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Gesundheit: Die Abwehr wachrütteln

Forscher entwickeln Impfstoffe gegen Krebs – der Körper soll den Tumor mit den eigenen Waffen schlagen

„Berliner Forscher: Krebs besiegt!“ Mit dieser Schlagzeile auf der Titelseite mobilisierte am gestrigen Donnerstag eine Boulevardzeitung ihre Leser. Abgebildet war der Charité-Arzt Eckhard Thiel, an dessen Klinik angeblich der erste Impfstoff gegen Blutkrebs entwickelt wurde.

„Das ist Unsinn“, kommentierte Thiel die Zeitungsmeldung gegenüber dem Tagesspiegel und sprach von „unseriöser Berichterstattung“. Thiel weiter: „Wir machen nichts grundsätzlich Neues, auch wenn unser spezieller Anwendungsbereich neuartig ist.“

Der Krebsspezialist Thiel leitet die Abteilung für Blutkrankheiten im Klinikum Benjamin Franklin und erprobt hier seit zwei Jahren einen Impfstoff gegen Blutkrebs (Leukämie). Sechs Patienten mit akuter myeloischer Leukämie wurden bisher behandelt. Bei zwei Frauen zeigte sich ein positiver Effekt, den Thiel auf die Impfung zurückführt. Eine der beiden Patientinnen erlitt jedoch einen Rückfall und starb, bei der anderen hält die Wirkung des Impfstoffs noch an.

Wie aber funktioniert eigentlich eine Impfung gegen Krebs? Seit rund 20 Jahren versuchen Forscher, das Erfolgsprinzip der Impfung gegen Infektionskrankheiten – mittlerweile kann man sich gegen 26 Krankheitserreger schützen – auf die Krebsbekämpfung zu übertragen. Die Idee dahinter ist meist nicht die Vorbeugung, sondern die Heilung einer bereits vorhandenen Tumorkrankheit.

Auch bei der Impfung gegen Krebs geht es darum, das Immunsystem des Kranken wiederzuerwecken und ähnlich einem Spürhund auf die Krebszellen zu hetzen. Damit das gelingt, muss zunächst eine Fährte gelegt werden. Bei Infektionen wird mit Bruchstücken der Keime oder abgeschwächten Varianten des Erregers geimpft.

Bei der Krebs-Impfung werden meist Eiweißstoffe gespritzt, die besonders häufig im Tumor vorkommen. Manchmal werden auch abgeschwächte oder zerstörte Krebszellen, speziell abgerichtete körpereigene Zellen oder veränderte Viren injiziert. Es gibt also zahlreiche Methoden und Ansätze. Sie alle aber haben eins gemeinsam: Es geht darum, die Immunabwehr wachzurütteln.

Auch Thiels Gruppe arbeitet mit einem Tumor-Eiweiß. Es nennt sich WT1 und wird massenhaft von Leukämiezellen produziert. Die Ärzte spritzten ein Bruchstück von WT1 zusammen mit zwei weiteren Substanzen, mit denen die Impfreaktion verstärkt werden soll. Dass sich bei zwei von sechs Patienten eine positive Reaktion auf die Impfung zeigte, wertet Thiels Mitarbeiter Ulrich Keilholz als „großen Schritt nach vorn“. Die Forscher wollen nun ihre Versuche ausweiten und mit anderen deutschen Universitätskliniken zusammenarbeiten.

Wie groß dieser Schritt wirklich ist, wird sich allerdings noch zeigen müssen. Häufig werden Krebsimpfstoffe heute eingesetzt, um nach einer vorangegangenen herkömmlichen Therapie noch vorhandene Krebsnester zu zerstören. Der Impfstoff soll der Körperabwehr den letzten Kick geben, damit der Tumor restlos abgeräumt wird.

Zumindest in der Theorie. Denn die Erfolge der Krebsimpfung sind bis jetzt bescheiden. Steven Rosenberg vom Nationalen Krebsinstitut der USA kommt in einer Analyse der vom Institut angestellten Krebsimpfungen an immerhin 440 Patienten zu dem Ergebnis, dass lediglich 2,6 Prozent der Kranken nachweislich auf die Impfung ansprachen. „Die Ergebnisse anderer Forschergruppen sehen nicht besser aus“, schreibt Rosenberg im Fachblatt „Nature Medicine“. Und das, obwohl Hunderte von Impfstoff-Untersuchungen an Patienten mit fortgeschrittenem Krebs veröffentlicht wurden.

Rosenberg wirft seiner Zunft vor, es sich mit den Erfolgsberichten zu leicht zu machen. Statt den messbaren Rückgang von Krebsgewebe als Richtschnur zu nehmen, würden vage Zeichen der Besserung bereits als Erfolg gewertet. Etwa das Verschwinden mancher Krankheitssymptome, unerwartet langes Überleben oder das Schrumpfen einiger weniger Krebsherde.

Trotzdem glaubt auch Rosenberg, dass die Krebsimpfung Zukunft hat. Er fordert aber ein Umdenken in Richtung auf eine Art Zelltherapie. Eine aussichtsreiche Möglichkeit besteht etwa darin, jene Abwehrzellen, die den Krebs des Kranken attackieren, zu entnehmen, im Reagenzglas zu vermehren und dem Patienten dann zurückzugeben. Mit dieser Methode behandelten Rosenberg und seine Mitarbeiter 13 Patienten mit fortgeschrittenem schwarzem Hautkrebs (Melanom). Ergebnis: bei sechs Kranken bildete sich der Krebs zurück, bei vier weiteren schrumpfte er.

Versuche mit Krebs-Impfstoffen sind aufwendig und anspruchsvoll. Weil der Durchbruch bislang ausblieb, ist auch noch kein wirklich erfolgreicher Impfstoff „von der Stange“ verfügbar. Vielleicht wird es ihn auch nie geben, weil die Behandlung für jeden Patienten neu und individuell hergestellt werden muss, wie im Fall der im Labor vermehrten Abwehrzellen.

Wann aber kann man davon reden, dass ein Krebs tatsächlich „besiegt“ ist? Mediziner sprechen von Heilung, wenn der Tumor fünf Jahre nach erfolgreicher Behandlung noch nicht wiedergekehrt ist. Solche Erfolge dürften bei der Immuntherapie noch sehr selten sein. Aber in der konventionellen Krebsbehandlung gibt es sie längst, auch bei der akuten Leukämie: „Drei von vier Kinder und einen von drei Erwachsenen können wir schon heute heilen“, sagt Thiel. Insgesamt gelingt es etwa jedem zweiten Krebspatienten, seine Krankheit zu besiegen, Tendenz steigend. Und das ganz ohne Krebsimpfung.

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