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Gesundheit: Die Alzheimer-Gesellschaft

Immer mehr Menschen sind im Alter von geistigem Verfall bedroht – nicht nur für die Angehörigen eine Herausforderung

Alzheimer zu bekommen – das ist für viele die schlimmste Vorstellung, wenn sie ans Alter denken. Über eine Million Menschen leiden heute in Deutschland an dieser oder einer anderen Form des geistigen Verfalls (Demenz). Von einer Volkskrankheit, die „die Idealvorstellung eines selbstbestimmten, freien Lebens in Frage stellt“, spricht Kristiane Weber-Hassemer, die neue Vorsitzende des Nationalen Ethikrates. Und sie begründete damit auch, warum das Thema „Altersdemenz und Morbus Alzheimer: medizinische, gesellschaftliche und ethische Herausforderungen“ im Mittelpunkt der Jahrestagung stand.

Wer nicht rational handeln könne, der gelte in unserer Gesellschaft nicht viel, so stellte die junge Freiburger Theologin Claudia Wetzstein provozierend fest. Sie kritisierte, dass alle Welt heute Menschen, die an Alzheimer leiden, nur unter einem medizinischen Gesichtspunkt betrachte. So sei nur von den Defiziten die Rede, nicht von Möglichkeiten der Fürsorge und des Miteinanders.

Dass sich das Interesse der Alzheimer-Forscher indes schon längst nicht mehr auf kognitive Defizite beschränkt, zeigte die Tagung deutlich. In einer vom Bundesfamilienministerium unterstützten Studie untersucht etwa eine Heidelberger Arbeitsgruppe, wann und unter welchen Umständen sich Menschen, die unter Demenz leiden, wohl fühlen – und was man dafür tun kann.

„Ihr emotionales Befinden ist oft der einzige noch verfügbare Gradmesser für Lebensqualität“, sagte Andreas Kruse, Direktor des Instituts für Gerontologie der Universität Heidelberg. Erkennbar wird dies für oft nicht anhand sprachlicher Äußerungen, sondern bei genauer Analyse von Mimik und Gestik. Zur Krankheit gehört, so Kruse, dass die Betroffenen durch das Verhalten der Umwelt besonders leicht irritiert werden können, etwa, wenn jemand sie von hinten anspricht.

Solche Erkenntnisse werden schon vielfach in die Praxis der Betreuung umgesetzt. „Wir wissen heute, worauf es bei der Behandlung ankommt“, sagte der Freiburger Jurist und Pflege-Spezialist Thomas Klie. Zudem gebe es eine ungebrochene Bereitschaft der Angehörigen, Verantwortung zu übernehmen: „Noch nie wurden so viele Demente so lange und in der Regel auch so gut von ihren Familien gepflegt.“ Problematisch sei jedoch, dass die Betreuung Demenzkranker bisher vorwiegend unter dem Aspekt der Belastung diskutiert und wahrgenommen werde. „Solidarität und gutes Leben schließen sich dabei nicht aus.“

Dass sie es oft doch tun, darauf verwies die Psychologin Susanne Zank von der Freien Universität. Die Längsschnittstudie ihres Teams zur Belastung von Angehörigen durch die Pflege von Demenzkranken ergab, dass ein Drittel der Pflegenden unter einer Depression leidet. Auch wenn Theologin Wetzstein den medizinischen, „pathologisierenden“ Blick auf die Demenz als zu eng kritisiert hatte: Wenn es um Hoffnungen für die Zukunft geht, wenden sich die Blicke auf die Medizin. Noch hat sie aber nicht viel zu bieten. Medikamente aus der Gruppe der „Acetylcholinesterase-Hemmer“ behindern ein Enzym, das einen wichtigen Hirnbotenstoff abbaut. Sie ermöglichen nach den Worten des Mediziners und Biologen Fritz Henn, Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim, immerhin eine leichte Verbesserung und „Aufschub um ein Jahr“.

Wenn mit fortschreitender Erkrankung zunehmend Nervenzellen zugrunde gehen, hat der Botenstoff jedoch keinen Angriffspunkt mehr. Auch Medikamente, die ein anderes Enzym hemmen, die „Gamma-Sekretase“, könnten nach Henns Worten bei Alzheimer helfen, etwa das Rheumaschmerzmittel Ibuprofen. „Doch die Firmen trauen sich bisher nicht, das zu untersuchen“, so Henn.

Eine weitere Hoffnung gilt der Impfung, über die der Biochemiker Christian Haas vom Adolf-Butenandt-Institut der Uni München berichtete. Antikörper sollen hier die gefährliche Bildung der Eiweiß-Plaques verhindern und damit dem unheilvollen Verlauf zumindest Einhalt gebieten. Nicht nur bei Mäusen, sondern auch bei Menschen hat das schon funktioniert – allerdings gab es auch eine bedenkliche Nebenwirkung, nämlich Hirnhautentzündungen.

Henn erhofft sich am meisten von der Grundlagenforschung. Aber auch in der Forschung stellen sich ethische Fragen. So dürfen demente Patienten, die nicht einwilligungsfähig sind, nur an Studien teilnehmen, wenn die Teilnahme ihnen selbst direkten Nutzen verspricht und der Betreuer an ihrer Stelle zustimmt.

Eine andere heikle Frage betrifft die frühe Identifizierung eines Erkrankungsrisikos. „Was nützt es mir, das zu wissen?“, fragte Heike von Lützau-Hohlbein, Vorsitzende der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft. Denn noch kann man einer Demenz nicht wirklich vorbeugen – auch nicht mit gezieltem „Gedächtnistraining“. In einem abschließenden Vortrag zur „Zukunft des Alters“ lieferte der Berliner Alternsforscher Paul Baltes aber ein gutes Argument dafür, möglichst lange körperlich und geistig aktiv zu bleiben. „Diese Vitalität verhindert zwar nicht die Demenz. Aber sie verwirrt den Demenz-Diagnostiker!“

Adelheid Müller-Lissner

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