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Gesundheit: Die Absetzung Ludwigs II: "Ihre Majestät ist originär verrückt"

Einen König vom Thron zu stoßen, war schon immer kompliziert. Meist war eine erfolgreiche Absetzung nur mit Gewalt zu haben, wobei häufig nicht nur die Krone in den Staub fiel, sondern das gekrönte Haupt gleich mit.

Einen König vom Thron zu stoßen, war schon immer kompliziert. Meist war eine erfolgreiche Absetzung nur mit Gewalt zu haben, wobei häufig nicht nur die Krone in den Staub fiel, sondern das gekrönte Haupt gleich mit. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts rang man sich langsam zu zivilisierteren Methoden durch. Zwar endete auch die Absetzung Ludwigs II. von Bayern, des Märchenkönigs, mit dessen Tod - der allerdings kam von eigener Hand. Die Umstürzler hatten ihm nicht das Leben genommen, sondern "nur" seinen Verstand.

Am 13. Juni 1886 fand ein Diener am Starnberger See zunächst die Kleidung des einen Tag zuvor für verrückt erklärten Königs und dann im Wasser dessen Leiche, zusammen mit dem ebenfalls toten Psychiater Bernhard von Gudden. Ludwig hatte ihn während eines Spazierganges am Seeufer erdrosselt, bevor er sich selbst entleibte. "Diese Tat war seine letzte Demonstration königlicher Souveränität", sagte Manfred Schneider, Literaturwissenschaftler an der Universität Bochum, in einem Vortrag am Berliner Zentrum für Literaturwissenschaft. "Nur so konnte Ludwig die Desavouierung durch die Entmündigung unterlaufen."

Die Geisteskrankheit des bayerischen Königs war nach Schneiders Auffassung nur ein vorgeschobener Grund, denn der bayerischen Regierung ging es weniger um die Zurechnungsfähigkeit des Herrschers, als vielmehr um die Vermeidung eines Skandals. Ludwig stand durch den Bau seiner Märchenschlösser, allen voran seiner "Gralsburg" Neuschwanstein, vor dem Bankrott. 1886 beliefen sich seine Verbindlichkeiten auf sechs Millionen Goldmark. Dabei hatte man erst ein Jahr zuvor mit einem Bankkredit seine bis dahin aufgelaufenen Schulden von 7,5 Millionen ausgeglichen. Der bayerische Ministerpräsident Johann von Lutz sah nur einen Weg, um zu vermeiden, den Souverän vor aller Welt für pleite erklären zu müssen: Der Monarch musste gestürzt werden. Einerseits hat Manfred Schneider Verständnis für diesen "Akt der politischen Notwehr". Gleichwohl habe er außerhalb jeglicher Legalität gestanden. "Es gab keine gerichtliche Anhörung, sondern nur eine psychiatrische Ferndiagnose, die Ludwig am 8. Juni 1886 für verrückt erklärte."

Die gesamte Bautätigkeit Ludwigs ruhte zu dem Zeitpunkt - aus Geldmangel. Der Ausbau von Neuschwanstein stockte, ebenso die Arbeiten im Versailles-Nachbau am Herrenchiemsee. Der Monarch schmiedete seltsame Pläne, um wieder flüssig zu werden. Er sandte Vertraute durch Europa, die an anderen Höfen um Unterstützung betteln sollten. Er drohte der bayerischen Regierung mit Selbstmord oder Auswanderung, wenn sie kein neues Geld beschaffe. Ja er plante sogar, die Rothschild-Banken in Berlin, Paris und Frankfurt auszurauben. Mit dem Ende der Bauarbeiten konnte sich Ludwig nicht abfinden. "Das Bauen war für ihn die einzig vorstellbare Form der Demonstration königlicher Macht", sagte Schneider.

Und hier setzte der Psychiater von Gudden mit seinem Gutachten an. Bei einem Gespräch mit Ministerpräsident Lutz, in der ihm dieser die Baubesessenheit des Monarchen anhand diverser Anekdoten schilderte, fällte Gudden sein Urteil: "Seine Majestät ist originär verrückt." Luitpold, der als Verweser eingesetzt werden sollte, erklärte daraufhin "im Namen seiner Majestät seine Majestät für entmündigt".

Sicher finden sich in Ludwigs Wesen Züge, die auf eine Geisteskrankheit hinweisen. So erteilte sich der König selbst Befehle und berief sich dabei auf seine eigene Souveränität oder die anderer lebender oder verstorbener Monarchen. Dabei ging es häufig um seine sexuelle Veranlagung, die er offenbar auch selbst verabscheute: seine Homosexualität. Er flieht in die Enhaltsamkeit: "Nur die psychische Liebe ist gestattet, die sinnliche dagegen verflucht", schreibt er in sein Tagebuch. Doch sein Verlangen ist damit nicht besiegt, nur auf ein anderes, damals nicht weniger sündhaftes Feld verschoben. 1872 notierte der 26-jährige König: "Im Namen Ludwig XIV. und Ludwig XV. wird hiermit befohlen, dass Ludwig sich am 14./15. Oktober das letztemal selbst berührt." An anderer Stelle gelobt er: "Mit Gottes und Königs Kraft. Hände kein einziges Mal mehr hinab, bei schwerer Strafe."

Doch die sexuelle Veranlagung des Königs spielte bei der Amtsenthebung keine Rolle, sagte Schneider. "Man sprach zwar darüber, aber man störte sich nicht daran." Die Gerüchteküche kochte tatsächlich auf großer Flamme: Auf seinen Schlössern veranstalte der König wilde Orgien, staffiere seine Reitergardisten mit Bärenfellen als Germanen aus und trinke mit ihnen literweise Met. Doch diese Gerüchte beunruhigten niemanden, das Volk erfuhr ja nichts davon. Nein, die Regierung Lutz suchte andere Symptome, um mit ihnen die geplante Entmündigung Ludwigs zu begründen - und fand sie in der Verschwendungssucht des Königs und in seinem Bauwahn. "Seit der Antike bilden Wahnsinn und Verschwendung ein unheiliges Paar, um Entmündigungen vorzunehmen", sagte Schneider. Schon in den "Zwölf-Tafel-Gesetzen", dem ältesten bekannten römischen Gesetzeswerk von 450 vor Christus, wird dieses Begriffspaar als Begründung für eine mögliche Entmündigung genannt. Allerdings genügte es nicht, dies einfach zu behaupten. Die antiken Gesetzgeber meinten, dass solche folgenschweren Behauptungen in einem ordentlichen Verfahren bewiesen werden müssten.

Auch die bayerische Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts war so eingerichtet. Für eine Entmündigung verlangte man unter anderem eine genaue nervenärztliche Untersuchung des Betroffenen und dessen gerichtliche Anhörung. Auf beides verzichtete man bei Ludwig. Die Diagnose der Nervenärzte erfolgte aus der Ferne und basierte zum Teil auf Hörensagen, das Bedienstete des Königs zum Besten gaben. Eine gerichtliche Anhörung wurde dem Herrscher verweigert. "Damit betraten die Ärzte Neuland", sagte Schneider. Bis dato hatte man Königen alle möglichen Eskapaden durchgehen lassen, ja man erwartete geradezu von ihnen, dass sie sich freigiebig zeigten. Schneider nennt dieses Neuland eine "psychiatrische Machtanmaßung." Psychiater wollten definieren, was normal ist und was nicht - und schufen sich so eine "Normalitätsmacht" und damit im Einklang mit der Politik eine sehr reale Macht. Schneider: "Die Entmündigung Ludwigs war der seltene Fall eines von der Psychiatrie in Gang gesetzten Staatsstreiches."

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