aber Zombies sind keine Menschen. Es sind Wesen ohne Bewusstsein. Automaten, die nichts spüren und nichts erleben, sondern einfach nur funktionieren, das allerdings perfekt.

Zugegeben, wir sind keine vollkommenen Zombies. Wir sind Zombies mit einem Hauch von Bewusstsein: Obwohl wir das Gefühl haben, unser Bewusstsein sei die zentrale Steuerplattform unseres Ich, legen neue Befunde der Hirnforschung nahe, dass das Bewusstsein in Wahrheit nur einen winzigen Teil ausmacht. Meist überlässt es dem Zombie die Arbeit. Das fängt bei so einfachen Handlungen an, wie eine Postkarte in einen Briefkasten zu werfen, und reicht bis hin zum Schreiben eines Gedichts.

Beginnen wir mit der Postkarte. Eine Karte in einen Briefkasten zu werfen, das stellt zwar keine allzu großen Ansprüche an unser Bewusstsein, aber wir müssen den Schlitz doch sehen, um die Karte hineinschmeißen zu können – glauben wir zumindest. Psychologische Fallgeschichten allerdings demonstrieren, dass wir dabei gar nichts sehen müssen. Es reicht, wenn unser Zombie sieht.

Eine solche Geschichte ist die von Diane F. Nach einem Unfall, bei dem das Atemgift Kohlenmonoxid aus dem Boiler geströmt war und das Badezimmer gefüllt hatte, war Diane ins Koma gefallen. Als sie wieder erwachte, nahm die Frau die Welt nur noch schattenhaft wahr – sie war so gut wie blind.

Eines Tages zeigte ein britischer Psychologe namens David Milner Diane einen Schlitz und fragte sie, ob er diesen waage- oder senkrecht hält. Diane konnte dem Mann die Frage, blind wie sie war, beim besten Willen nicht beantworten. Dann gab der Psychologe der Frau ein Stück Papier und forderte sie auf, es in den Schlitz zu werfen. Zunächst protestierte Diane. Als der Psychologe darauf bestand, nahm Diane das Papier, richtete ihre Hand zielgenau auf den Schlitz aus und warf das Blatt hinein. Diese blinde Frau konnte sehen!

Ein seltsames Phänomen, das Psychologen jedoch wohlvertraut ist. Sie haben sogar einen Fachbegriff dafür: Rindenblindheit (im Englischen blindsight genannt, Blindsehen). Die Menschen, meist Opfer eines Unfalls, behaupten, blind zu sein – in Versuchen stellt sich dann aber immer wieder heraus, dass etwas in ihnen sehr wohl noch sehen kann, wenn auch nicht bewusst. Dieses Etwas ist der Zombie. Und er befindet sich nicht nur in Dianes Kopf, sondern in jedem von uns.

Das Problem mit dem Zombie ist, dass wir ihn per definitionem nicht bemerken. Er erledigt seine Arbeit inkognito. Seine Existenz fällt uns höchstens bei anderen auf, wie etwa den rindenblinden Patienten. Nur in seltenen Fällen können wir sein Wirken auch in uns selbst ertappen, wenn auch erst im Nachhinein.

Beispielsweise beim Autofahren. Wer kennt nicht das Gefühl, plötzlich, nach Kilometern auf der Autobahn, „aufzuwachen“. Minutenlang sind wir über den Asphalt gebrettert, sind anderen, schlechten Fahrern ausgewichen, ohne ans Fahren zu denken. Stattdessen haben wir uns aufs Radio konzentriert. Oder wir haben ein Erlebnis, eine Erinnerung vor unseren Augen Revue passieren lassen. Wer hat dabei auf die Straße geguckt und sich um Gaspedal, Bremse und Lenkrad gekümmert? Richtig, der Zombie.

Auch beim Schlafwandeln führt der Zombie Regie im Kopf. Einige ziehen sich im Schlaf an, plündern den Kühlschrank, verrücken Möbel, ja sie fahren sogar Auto, ohne dass es ihnen im Geringsten bewusst wird.

Das beweist: Der Zombie ist zu komplexesten Handlungen fähig. Für gewöhnlich sind wir davon überzeugt, dass wir fürs Anziehen, Essen und Autofahren Bewusstsein brauchen, dabei erweist sich das Bewusstsein als überflüssig. Es kommt erst ins Spiel, wenn es wirklich nicht anders geht. Wenn Ihr Zombie einen Unfall baut, und Sie auf die neue Situation reagieren müssen, dann erwachen Sie und kommen Ihrem Zombie zu Hilfe.

Mindestens 90 Prozent Ihres Gehirns arbeitet im Zombie-Stil. Eigentlich besteht der Zombie aus zahlreichen Bausteinen: manche kümmern sich um die Wahrnehmung, andere um die Bewegung des Körpers oder um Basisfunktionen wie etwa die Atmung.

Der Zombie nimmt mehr wahr als wir und kann so unsere Stimmung steuern. In einem Versuch konditionierten Forscher ihre Probanden wie Pawlow seine Hunde. Jedes Mal, wenn sie das Bild einer Person mit bösem Gesichtsausdruck sahen, ertönte ein Geräusch, das so grell war, dass den Probanden angst und bange wurde. Unwillkürlich kamen sie ins Schwitzen – ein messbarer Angstreflex. In einem anschließenden Test präsentierten die Wissenschaftler das Gesicht noch einmal, nun allerdings so kurz, dass die Probanden meinten, sie hätten nichts gesehen. Ihr Gehirn hatte dennoch etwas registriert: das Angstzentrum schlug Alarm, und der Körper reagierte auch jetzt mit einem Schweißausbruch. So „spielt“ der Zombie im Stillen mit unseren Gefühlen.

Und das tut er vermutlich nicht nur im Labor, sondern auch im Alltag: Wie oft sind wir schlechter Laune und wissen nicht, warum? Manchmal stellt man uns einen Menschen vor, der uns auf Anhieb unsympathisch ist, und doch haben wir keine Ahnung, was uns so irritiert. Vielleicht hat unser Zombie irgendwelche Reize bemerkt, die uns entgangen sind?

Bis hin zu komplexen Leistungen brauchen wir den Zombie. Haben Sie schon mal versucht, Ihre Gedanken zurückzuverfolgen? Sie scheinen aus dem Nichts zu kommen. Dabei sind zahlreiche Hirnareale am Werk, die „Ihre“ Einfälle produzieren. Nicht Sie sind es, der denkt, sondern Ihr Zombie. Sie bekommen immer nur das Resultat zu Gesicht. Das Gleiche gilt, wenn Sie sprechen oder schreiben – ein Wort scheint sich wie von selbst an das nächste zu reihen. Wer aber macht sich die ganze Arbeit? Der Zombie.

Klar, die Idee des Zombies ist nicht neu. Schon der Vater der Psychoanalyse, Sigmund Freud, hatte sie. Freud jedoch hielt den Zombie, dem er Namen wie das „Unbewusste“ und das „Es“ gab, für eine Art Sexmonster, das unter Penisneid, einem Ödipuskomplex und weiteren, unangenehmen Syndromen litt.

Der Zombie aber ist kein Monster, oft ist er ein nützlicher Diener. Ein stummer Sekretär, der bescheidener nicht sein könnte: Obwohl er die meiste Arbeit, die für uns anfällt, übernimmt, verlangt er weder Würdigung noch Aufmerksamkeit. Er ist ganz glücklich, wenn wir ihn einfach nur in Ruhe lassen.

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